Münchner Konzern:Für viele Siemensianer ist die Görlitz-Wende kein Trost

Siemens-Beschäftigte demonstrieren in Offenbach

Siemens-Mitarbeiter protestieren in Offenbach gegen den geplanten Stellenabbau.

(Foto: Frank Rumpenhorst/picture alliance)

Dass der Konzern nun doch am Werk in der strukturschwachen Region festhält, ist politisch richtig. Doch die Jobs gehen anderswo verloren.

Kommentar von Caspar Busse

Groß war die Empörung, als der Siemens-Konzern im vergangenen November das Aus für den Standort Görlitz ankündigte. Die Politik intervenierte, die Mitarbeiter demonstrierten. Einige Beschäftigte wählten eine besondere Art des Protestes und radelten Ende Januar die fast 600 Kilometer von Sachsen nach München, um anlässlich der Hauptversammlung persönlich bei Konzernchef Joe Kaeser vorzusprechen.

Die Aktionen hatten Erfolg. Siemens revidiert die Entscheidung: Das Werk in Görlitz bleibt erhalten und soll nun sogar zur Zentrale des weltweiten Geschäftes mit Industrie-Dampfturbinen ausgebaut werden. Auch wenn trotzdem viele Jobs in Ostsachsen abgebaut werden, der große Kahlschlag bleibt aus. Das ist richtig so. Denn ein Weltkonzern wie Siemens hat gesellschaftliche Verantwortung. Die Region um Görlitz, direkt an der Grenze zu Polen, ist eines der wirtschaftlich schwächsten Gebiete in Deutschland. Die Arbeitslosigkeit ist hoch und liegt weit über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Hier wird um jeden Arbeitsplatz gekämpft, und Siemens ist mit zuletzt 700 Mitarbeitern der größte industrielle Arbeitgeber.

Ostsachsen leidet noch heute unter den Folgen der deutschen Teilung. Die Schließung des Siemens-Standorts, in den nach der Wende vor mehr als 25 Jahren viel Geld - auch mit staatlicher Unterstützung - geflossen ist, wäre ein verheerendes Signal gewesen und hätte die Probleme vergrößert. Gerade in Sachsen ist auch die politische Lage instabil, viele Wähler entscheiden sich dort für die AfD - es sind auch die dabei, die unzufrieden mit "denen da oben" sind, Menschen, die unter den wirtschaftlichen Problemen leiden und die Angst vor einem neuen Kahlschlag haben. Diese Aspekte dürfen und können Siemens-Chef Kaeser und die für Personal zuständige Janina Kugel nicht außer Acht lassen. Es ist gut, dass Görlitz nun doch noch eine Chance bekommt, sich weiterzuentwickeln.

Das Unternehmen hat sich viel zu spät auf die Energiewende eingestellt

Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Münchner Unternehmen an seinem Abbauplan insgesamt festhält. Es ist ein Nullsummenspiel. Die Jobs, die nun in Görlitz, nach öffentlichkeitswirksamen Geschacher, teilweise erhalten bleiben, fallen an anderer Stelle weg. Offenbach in Hessen zum Beispiel wird aufgegeben. Insgesamt sollen fast 7000 Jobs im Kraftwerksgeschäft gestrichen werden, die Hälfte in Deutschland. Die Kosten sollen erheblich reduziert werden.

Siemens spürt den Wandel in der Energiebranche. Große überdimensionierte Kohle- oder Gaskraftwerke, für die Siemens die Turbinen liefert, sind out. Stattdessen wird Energie aus Windkraft, Wasser oder Sonnenlicht erzeugt, möglichst dezentral in kleineren Anlagen. Diese Energiewende ist angesichts des Klimawandels und der Umweltbelastungen angebracht. Fossile Ressourcen sind begrenzt. Richtig ist aber auch, dass Siemens viel zu spät umgesteuert hat. Und der Wandel fängt gerade erst an: Für die Fabriken, in denen die großen Turbinen gebaut werden, gibt es schon keine Aufträge mehr. Bald werden auch nicht mehr so viele Servicemitarbeiter gebraucht, die heute die installierten Maschinen warten.

Die Gewerkschaft, die Politik und Siemens schmücken sich mit dem Erfolg der Rettung von Görlitz. Für die vielen Siemens-Mitarbeiter, die trotzdem gehen müssen, ist das aber kein Trost.

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