Montagsinterview:"Ich will den Leuten in die Augen schauen"

Sabine Herold, Chefin des Mittelständlers Delo, Pressebilder

"Ich habe in 30 Jahren noch nie so viele Mails des Danks bekommen", sagt Sabine Herold, Chefin von Delo.

(Foto: Jens Schwarz/Delo)

Delo-Chefin Sabine Herold über Arbeiten in Corona-Zeiten. Auch ihre Firma hatte weniger zu tun. Doch sie nutzte die Zeit.

Von Elisabeth Dostert

Der Firmensitz von Delo liegt etwas außerhalb von Windach. Bis zum Ammersee ist es nicht weit. Das Unternehmen stellt Industrieklebstoffe her und die dazu nötigen Dosier- und Aushärtegeräte. Damit werden zum Beispiel die Chips auf Kreditkarten verklebt oder die Kameras in Smartphones. Auf dem gut gepflegten Rasen vor der Kantine eine Bronzeskulptur, die die Gesellschafter, das Ehepaar Sabine und Wolf-Dietrich Herold, in Lebensgröße zeigt.

Frau Herold, Sie und Ihr Mann haben sich ein Denkmal gesetzt. Sind Sie nicht zu jung, um sich schon verewigen zu lassen?

Sabine Herold: Darum ging es nicht. Wir wollten manifestieren, dass Delo ein Familienunternehmen ist und bleiben soll. Mein Mann und ich sind viel gemeinsam unterwegs. Wenn uns etwas passiert, sind plötzlich beide weg. Wir möchten nicht, dass Delo irgendwann meistbietend an einen Konzern verkauft wird. Mein Mann hat früher für ein Dentalunternehmen gearbeitet. Die damaligen Eigentümer hatten Bronzebüsten von sich anfertigen lassen. Meinem Mann hat das gefallen, aber ich wollte keine abgeschlagenen Köpfe, sondern wenn überhaupt, eine ganze Figur.

Planen Sie schon den Rückzug?

Nein, überhaupt nicht. Mein Mann war Mitte 50, als wir 1997 Delo übernommen haben, auch weil er keine Lust hatte, mit 63 in Rente geschickt zu werden. Er kommt heute eben später in die Firma. Ich komme gegen zehn und bleibe bis halb acht, acht.

Hat sich daran auch in der Corona-Pandemie nichts geändert?

Die ersten Wochen waren hart. Ich war teilweise auch am Wochenende in der Firma. Als Markus Söder an einem Freitagvormittag den Lockdown verkündete, hatten wir zwei Stunden Zeit, Passierscheine zu drucken und an die Mitarbeiter auszugeben, damit sie am Montag wiederkommen durften. Samstag, Sonntag haben wir im Krisenstab überlegt, welche Maßnahmen wir brauchen. Die Lage war absurd. Ich war in Bezug auf die gesamte Corona-Situation vielleicht auch ein wenig blauäugig.

Inwiefern?

Ich dachte nur, die können uns doch nicht die Firma schließen. Irgendwie muss es doch machbar sein, alles am Laufen zu halten. Ich wollte auf keinen Fall alle nach Hause schicken. Ich selbst habe null Home-Office gemacht, wie alle Führungskräfte. Unsere Kapitäne waren immer an Bord.

Sie halten nichts vom Home-Office?

Wenn man innovativ arbeiten will, ist Absprache und Austausch wichtig. Ich bin auch manchmal auf der falschen Schiene, dann empfinde ich es als angenehm, wenn einem jemand bei einer zufälligen Begegnung auf dem Flur oder beim Plausch in der Teeküche oder in der Kantine sagt, was man selbst nicht bedacht hat. Ich bekomme hier dauernd mein Regulativ geboten. Ich finde es schön, sich morgens zurecht zu machen und ins Büro zu gehen.

Sie können sich auch für das Home-Office zurechtmachen. Es gibt im Internet schon Stilberatungen für Videokonferenzen.

Ich weiß. Aber ich will den Leuten in die Augen schauen. Ich will sehen, wie sie lachen. Noch gibt es keine Bildschirme, die den Blick genau tracken und es so umrechnen, dass man sich wirklich anguckt. Es hat auch nicht jeder zu Hause den Platz, um dort zu arbeiten. Die Leute in der Produktion müssen zur Arbeit. Ich dachte eigentlich, die Unterschiede zwischen gewerblichen Arbeitnehmern und Angestellten seien überwunden. Das ändert sich gerade wieder.

Haben Sie Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt?

Keinen Tag, keine Stunde, kein Prozent.

Weil Sie es nicht brauchten oder aus falschem Stolz?

Aus richtigem Stolz. Es kann doch nicht sein, dass nach drei Tagen Krise Tausende Menschen in Kurzarbeit geschickt werden. Das ärgert mich, besonders von der Automobilindustrie. Die hat seit vergangenem Jahr Absatz- und Modellprobleme. Die Verbraucher sind verunsichert. Ich habe kein E-Auto und will mir auch keins kaufen. Ich fahre öfters zum Flughafen und lasse mein Auto dann auch mal eine Woche dort stehen, auch im Winter. Ich kann nicht riskieren, dass der Akku dann leer ist. Hybride halte ich als Ingenieurin für den größten Quatsch, weil ich dann beide Technologien mitschleppe. Und Verbrenner sind verpönt. Was soll ich mir denn jetzt bitteschön kaufen?

Mussten Sie die Produktion kürzen?

Die Kollegen hatten weniger zu tun, das stimmt. Aber dann ist die ein oder andere Maschine mal noch gründlicher gereinigt worden. Und wir haben die Zeit genutzt, um Teile der Produktion in eine neue Halle umzuziehen. Natürlich belastet die Pandemie auch unsere Eigenkapitalquote, aber der Verzicht auf Kurzarbeit ist ein Zeichen an unsere Mitarbeiter, dass sie 100 Prozent Lohn kriegen und 100 Prozent Arbeit.

Ihre Kritik an der Autoindustrie mag berechtigt sein, aber was soll ein Händler tun, wenn er seinen Laden nicht mehr öffnen darf?

Eines muss ich klarstellen: Ich bin ein Fan von Kurzarbeit. Meine Freundin hat einen kleinen Laden. Sie hatte gerade ihre gesamte Ware, Schuhe, Taschen und so weiter, auf dem Lager, als der Lockdown kam. Sie musste ihren Laden schließen. Das Geld für die Ware war trotzdem fällig. Für Einzelhändler, Gaststätten, Firmen mit sehr viel Publikumsverkehr ist die Kurzarbeit ein tolles Instrument.

Hatten Sie denn in den vergangenen Wochen nie Existenzängste?

Nein. Ich will das Virus nicht verharmlosen. Ich habe einige Bekannte, die sich infiziert haben. In allen Fällen ist es glimpflich ausgegangen. Ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen sind sicherlich stärker gefährdet. Die dürfen bei Delo natürlich auch im Home-Office arbeiten.

Sie kritisieren gerne und oft die Bundesregierung, zu viel Bürokratie, zu wenig Forschungsförderung und vieles mehr. Mit ihrem Krisenmanagement in der Pandemie scheinen Sie zufrieden zu sein?

Am Anfang schon. Es hat mir dann zu lange gedauert, bis die Schlüsse gezogen wurden. Und ich verstehe nicht alle: Ich durfte Wurst und Käse kaufen, aber keine Schuhe? Dass Nasen-Mund-Schutz und Abstand wichtig sind, ist klar. Aber wie jemand die Arbeit mit Abstandsregeln für sein Unternehmen umsetzt, sollte man ihm überlassen. Ich hätte mir mehr Freiheitsgrade gewünscht für individuelle Lösungen. Wir sind doch mündige Bürger.

2020/21 wird kein Rekordjahr für Delo?

Nein. Dass das Virus eine andere Dimension hat, zeichnete sich im Januar ab. Einer unserer Kollegen lebt in einer Wohnanlage in Wuhan, der Stadt, in der das Virus ausbrach. Der Hauswart kam, holte den Wohnungsschlüssel und schloss von außen ab. Den Schlüssel legte er unter die Fußmatte für Notfälle, falls es brennt und die Feuerwehr Zugang braucht. Sechs, acht Wochen war der Mann eingesperrt mit seiner Freundin in der kleinen Wohnung. Da dachte ich: Da ist etwas in China, das ist anders als sonst. Ende März und im April, als der Lockdown in China gelockert wurde, haben unsere Kunden dort wie wild bestellt, um die Lager zu füllen, falls in Windach die Produktion geschlossen wird. Im Mai, Juni, Juli brach dann die Nachfrage ein.

Wie viel Umsatz haben Sie 2019 gemacht und womit rechnen Sie dieses Jahr?

2019/2020, das Geschäftsjahr endete im März, waren es 163 Millionen Euro. Ich bin stolz, wenn wir in diesem Jahr mit 160 Millionen Euro rauskommen. Eigentlich hatten wir noch ein neues Gebäude geplant. Das haben wir erst einmal verschoben.

Was haben Sie aus der Pandemie für sich und die Firma gelernt?

Mir sind ein paar Sachen aufgefallen, die ich früher manchmal in Frage gestellt habe, und von denen ich jetzt weiß, dass sie wichtig sind. Zum Beispiel unser jährliches Strategietreffen mit oftmals denselben Themen: Wir reden darüber, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Wir reden darüber, ob unser Sortiment und der Kundenkreis ausreichend diversifiziert sind und überlegen, wo etwas Neues entsteht. Das Schöne am Klebstoff ist, dass man nicht von einer Branche abhängig ist. In Krisen, schon in der Finanzkrise 2008 und jetzt wieder, zeigt sich, dass die Themen, die wir diskutieren, genau die richtigen sind.

Auf welchen Feldern wachsen Sie denn?

Zum Beispiel in der E-Mobilität. In E-Motoren und in Batteriesystemen braucht es spezielle Klebstoffe.

Was haben Sie noch gelernt?

Wie stark das Team ist, und zwar alle Mitarbeiter. Wir achten bei Bewerbern sehr darauf, dass sie ins Team passen. Das zahlt sich aus. Bis vor ein paar Jahren waren mein Mann und ich sogar in jedem Bewerbungsgespräch dabei. Das machen wir nicht mehr. Aber jeder neue Mitarbeiter stellt sich der Geschäftsführung vor.

Wirklich alle oder nur Führungskräfte?

Alle. Auch jeder Mitarbeiter in der Produktion und jede Reinigungskraft und jeder Akademiker. Wir machen einmal im Monat mit allen eine Vorstellungsrunde.

Sie haben die Reinigung nicht wie viele andere Unternehmen ausgelagert?

Nein. Das Reinigungsteam gehört bei uns genauso dazu. Wenn ich weiß, der Kollege putzt mein Büro, den sehe ich täglich, dann wische ich den Kaffeerand auf meinem Schreibtisch eher mal selbst weg, bevor er meinen Dreck wegmachen muss.

Waren Ihre Mitarbeiter mit Ihren Corona-Maßnahmen zufrieden?

Unsere Mitarbeiter haben schnell gemerkt, dass wir die richtigen Vorkehrungen treffen. Es gab Sorgen, aber die sind schnell Vertrauen gewichen. Mitarbeiter neigen nicht dazu, die Führungskräfte zu loben. Aber ich habe in 30 Jahren noch nie so viele Mails des Danks bekommen.

Sabine Herold, 57, wurde in Fulda geboren und hat 1988 ihr Diplom als Chemieingenieurin an der Friedrich-Alexander Universität Erlangen gemacht. Gleich nach dem Studium fing sie als Außendienstlerin bei Delo an. Die Firma gehörte damals noch zum Dentalkonzern Espe Dental, für den auch ihr späterer Mann Wolf-Dietrich Herold arbeitete. 1997 übernahm das Paar Delo. Unter ihrer Führung ist die Firma stark gewachsen. Es setzt heute mit rund 800 Mitarbeitern gut 160 Millionen Euro um.

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