Wirtschaftspolitik:"Ich erwarte einen Kurswechsel von Peking in Richtung Europa"

Wirtschaftspolitik: Die Volksrepublik verliert nach und nach immer mehr Handelspartner.

Die Volksrepublik verliert nach und nach immer mehr Handelspartner.

(Foto: Imago/Nikita)

China wird sich Europa annähern müssen. Davon ist der Politikwissenschaftler Xuewu Gu überzeugt. Dafür scheint das Land auch bereit dafür zu sein, sich von Russland zu entfernen.

Von Marie Vandenhirtz

Im Jahr 2022 war China der wichtigste Handelspartner für Deutschland - zum siebten Mal in Folge. Waren im Wert von 298,6 Milliarden Euro wurden laut dem Statistischen Bundesamt zwischen den Ländern gehandelt. Und fast zwei Drittel dieses Warenwerts wurden nach Deutschland importiert. Obwohl die Handelsbeziehung zu China so groß ist und manche Ökonomen warnen, die Abhängigkeit könnte gefährlich werden, plädiert der Politikwissenschaftler Xuewu Gu dafür, sie aufrechtzuerhalten.

Trotzdem sollten Deutschland und Europa auch in andere Länder schauen, sagt er bei den Munich Economic Debates von Ifo-Institut und Süddeutscher Zeitung. Gu ist Inhaber des Lehrstuhls für Internationale Beziehungen und Direktor des Center for Global Studies an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn. Er forscht zu internationalen Beziehungen und der chinesischen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Er ist nach eigenen Angaben "ein Globalist". Eine bilaterale Abhängigkeit sei aus seiner Sicht riskant. Die Wirtschaft funktioniere nur mit vielen internationalen Handelspartnern.

Die Chinesen würden sich freuen, wenn Deutschland und Europa an den Handelsbeziehungen festhalten oder sie gar ausbauen. Denn die Volksrepublik verliert nach und nach immer mehr Partner. Zum Beispiel in Asien: Japan, Südkorea und die Philippinen wendeten sich bereits von China ab, ebenso die USA. Dadurch entstehe eine neue Allianz, die für China gefährlich werden könne, sagt Gu. Schließlich sei der Hauptfeind Chinas aus seiner Sicht die USA. Sie sei der einzige Akteur, der China davon abhalten könne, zur Weltmacht zu werden. Deswegen sei es zum Beispiel auch naheliegend, dass sich die Volksrepublik mit Russland verbündete. Sie würden ein ähnliches Ziel verfolgen - und zwar, sich gegen die USA zu stellen.

Doch weil China gerade die Schauplätze ausgehen, muss das Land neue finden. "Sie müssen neue Sympathisanten finden." So ein Sympathisant könnten Deutschland und Europa sein, sagt Gu. Ende April hatte Bundeskanzler Olaf Scholz noch mit seinem Kabinett über Export-Beschränkungen nach China diskutiert. Dabei ging es um die Ausfuhr von Chemiestoffen, die für die Chip-Produktion genutzt werden. Wenn diese beschlossen würde, sei das schädlich für China, so Gu. Somit verliere China nämlich die Rivalität gegenüber den USA, fasst Gu zusammen.

Ende April telefonierte Xi mit Selenskij - ein gutes Zeichen, so der Experte

Für so eine Öffnung nach Europa müsse China jedoch erst einmal seine internationalen Beziehungen überdenken. Europäische Politiker fordern einen Kurswechsel: von Russland weg, hin zum Westen. Bei dem Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron in China forderte dieser den Präsidenten der Volksrepublik Xi Jinping dazu auf, mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenskij zu sprechen. Er solle sich ihm annähern. Ähnliches forderte auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

Und tatsächlich: Ende April telefonierte Xi mit Selenskij, zum ersten Mal seit Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine. Das sei ein gutes Zeichen, so Gu. "China scheint bereit zu sein, sich von Russland zu distanzieren." Der Politikwissenschaftler geht auch davon aus, dass China künftig die Sanktionen gegenüber europäischen Parlamentarier fallen lassen könnte.

Hoffnung setzt Xuewu Gu bei all diesen Entscheidungen vor allem in einen: den neuen Ministerpräsidenten Li Qiang. Dem solle die Politik in Europa große Aufmerksamkeit schenken. Er habe es möglich gemacht, dass sich China nach der Corona-Pandemie wieder öffnet. Dabei sei er zeitgleich ein großer Vertrauter des Präsidenten Xi Jinping, der, sei es nach ihm gegangen, die Öffnung des Landes viel eher weiter zurückgefahren hätte. Lis Plan ging auf: Nach Ende der strikten Corona-Politik startete die chinesische Wirtschaft überraschend stark in das neue Jahr. Das Bruttoinlandsprodukt legte im ersten Quartal 2023 um 4,5 Prozent im Jahresvergleich zu, teilte das nationale Statistikbüro in Peking mit. Das Wachstum sei trotz eines "schwierigen und komplexen internationalen Umfelds" erzielt worden. Experten hatten mit einem etwas moderateren Wachstum von 3,8 Prozent gerechnet.

Li habe sich immer für eine Liberalisierung und Öffnung der Volksrepublik eingesetzt. Präsident Xi habe zwar seine Macht etabliert, trotzdem gebe es "Leute, die frisch sind" und für eine Liberalisierung und weitere Öffnung Chinas sorgen könnten. Deswegen erwarte er einen Kurswechsel Pekings Richtung Europa. Mit Li könne sie jedenfalls gelingen.

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