Süddeutsche Zeitung

Mützenfirma MyBoshi:"Die duzen uns, wir duzen sie"

In einer Karaokebar in Japan hatten Thomas Jaenisch und Felix Rohland eine Geschäftsidee: Mützen häkeln lassen - von Rentnerinnen. Eine Chef-Mitarbeiter-Beziehung haben sie zu ihnen eher nicht, erzählen die Gründer im Interview. Eher ein Oma-Enkel-Verhältnis.

Von Elisabeth Dostert

Das Gespräch mit Thomas Jaenisch, 29, und Felix Rohland, 28, den Gründern von MyBoshi, findet in ihrem Laden im oberfränkischen Hof statt. Boshi ist japanisch und heißt Mütze. Früher war dort ein Innenausstatter, dann standen die Räume lange leer. Thomas ist Wirtschaftsingenieur, Felix Realschullehrer. Auf dem Sofa vor dem Schaufenster liegt ein gehäkeltes Schaf. Hinten im Raum verpacken Mitarbeiter Mützen zum Versand. Das Geschäft läuft auf vollen Touren. Die beiden Unternehmer möchten gern beim Vornamen genannt werden.

SZ: Was häkeln Sie gerade?

Felix: Einen Loop für meine Tante. Die ist da ganz scharf drauf.

Thomas: Einen Sitzsack für meine Freundin. Tagsüber kommen wir gerade relativ selten zum Häkeln. Wir haben gerade Hochsaison. Ich komme nur noch abends zur Entspannung dazu, ein, zwei Stunden.

Wie lange brauchen Sie für eine Mütze?

Felix: Ein bis zwei Stunden je nach Modell mit Vernähen und allem drum und dran.

Wie lange haben Sie für Ihre erste Mütze gebraucht?

Felix: Acht Stunden. Die erste Mütze haben wir Anfang 2009 gehäkelt, als wir in Japan waren. Die war nicht besonders schön.

Haben Sie die noch?

Felix: Ja, die steht bei mir zuhause im Regal. Die steht auch sehr gut, weil sie zu hundert Prozent aus Acrylwolle ist, die wir in einem Billigmarkt gekauft haben. Die ist mehr Helm als Wollmütze.

Muss man nach Japan fahren, um auf die Idee zu kommen, eine Häkelfirma zu gründen?

Thomas: Anscheinend. Die guten Ideen kommen einem doch immer, wenn man Zeit hat und davon hatten wir in Japan jede Menge. Wir waren da als Ski-Lehrer.

Wie kam es dazu?

Felix: Wir haben beide damals noch studiert und hatten wenig Geld. Dann entdeckten wir die Anzeige in so einem Magazin für Skilehrer: Fünf Wochen Japan, Flug, Kost und Logis frei. Tagsüber haben wir japanischen Kindern Skifahren beigebracht und abends war es recht langweilig. Fernsehen konnten wir nicht schauen, zum Lesen hatten wir nichts mitgenommen. Und dann saßen da eben abends 40 Ski-Lehrer aus Europa im Keller einer unbeheizten Turnhalle und langweilten sich.

Dann fiel Ihnen eine Häkelanleitung in die Hände?

Thomas: Nein. Eine Spanierin hat abends immer gehäkelt. Erst dachten wir, das ist nichts für uns. Aber die Langweile wurde immer größer. Dann haben wir es uns doch zeigen lassen, mehr so zum Spaß. Und dann haben wir nicht mehr aufhören können. Die zweite Mütze war dann schon deutlich schneller fertig.

Trotzdem: Wegen ein paar gelungener Häkelmützen muss man noch keine Firma gründen!

Felix: Aber wir waren von der Idee total begeistert. Als wir dann zurück nach Deutschland kamen haben wir all unseren Freunden...

Thomas: ... Du hast einen Teil der Geschichte ausgelassen. Nach dem Skikurs sind wir noch ein bisschen durch Japan gereist, immer eine Mütze auf dem Kopf. In Tokio haben wir in einem Hostel zwei australische Rucksack-Touristen getroffen. Die wollten unbedingt unsere Mützen haben. Wir haben sie ihnen dann für gut zehn Euro verkauft. Abends waren wir dann gemeinsam in einer Karaoke-Bar. Der endete feucht-fröhlich. Irgendwann zwischen zwei und vier Uhr morgens haben wir den Entschluss gefasst, aus den Mützen ein Geschäft zu machen. Unser Studium haben wir aber noch beendet. Ich bin Wirtschaftsingenieur und Felix Realschullehrer für Informatik und Wirtschaft.

Zur Sicherheit, falls das mit der Häkelfirma doch nicht klappt.

Thomas: Eine abgeschlossene Berufsausbildung schadet nie.

Sie hätten doch auch einen Job bei BMW oder McKinsey haben können?

Thomas: Ja, aber damals habe ich mir überlegt, andere Leute machen nach dem Studium erst einmal eine Weltreise oder nix. Ich wollte wissen, ob My Boshi funktioniert hauptberuflich. Wir sind mit Feuer im Herzen nach Deutschland zurückgekehrt und haben unseren Kumpels erzählt, dass wir jetzt Mützen häkeln. Die dachten, wir spinnen, aber die Mützen fanden sie cool.

Wie haben Sie die Gründung finanziert?

Felix: Wir haben zwei Knäuel Wolle und eine Häkelnadel gekauft und mit dem verdienten Geld noch mehr Wolle. Das Risiko, das wir eingegangen sind, war nicht besonders groß.

Was haben Ihre Mütter gesagt?

Felix: Meine hat sich erst gewundert. Aber dann hat sie gemerkt, dass wir Spaß daran haben und es ernst nehmen.

Thomas: Unsere Mütter haben dann auch die ersten Boshis gehäkelt. Meine war ganz froh, dass der 24 Jahre alte Sohn abends mit ihr auf dem Sofa saß, häkelte und keinen Unsinn machte. Nach einem Dreivierteljahr hatten wir gut 2000 Euro verdient, einfach durch Mundpropaganda. Dann haben wir uns überlegt, entweder wir hören jetzt auf oder machen es richtig.

Ganz oder gar nicht!

Thomas: Ja. Wir haben uns eine Homepage programmieren lassen und eine Anzeige geschaltet, weil wir mit der Produktion nicht mehr hinterhergekommen sind. Wir suchten Leute, die in Heimarbeit für uns häkeln.

Wie viele haben sich gemeldet?

Felix: Zwischen sechs Uhr und zehn Uhr morgens riefen schon 70 Leute an, dann haben wir das Telefon abgeschaltet.

Was waren das für Menschen?

Felix: Überwiegend Rentnerinnen, die mit ihrem Hobby Geld verdienen wollen.

Mussten die vorhäkeln?

Felix: Die, die wir telefonisch ausgewählt hatten, schon.

Wie viele bleiben übrig?

Thomas: Beim ersten Mal zwei. Das gehört zu unserer Firmenphilosophie. Wenn wir jemand einen Job anbieten, dann soll er damit auch ordentlich verdienen. Viele der Häklerinnen können das Geld gut gebrauchen. Wenn man im Monat 600, 700 Euro Rente bekommt, sind 450 Euro viel Geld.

Sie beschäftigen die Frauen als Minijobber?

Felix: Ja und Heimarbeiter, die können sich ihre Zeit frei einteilen.

Wie viele Frauen arbeiten heute für Sie?

Thomas: Etwa 30, je nach Saison. Jetzt vor Weihnachten sind die Frauen voll ausgelastet. Pro Woche bekommen wir zwischen 100 und 300 Bestellungen für Mützen, die die Leute auf unserer Internetseite konfiguriert haben. Es gibt mehr als eine Milliarde Möglichkeiten.

Felix: 300 pro Woche sind die Grenze, die Häklerinnen müssen ja auch betreut werden. Wir müssen Wolle ausliefern und Mützen abholen. Das Geschäftsmodell ist nicht beliebig skalierbar. Dann wären wir irgendwann in China, wo alle in einer Halle sitzen und im Akkord häkeln. Das wollen wir nicht. Uns liegt der Mensch am Herzen.

Thomas: Wir haben eher keine Chef-Mitarbeiter-Beziehung.

Sondern?

Thomas: Eher so ein Enkel-Oma-Verhältnis. Die duzen uns und wir duzen die. Wir kriegen auch manchmal Ärger, wenn wir eine Viertelstunde zu spät kommen. Dann warten die schon. Manche bringen die Mützen auch hier im Laden vorbei, vor allem am Monatsanfang, wenn es Geld gibt.

Sie zahlen bar auf die Hand?

Felix: Ja, dann hat das Geld eine höhere Wertigkeit. 400 Euro auf dem Konto ist nur eine Zahl, acht oder neun 50-Euro-Scheine in der Hand sind mehr wert. Der Lohn ist dann greifbar.

Kriegen Ihre Omas auch was zu Weihnachten von den Enkeln?

Thomas: Natürlich. In der Regel eine Flasche Glühwein, ein Stück Schinken und eine Packung Lebkuchen.

Felix: Die eine oder andere äußert auch schon mal einen Wunsch, ein paar Schuhe oder so. Dann gibt es eben einen Gutschein für Schuhe.

Können Sie von Ihrer Häkelfirma leben?

Felix: Ja, sonst würden wir etwas anderes machen.

Kann man gut davon leben?

Thomas: Das ist relativ. Als Wirtschaftsingenieur könnte ich vermutlich mehr verdienen, aber mit weniger Spaß.

Wie viele Mützen werden Sie dieses Jahr verkaufen?

Thomas: Letzes Jahr haben wir 20.000 Mützen verkaufen. Dieses Jahr rechnen wir mit 25.000.

Macht bei einem Preis von 45 Euro im Schnitt gut eine Million Euro Umsatz...

Thomas: ...plus der Einnahmen aus dem Verkauf von Wolle für Selbermacher, Büchern und Spielesets. Bei Großaufträgen liegt der Preis für eine Mütze natürlich niedriger. Dahinten packen wir gerade die Mützen für Bosch-Siemens-Hausgeräte in Bad Neustadt ein, 600 Stück auf einmal, die gibt es zu Weihnachten. Die Staubsauger kommen aus der Region und die Mützen eben auch.

Bekommen Sie öfters Aufträge von Firmen?

Thomas: Ja. Letztes Jahr haben wir 2000 Mützen für McDonalds gehäkelt, uni mit Bommel. Die sollten die Teilnehmer eines Team-Building-Seminars für Führungskräfte in Finnland tragen, jedes Team eine andere Farbe.

Was machen Sie im Sommer, wenn keiner Mütze trägt?

Felix: Wir schon.

Thomas: Wir arbeiten an unsere Strategien, entwickeln neue Ideen, neue Bücher.

Ist die Idee, Mützen zu häkeln und Wolle zu verkaufen nicht irgendwann ausgereizt?

Thomas: Nein. Wir haben noch viele Ideen.

Zum Beispiel?

Thomas: Wir machen doch nicht nur Mützen. Wir sehen uns eher als Ideengeber im Handarbeitsmarkt. Wir häkeln ganz gerne und sehen, dass viele junge Leute gerne handarbeiten.

Es gibt inzwischen viele Nachahmer. Fürchten Sie die Konkurrenz?

Felix: Nein, wir sind nicht alleine, aber wir sind die Besten.

Thomas: Und wir sind das Original.

Warum bieten Sie die Mützen nicht im Einzelhandel an?

Felix: Da gibt es schon genügend Mützen - für drei Euro aus China. Unser Kunde will etwas Besonderes. Die für ihn von Hand gehäkelte Mütze, die zur Stimmung und zur Jacke passt. Oder die selbstgemachte Mütze, Häkeln ist das neue Yoga. Häkeln entschleunigt. Den ganzen Tag bewegt man sich in der virtuellen Welt. Da tut das Gefühl, etwas in der Hand zu halten, gut.

Wie alt sind Ihre Kunden denn?

Thomas: Unsere Zielgruppe reicht bis 35 Jahre. Aber es kommt mehr auf das geistige Alter an. Es gibt auch 60- und 70-Jährige, denen unsere Mützen lieber sind als Spitzendecken.

Können Sie auch stricken?

Felix: Ich habe schon vor zehn Jahre meiner Freundin zu Weihnachten einen Schal gestrickt.

Thomas: Ein paar linke und rechte Maschen kriege ich schon hin.

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