Süddeutsche Zeitung

MTV und RTL2 klagen:Aufstand der Kleinen

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Jahrelang litten die kleinen TV-Sender unter der Macht der Giganten RTL und ProSiebenSat.1. Jetzt wagen sich RTL2 und MTV aus der Deckung - und ziehen wegen umstrittener Werbe-Deals vor Gericht.

Tobias Dorfer

Es war eine historische Strafe, die das Kartellamt im Oktober 2007 verhängte: 216 Millionen Euro mussten die TV-Konzerne RTL und ProSiebenSat.1 wegen umstrittener Rabattpraktiken bei der Vermarktung von Werbezeiten zahlen. Niemals zuvor hatte die Bonner Behörde ein so hohes Bußgeld gegen ein Medienunternehmen verhängt. Zähneknirschend akzeptierten die beiden Konzerne die Strafe und gelobten unisono Besserung.

Jetzt holt die Vergangenheit die beiden Büßer wieder ein. In mehreren Gerichtsverfahren kommen die dubiosen Praktiken der vergangenen Jahre wieder auf den Tisch. Zwei kleinere Sender, die sich durch die Marktmacht von RTL und ProSiebenSat.1 behindert sahen, haben die TV-Platzhirsche inzwischen vor Gericht gezerrt.

Beim Landgericht München I liegt eine Klage des Musiksenders MTV. Sie richtet sich gegen die Sender der Mediengruppe RTL (RTL, Vox, n-TV, Super RTL) sowie gegen IP Deutschland - also jene Tochter, welche die Werbezeiten der gesamten Sendergruppe vermarktet.

MTV moniert, dem Sender seien "durch wettbewerbswidrige, behindernde Rabattpraktiken" Schäden entstanden. Das sagte ein Sprecher des Gerichts zu sueddeutsche.de. Konkret fühle sich MTV "durch das Verhalten der Beklagten beim Marktzutritt bzw. dem Ausbau von Marktanteilen behindert". Geklagt wird in erster Linie auf Auskunft und - in zweiter Stufe - auf einen noch zu beziffernden Schadenersatz.

Klage gegen eigenen Gesellschafter

Eine brisanter Fall beschäftigt bereits seit geraumer Zeit das Landgericht Düsseldorf. Hier liegt eine Schadenersatzklage des Münchner Privatsenders RTL2 und dessen Vermarkter El Cartel vor. Beschuldigt wird die Sendergruppe ProSiebenSat.1 (Sat.1, ProSieben, Kabel eins, N24) sowie deren Vermarkter SevenOne Media.

Besonders pikant ist das Düsseldorfer Verfahren, weil RTL2 zusätzlich auch gegen die RTL-Gruppe sowie IP Deutschland klagt - und damit gegen den eigenen Gesellschafter. An dem Münchner Privatsender hält die RTL Group immerhin 35,9 Prozent. Der Rest gehört dem Hamburger Verlag Heinrich Bauer sowie dem Medienunternehmer Herbert Kloiber, dem Disney-Konzern sowie dem Burda-Verlag. Offenbar ist dieser Eignerkreis auch maßgeblicher Treiber der Klage. Denn sie sind der Überzeugung, RTL2 sei um mindestens einen zweistelligen Millionenbetrag gebracht worden.

Nun kommen noch einmal die Methoden eines Duopols zur Sprache, das womöglich den Wettbewerb und die guten Sitten ausgeschaltet hat, im Interesse der Aktionäre. Bei der RTL Group steht der Gütersloher Bertelsmann-Konzern dahinter, bei ProSiebenSat1 kassieren mittlerweile "Heuschrecken", also rabiate Private-Equity-Firmen, sowie Kleinaktinonäre.

Etwa 45 Media-Agenturen haben kürzlich Päckchen mit Unterlagen zu dem Fall RTL2 bekommen, sogenannte Streitverkündungen. Die Agenturen können nun entscheiden, ob sie sich auf die Seite der Beklagten stellen und dem Rechtsstreit beitreten.

Dies ist eine Präventivmaßnahme. Sollten die Agenturen der Aufforderung nachkommen, können sie im Falle einer Niederlage von ProSiebenSat.1 und RTL die Großsender nicht mehr für aus dem Verfahren entstandene Schäden verantwortlich machen. RTL, RTL2 und MTV wollen sich zu "laufenden Verfahren" nicht äußern. Auch Kloiber und der Bauer-Verlag lehnten eine Stellungnahme ab.

Anstoß des Zwergenaufstands ist ein höchst umstrittenes Vermarktungsmodell von TV-Werbezeiten. Die beiden führenden Senderketten ProSiebenSat.1 und RTL hatten einst den Mediaagenturen, die Werbung aus Industrie und Wirtschaft an das Fernsehen vermitteln, immense Nachlässe in Form von Gratis-Werbespots gewährt.

Für die Mediaagenturen lohnten sich diese "Share-Deals". Denn sie verkauften die Gratis-Spots oft auf eigene Rechnung und steckten die Gewinne in die eigene Tasche. Dass bei diesen Geschäften auch Etliches recht zwielichtig war, zeigt der Fall von Alexander Ruzicka, dem ehemaligen Deutschland-Chef von Aegis, einer der weltweit größten Mediaagenturen. Weil Ruzicka die Erträge aus den Frei-Spots selbst einbehielt und seinem Arbeitgeber um einen Millionenbetrag schädigte, sitzt er jetzt im Gefängnis.

Die Verlierer des Werbe-Kartells waren die kleinen TV-Sender, die ihre Werbezeiten selbst vermarkten und nicht Teil einer großen Senderfamilie sind. Besonders RTL2, das sich nicht von IP Deutschland, sondern seit 2003 von dem eigenen Vermarkter El Cartel betreuen lässt, hatte durch die Deals der Großen wohl erhebliche Nachteile. "Dieses Geflecht ist für die Sender mit geringen Marktanteilen nicht zu durchbrechen. Ihnen entsteht so ein immenser wirtschaftlicher Schaden", sagt Helmut Thoma, der von 1986 bis 1998 Geschäftsführer von RTL in Deutschland war, zu sueddeutsche.de.

"Fast alles wie früher"

Und wie ist die Lage heute? Nach der Rüge durch das Kartellamt haben ProSiebenSat.1 und RTL neue Vermarktungsmodelle ausgetüftelt - ob sich durch sie, wie vom Kartellamt gewünscht, die Situation der kleinen Sender gebessert hat, ist fraglich. Ex-RTL-Chef Thoma glaubt zumindest nicht daran. "Die Rabattverträge gibt es nach wie vor, es geschieht nur alles versteckter", vermutet der Medienmanager. Nachdem die alten Systeme aufgeflogen waren, hätte sich die Lage der kleinen Anstalten zwar erst einmal verbessert, so Thoma. "Inzwischen ist alles wieder fast wie früher."

Die großen Sender sehen das anders. Seit dem Beschluss des Kartellamts vor zwei Jahren habe sich das Rabattsystem von IP Deutschland "grundlegend geändert", sagte eine Sprecherin des Vermarkters. Der Wettbewerb habe sich verschärft. Und auch ProSiebenSat.1 wehrt sich gegen diese Vorwürfe. "Unsere Vermarktungspraxis erfüllt die Vorgaben des Kartellrechts", sagte ein Konzernsprecher von ProSiebenSat.1. Insofern sehe der Konzern keine Nachteile für andere Medienunternehmen.

Zumindest ein hochrangiger Manager der Münchner Sendergruppe hat kurz nach dem Beschluss des Kartellamts im Oktober 2007 sein Urteil gefällt - der damalige Marketing-Vorstand von ProSiebenSat.1, Peter Christmann. Er sagte klipp und klar: "Wir glauben nicht, dass in der neuen Welt nun die kleinen Sender umsatzmäßig große Sprünge machen werden".

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