Süddeutsche Zeitung

Montagsinterview:"Wir gehen da voll ins Risiko"

Curevac-Vorstandschef Franz-Werner Haas über die Suche nach einem Impfstoff gegen das Coronavirus Sars-CoV-2, den Aufbau der Produktion und den Börsengang in den USA am Freitag.

Von Elisabeth Dostert und Stefan Mayr

Das Eckbüro in der neuen Zentrale des Biotechnologieunternehmens Curevac in Tübingen ist spartanisch eingerichtet. Einziger Farbklecks ist ein blaues Gemälde, das einen Löwenkopf zeigt. Der Druck, der auf Vorstandschef Franz-Werner Haas, 50, lastet, ist groß. Bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffes auf Basis der Boten-RNA sind Firmen wie Biontech aus Mainz oder der US-Konzern Moderna weiter. In einem Punkt hat Curevac nun gleichgezogen. Seit Freitag ist das Unternehmen an der US-Technologiebörse Nasdaq notiert.

Herr Haas, Sie konnten wegen der Pandemie nicht nach New York, die Glocke im Börsensaal haben Sie virtuell geläutet. Warum aber erst nach Handelsschluss und nicht zu Beginn?

Franz-Werner Haas: Wir haben die Schlussglocke zugeteilt bekommen. Man kann es sich nicht aussuchen, ob man die Glocke zur Eröffnung oder zum Schluss läutet. Das ist wie an der Einkaufstheke. Man zieht eine Marke und weiß dann, wann man dran ist.

Es war ein fulminanter Börsenstart. Der Ausgabepreis lag bei 16 Dollar am oberen Ende der Preisspanne. Damit haben Sie gut 210 Millionen Dollar eingesammelt. Der Schlusskurs am Freitag lag bei 55,90 Dollar. Sie haben Geld verschenkt! Sie hätten viel mehr von den Investoren verlangen können!

Wir freuen uns sehr über unseren erfolgreichen Börsengang, er ist das Ergebnis monatelanger Arbeit des gesamten Curevac-Teams. Von der initialen Bewertung sind wir bewusst nicht allzu hoch eingestiegen, um Luft nach oben zu lassen. Im Übrigen haben wir in den vergangenen Monaten insgesamt rund eine Milliarde Euro eingesammelt. Damit verfügen wir über finanzielle Mittel, mit denen wir die Erreichung der nächsten Meilensteine finanzieren können. Anschließend wird es weitere Finanzierungsrunden mit neuer Bewertung geben.

Wie groß ist die Enttäuschung, dass Sie nicht vor Ort sein können?

Das tut weh, denn ein Börsengang ist für jedes Unternehmen ein ganz besonderes Ereignis.

Wie haben Sie den Abend verbracht? Haben Sie am Bildschirm den Kursverlauf beobachtet?

Dem Coronavirus geschuldet saßen wir hier in Tübingen nur im kleinen Kreis zusammen, nachdem wir eine virtuelle Mitarbeiterversammlung abgehalten haben. Neben anderen Curevac-Gründern war auch Ingmar Hoerr dabei. Da er zu Beginn des Jahres erkrankt ist, habe ich das Amt des Vorstandsvorsitzenden übernommen. Er befindet sich auf einem guten Weg der Besserung, seine physische Teilnahme war ein emotionaler und zugleich glücklicher Moment für uns alle.

War Ihr Großaktionär, SAP-Gründer Dietmar Hopp auch da?

Ja, allerdings situationsbedingt in Form einer virtuellen Grußbotschaft.

Wie viel Geld hat Curevac bislang in die Entwicklung eines Corona-Impfstoffes gesteckt?

Einen signifikanten zweistelligen Millionenbetrag. Die klinische Phase eins läuft gerade. Ich zögere etwas, eine genaue Summe zu nennen, weil wir anschließend schnell in die Phasen zwei und drei gehen wollen, mit 20 000 bis 30 000 Probanden, das kostet Geld. Und wir bauen unsere Produktion aus.

Wie viel Geld werden Sie bis zur Marktzulassung brauchen, wenn sie denn gelingt?

Um die 400 Millionen Euro.

Andere Firmen wie Biontech oder Moderna, die wie Curevac einen Impfstoff auf Basis der Boten-RNA entwickeln, sind schon in der klinischen Phase drei. Was passiert, wenn der Impfstoff von Curevac zu spät auf den Markt kommt und Sie den Wettlauf verlieren?

Wir haben weniger einen Wettlauf gegeneinander als gegen die Zeit, um das Virus in den Griff zu bekommen. Es gibt viele Firmen, die an einem Boten-RNA-Impfstoff arbeiten. Alle Daten sehen gut aus, auch die von Biontech und Moderna. Aber alle Firmen zusammen werden nicht genügend Impfstoff haben, um den weltweiten Bedarf zu decken. Es macht nichts, wenn man zwei, drei Monate später auf den Markt kommt. Es gibt kein zu spät.

Curevac hat sich schon mit RNA beschäftigt, bevor Biontech gegründet wurde. Wieso sind andere vorbeigezogen?

Es dauert lange, so eine Technologie zu entwickeln. Als Ingmar Hoerr Curevac vor 20 Jahren mitgegründet hat, hat keiner an die Technologie geglaubt. 2006 haben wir dann eine eigene Produktion aufbauen müssen, weil es weltweit keine gab. 2008 haben wir die erste Studie für eine mRNA-basierte Therapie gegen Prostatakrebs durchgeführt. Das hat zwei, drei Jahre gedauert, das ist lang für ein Biotechunternehmen. Die erste Formulierung, also das Medium, in das die RNA eingepackt wird, funktionierte nicht richtig, es gab keine Immunreaktion. Die Studie ist dann gescheitert. Wir mussten zurück in den Maschinenraum und neu starten. Heute können wir die RNA so optimieren, dass sie eine Immunantwort erzeugt. Wir hatten das Pech des Pioniers. Die anderen mussten das Rad nicht mehr neu erfinden.

Andere Impfstoffentwickler haben sich längst mit großen Pharmafirmen verbündet wie Pfizer oder Astra Zeneca, um den Impfstoff zu produzieren und zu vermarkten. Brauchen Sie keinen Partner?

Doch. Wir sind in Gesprächen. Alleine werden wir das nicht schaffen.

Einzelne Staaten sichern sich schon Kontingente an Impfstoff. Müsste nicht schon jetzt darüber geredet werden, nach welchem Schlüssel er verteilt werden soll?

Für mich gibt es eine klare Antwort: Jeder muss den Impfstoff bekommen.

Aber für alle wird das gleichzeitig nicht klappen. Also, wer darf zuerst?

Diejenigen und zwar länderübergreifend, die das Gesundheitssystem aufrechterhalten, Pflegedienste und Sicherheitskräfte. Wer die Entwicklung mitfinanziert, wird auch ein Mitspracherecht über die Verteilung und den Preis haben. Wenn man alles alleine finanziert, hat man eine größere Freiheit.

Weltweit werden bereits Impfstofflieferungen in Millionenhöhe vereinbart. Haben Sie auch schon Bestellungen?

Nein, aber wir reden mit verschiedenen Regierungen.

Auch mit der US-Regierung?

Wir waren im März als einzige deutsche Firma zum runden Tisch mit Donald Trump eingeladen. Seither gab es keine Gespräche. Es gab im Übrigen auch nie ein Übernahmeangebot. Das waren Gerüchte.

Aber die haben zumindest das öffentliche Interesse an Curevac erhöht.

Das waren keine angenehmen Wochen, kann ich Ihnen sagen. Demonstranten standen vor unserem Haus. Für die Mitarbeiter war das ein Spießrutenlauf. Wir hatten Polizeischutz, weil sich die Leute bedroht fühlten. Geholfen hat das uns nicht.

Wenig später hat sich dann der Bund für 300 Millionen Euro beteiligt.

Wir sind auf die Regierung zugegangen und haben gesagt: Wir haben etwas zu bieten. Die kannten uns auch schon vorher. Wir sind nicht plötzlich unter dem Stein hervorgekrochen.

Hat der Bund, der nun knapp ein Fünftel des Kapitals hält, ein Vorkaufsrecht für Ihren Impfstoff?

Nicht aufgrund der Beteiligung. Wir haben uns allerdings auch um Mittel aus einem Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung beworben. Das ist Geld, das explizit für die Impfstoffentwicklung zur Verfügung gestellt wird. Daran sind bestimmte Erwartungen geknüpft, wer das Produkt bekommt und was es kosten soll. Das gilt auch für den Kredit, den uns die EU gegeben hat.

Aber was ist die Erwartung? Dass der Impfstoff zuerst für Deutschland bereitgestellt wird?

Wir kennen die Konditionen noch nicht.

Haben Sie derzeit genug Geld oder brauchen Sie noch mehr?

Wir produzieren seit März Impfstoffe. Das kostet viel Geld. Wir wissen ja noch nicht mal, ob der Wirkstoff funktioniert, den wir gerade in der Klinik haben. Wir gehen da voll ins Risiko. Aber unsere Aktionäre waren bereit, dieses Risiko einzugehen. Es geht schon auch um die Ehre.

Inwiefern?

Wir haben jetzt die Möglichkeit genau das zu beweisen, wofür Curevac gegründet wurde. Wir sind schon durch einige Tiefs gegangen, da werden wir jetzt nicht aufgeben. Geld ist momentan nicht das Problem. Wir brauchen einen Impfstoff.

Wie hoch wird denn der Preis sein, den Curevac mindestens verlangen muss, damit sich das Geschäft lohnt?

Ein Bereich von zehn, 15 Euro sollte machbar sein. Die Entwicklung kostet Geld, das müssen wir verdienen.

Die Produktion läuft schon, wie viele Dosen haben Sie schon produziert?

Das kann ich nicht sagen, weil wir noch nicht wissen, wie hoch die Dosis sein muss. Wir testen mit vier, sechs und acht Mikrogramm. Wir bauen gerade die Produktion in unserem bestehenden Werk auf. Die Großanlage soll dann 2022 in Betrieb gehen, dann können wir Milliarden Dosen liefern.

Tesla will bei der deutschen Tochterfirma Grohmann Minifabriken für den Impfstoff bauen. Gibt es schon einen Prototypen?

Den haben unsere Techniker entwickelt. Vor drei Jahren haben wir mit der Firma Grohmann ausgemacht, dass wir gemeinsam eine Serienproduktion aufbauen. Dann hat Tesla Grohmann gekauft - und unser Projekt wurde eingestellt. Also sind wir nach Kalifornien gefahren und haben denen erklärt, dass die Minifabriken toll sind. So kleine Fabriken sind schnell aufgezogen in Städten in Asien oder Afrika und können vor Ort sehr zügig kleine Mengen des Impfstoffs herstellen. Das kann die Ausbreitung des Virus regional eindämmen. Wir entwickeln den Prototypen weiter und wollen mit Tesla in Serie gehen.

Wann?

Das kann ich nicht genau sagen.

Was wird so ein Ding kosten?

Das wissen wir nicht.

Welches Risiko fürchten Sie am meisten bei der Impfstoffentwicklung?

Was die anderen Hersteller auch fürchten: Es wäre fatal, wenn ein Impfstoff Sicherheits- und Verträglichkeitsprobleme machen würde. Wir bewegen uns in einem Spannungsverhältnis. Einerseits wollen wir so schnell wie möglich sein, andererseits keine Kompromisse bei Sicherheit und Verträglichkeit eingehen. Es wäre tragisch, wenn wir keinen wirksamen Schutz generieren, nicht nur für die Unternehmen, mehr noch für die Gesellschaft. Aber wir sind optimistisch, dass unser Impfstoff wirkt.

Für Curevac geht es doch noch um viel mehr als um einen Impfstoff gegen das Coronavirus. Gelingt Ihnen das, haben Sie bewiesen, dass Ihre Technologie funktioniert, wenn nicht, verlieren Sie das Vertrauen - nicht nur der Investoren. Der Druck muss immens sein?

Es ist ein Riesendruck.

Offen gesagt sieht man Ihnen das nicht an.

Seit März habe ich nicht viel Schlaf bekommen. Alle unsere Mitarbeiter arbeiten echt hart. Aber alle sind motiviert. So eine Aufgabe spornt an. Ich hatte in dieser Woche 50 Gespräche mit Investoren. In der Nacht zum Donnerstag endete das letzte Telefonat mit einem Interessenten in Kalifornien um zwei Uhr morgens, und um sieben Uhr ging es weiter.

Franz-Werner Haas, 50, hat in Saarbrücken, Leuven und Edinburgh Jura studiert. Zu Curevac kam er im Sommer 2012. Seit Mitte März 2020 ist er Vorstandschef, zunächst vorübergehend, seit ein paar Tagen auf Dauer.

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Quelle:
SZ vom 17.08.2020
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