Münchner Seminare:Bildung gegen Ungleichheit

Der OECD-Direktor Christian Kastrop fordert die Staaten zu mehr Investitionen auf, auch in Bildungssysteme. Können so die Ungleichheiten in den Industrieländern wirklich beseitigt werden?

Von Felicitas Wilke

"Hat denn die Ungleichheit nun zugenommen oder nicht?" bittet am Ende ein Teilnehmer im Publikum um eine klare Antwort. Die beiden Ökonomen auf der Bühne können sich ein Lächeln nicht verkneifen, schließlich diskutieren viele diese Frage kontrovers. Bei den Münchner Seminaren von Ifo-Institut und Süddeutscher Zeitung sprach Christian Kastrop, Direktor der Volkswirtschaftlichen Abteilung der Industrieländer-Organisation OECD, über die doppelte Herausforderung, vor der viele hoch entwickelte Staaten stehen: Die Produktivität steigt langsamer, die Einkommensungleichheit nimmt zu - sagt jedenfalls Kastrup. Ifo-Präsident Clemens Fuest will das nicht so ohne weiteres unterschreiben, er sagt vielmehr: Kommt darauf an. Weltweit sei die Ungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten durch den Aufstieg von Schwellenländern wie China zurückgegangen. In den OECD-Staaten hingegen gehöre vor allem die untere Mittelschicht zu den Verlierern dieser Entwicklung. Hierzulande sei die Ungleichheit aber "nicht dramatisch" - eine Meinung, die Fuest immer wieder vertritt, auch im Gespräch mit Ökonomen, die das ganz anders sehen.

Christian Kastrop reiht sich in dieser Frage irgendwo in der Mitte ein. Es sei eine Tatsache, dass "die Einkommensschere immer weiter aufgeht", in manchen OECD-Staaten wie Großbritannien stark, aber auch in Deutschland spürbar. Während in den 35 OECD-Staaten das verfügbare Einkommen der oberen zehn Prozent seit 1990 deutlich angestiegen ist, blieb es für das schwächste Zehntel stabil und sank zuletzt sogar.

Zur wachsenden Ungleichheit kommt Kastrop zufolge ein weiteres Problem: In Deutschland wie in anderen hoch entwickelten Staaten steigt die Produktivität nur noch halb so stark wie vor 20 Jahren. Das heißt: Das Verhältnis von Output und den dafür eingesetzten Produktionsfaktoren verbessert sich nur noch kaum. Je geringer das Produktivitätswachstum ist, desto kleiner fällt auch der Spielraum für steigende Löhne aus.

Die Finanzkrise ist ein Faktor, der zur Ungleichheit beiträgt. Aber ebenso kommt eine Zweiteilung der Wirtschaft dazu: Auf der einen Seite gibt es einige wenige führende, produktive Unternehmen, auf der anderen Seite den großen, weniger produktiven Rest. Wer bei den Top-Unternehmen arbeitet, erzielt meist ein höheres Einkommen als jene, die bei den weniger produktiven Firmen tätig sind. Kastrop empfiehlt, die Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und kleinen Unternehmen zu verbessern, um die Produktivitätsunterschiede zu verringern. Auch blickt er kritisch auf den Finanzsektor, der die Einkommensungleichheit mit seinen Boni tendenziell verschärfe. Die Branche gehöre "nicht zu den produktivsten", die hohen Löhne, die dort üblich sind, saugten aber viele gute Arbeitskräfte ab, "die anderswo produktiver sein könnten".

Als Direktor eines Think Tanks, "oder Do Tank", wie Kastrop sagt, gibt er Ratschläge, wie die Welt ein bisschen besser funktionieren kann. Er muss dabei mit komplexen volkswirtschaftlichen Begriffen und Zusammenhängen jonglieren, die für Laien nur schwer verständlich sind. Der Ökonom weiß das. "Aber für komplexe Fragen gibt es keine einfachen Lösungen, das kann ich den Menschen nicht vorlügen", sagt er. Eine der Kernbotschaften, die Kastrop seinen Zuhörern im Ifo-Institut an die Hand gibt, ist aber eindeutig: Die Staaten müssen ran, und zwar gemeinsam. Durch die niedrigen Zinsen sei jetzt "der ideale Zeitpunkt, um mehr zu investieren", findet er. Geht es nach der OECD, sollten Deutschland und andere Staaten mehr Geld für Bildung ausgeben. Das fördere die Produktivität, weil Menschen so zu qualifiziertem Personal geschult würden, das digitalisierte Unternehmen brauchen. Zudem erhöhe frühkindliche Förderung die Chancengleichheit und im nächsten Schritt die Einkommensgleichheit. Da bestehe gerade in Deutschland Nachholbedarf. Was die Infrastruktur angeht, könnten Staaten gemeinsame Projekte anschieben, zum Beispiel in Transportnetze. Kastrops Botschaft: Wenn alle investieren, werden die Handelsbeziehungen gestärkt. Und am Ende profitieren alle umso mehr. Kastrop bietet nicht in erster Linie Lösungen für einzelne Staaten, sondern hat das große Ganze im Blick. Es stand schon mal besser um das vereinigte Europa als zurzeit, aber: Es gibt noch Menschen, die so denken.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: