Montagsinterview:Ein paar Sekunden Aufmerksamkeit

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Serviceplan-Chef Florian Haller (links) und sein Vater Peter vor der Hauptverwaltung in München. (Foto: Stephan Rumpf)

Florian Haller, Chef der Münchner Werbeagentur Serviceplan, und sein Vater Peter Haller, Mitgründer des Unternehmens, sprechen über Werbung in Zeiten der Digitalisierung, neue Zielgruppen und die Folgen der Corona-Pandemie.

Von Thomas Fromm

Als Peter Haller, 82, vor 50 Jahren zusammen mit seinem Partner Rolf Stempel die Münchner Werbeagentur Serviceplan gründete, war die Werbewelt eine andere. Es gab Zeitungen und Zeitschriften, ein bisschen Fernsehen, nicht viel mehr. Und vor allem: kein Internet, keine sozialen Kanäle. Haller machte damals erste Werbekampagnen für Camembert und Puffreis. Jetzt sitzen er und sein Sohn Florian, 52, heute Hauptgeschäftsführer der Agentur, in einem Besprechungsraum hinter dem Münchner Königsplatz. Ein Generationengespräch über Werbung, Sprache und Arbeiten in Zeiten eines globalen Virus.

SZ: Herr Haller, Ihre Agentur hat vor 50 Jahren Werbung für Käse gemacht. Im vergangenen Jahr haben Sie mit der Non-Profit-Rettungseinheit Sea-Watch eine Kampagne zur Lage von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer entworfen. Die Welt hat sich ganz schön verändert ...

Florian Haller: Als Agentur engagieren wir uns jenseits unserer Tagesarbeit ganz gerne für solche Themen. Sea-Watch ist so ein Beispiel, wo wir etwas zurückgeben können. Für uns war das eine Non-Profit-Geschichte, aber klar: Marken müssen immer mehr auch für Nachhaltigkeit und gesellschaftspolitische Themen stehen.

Larry Fink, der Chef der mächtigen Investmentgesellschaft Blackrock, hat einen Brief an Konzernmanager geschrieben. Seine Forderung: mehr Nachhaltigkeit. So etwas hätte es vor 40 oder 50 Jahren auch nicht gegeben, oder?

Peter Haller: Nein, natürlich nicht. Damals ging es um viel betriebswirtschaftlichere und marketingorientiertere Themen. Wir waren nur in unserem eigenen Umfeld unterwegs. Heute müssen wir viel mehr die Politik mit einbeziehen, das erwarten die Kunden auch.

"How dare you?", "Wie könnt Ihr es wagen?", fragte die Klimaaktivistin Greta Thunberg beim UN-Klimagipfel. Was bedeutet das für eine Agentur wie Serviceplan? Die Generation Z ist doch bei vielen Kampagnen längst Ihre Hauptzielgruppe.

Florian Haller: Das Wichtigste, was sich geändert hat, ist neben der Sprache vor allem die Aufmerksamkeitsspanne der Menschen, die immer kürzer wird. Und zugleich konkurrieren immer mehr mediale Kanäle um die Aufmerksamkeit des Einzelnen. Nach ein paar Sekunden schauen junge Leute woandershin. Das heißt, dass wir plakativer und schneller kommunizieren müssen. Lange Ausführungen sollte man da vermeiden.

Woran machen Sie das fest?

Florian Haller: Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Ich habe meinen Töchtern Weihnachten etwas Gutes tun wollen und habe eine Serie aus den 70ern besorgt. Die mussten wir nach zehn Minuten abbrechen, weil meine Töchter gelangweilt waren wegen der langen Schnittfolgen.

Welche Serie war das?

Florian Haller: Das war "Frei geboren", ein herrlicher Film aus den 70ern, ich habe das damals geliebt. Ich weiß noch, wie ich damals geheult habe, als die Löwin gestorben ist. Aber meine Töchter kamen nicht so weit. Die Kamera fuhr und fuhr und fuhr, das Auto kam und kam und kam. Heute wird nach ein paar Sekunden umgeschnitten.

Peter Haller: Aber auch die Sprache hat sich verändert. Heute formulieren wir in der Werbung umgangssprachlicher, früher klang das viel gestelzter. Wir haben in der Werbung eigentlich gar nicht mit den Menschen gesprochen. Wir haben uns selbst dargestellt.

Ihr erster Kunde überhaupt war die Allgäuer Käserei Champignon. Wie bitte kommunizierte man damals Käse?

Peter Haller: Da fuhr man mit der Kamera um den Käse herum und spielte dazu "Samba Pa Ti" von Santana. Und das 30 Sekunden lang. Die Kampagne hieß: "Der Botschafter des guten Geschmacks".

Wie würde man das denn heute machen?

Florian Haller: Man würde eine Welt schaffen, aus der dieser Käse kommt. Man würde etwas über seine Herkunft berichten, im Grunde eine Geschichte hinter dem Käse erzählen.

Peter Haller: Damals wurde ja noch ein einstelliger Milliardenbetrag deutschlandweit für Werbung ausgegeben. Heute sind wir bei 25 Milliarden Euro. Und damals ist jede Kampagne in der Öffentlichkeit bemerkt worden, gerade eben weil diese Welt so klein war. Deshalb nannte man uns die "Königsmacher des Wirtschaftswunders". Da hatten wir eine ganz andere Position.

Heute haben die Menschen aber auch ganz andere Ideen vom Leben als 14-Stunden-Tage.

Florian Haller: Junge Leute hauen auch heutzutage richtig rein, sagen aber auch: Der Beruf ist nicht alles. Es ist wichtig als Arbeitgeber, hier immer am Puls der Zeit zu sein und sich die Veränderung von Ansprüchen anzunehmen, sonst verliert man die Leute. Jüngere Menschen sind oft nicht mehr ganz so geduldig. Sie hauen auch schon mal schneller in den Sack, wenn ihnen Dinge nicht passen. Und sie wollen wissen, ob man eben für Nachhaltigkeit steht.

Niemand will abends von seinen Freunden gefragt werden, ob man immer noch für diese Agentur arbeitet, die Geld mit der Zigarettenindustrie verdient.

Peter Haller: Die Zigarette galt früher als die Krone der Werbung, jeder kannte die Werbespots, die Testimonials waren berühmt. Denken sie nur an den Marlboro-Mann oder das HB-Männchen.

Sie hatten mal ein Büro vis-à-vis vom Büro des damaligen bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Politikers Franz Josef Strauß. Strauß hat als Marke zumindest in Bayern gut funktioniert - würde die heute auch noch so funktionieren?

Peter Haller: Im Prinzip schon. Gerade weil in der Politik alles immer komplexer wird, bekommen Personen wieder eine größere Bedeutung. Ein Typ wie Strauß, durchsetzungsstark und gebildet, hätte schon Erfolg. Vorausgesetzt natürlich, er würde als Typ heute anders auftreten.

Sehen Sie heute einen neuen Strauß?

Peter Haller: Markus Söder entwickelt schon einen neuen Typ von Politiker. Anders als die meisten, die wir derzeit in der Bundesrepublik haben. Sehr selbstbewusst, sehr entscheidungsstark, aber auch sehr flexibel.

Die CDU sucht gerade einen neuen Vorsitzenden. Was empfehlen Sie denen?

Peter Haller: Den Anteil der Massenwerbung zurückzudrängen. Damit überzeugen Sie immer weniger, da fühlt sich niemand mehr persönlich angesprochen. Sie müssen gezielt und mithilfe von Daten einzelne Haushalte individuell ansprechen.

Florian Haller: In der Welt der sozialen Medien braucht man eine besondere Authentizität. Wenn irgendetwas mal schiefläuft, wird derjenige nicht gelikt, und es gibt schnell einen Shitstorm. Damit ist das Geschäft weitaus schwieriger geworden.

Ein immer schwierigeres Geschäft, das Sie mit Serviceplan in einem ziemlichen Spagat machen müssen: Von den kleinen Agenturen sind Sie eine große, unter den ganz großen aber sind Sie eher klein ...

Peter Haller: Wobei wir in Deutschland mit Abstand die größte Agentur sind mit über zweieinhalbtausend Mitarbeitern und viereinhalbtausend Kolleginnen und Kollegen weltweit.

Florian Haller: Entscheidend ist nicht, ob du der Größte bist, sondern ob du eine klare Positionierung hast und die überzeugend vertreten kannst. Wir sind eine nicht börsennotierte, unabhängige Agenturgruppe, als solche sind wir weltweit die Größten, mindestens die Nummer zwei.

Aber Übernahmeangebote haben Sie wahrscheinlich schon einige bekommen.

Peter Haller: Es waren alle großen Networks schon mal hier, und zwar seit über 30 Jahren schon. Die ersten Kontakte waren mit Saatchi & Saatchi, die riefen mich eines Abends an: "Hätten Sie gerne den Pan-Am-Etat? Oder den Kodak-Etat?" Meine Antwort war: "Ja, klar." Antwort: "Dann müssen Sie mir 51 Prozent von Serviceplan verkaufen." Pan Am gibt es nicht mehr, Kodak hat Pleite gemacht, Saatchi ist von Publicis übernommen worden.

Florian Haller: Wir würden unsere Seele verlieren, wenn wir das Unternehmen an ein großes Netzwerk verkaufen. Ich sehe keinen Vorteil darin, einem Netzwerk anzugehören, abgesehen davon, dass ich einen Haufen Geld mit nach Hause nehmen würde.

Haben die Netzwerke nicht Vorteile?

Peter Haller: Wir haben in den letzten Jahren stark internationalisiert und sind in allen wichtigen Wirtschaftsregionen der Welt vertreten. Definitiv müssen wir in der Lage sein, unsere Kunden auch in Ländern wie China oder den USA zu begleiten. Wenn wir das nicht bieten könnten, hätten wir einen erheblichen Nachteil zu großen Netzwerken.

Nach dem Brexit und dem amerikanisch-chinesischen Handelsstreit jetzt auch noch das Coronavirus, das die Weltwirtschaft bedroht.

Florian Haller: Ich bin sicher, dass die Globalisierung auch in Zukunft weitergehen wird. Aber klar, es gibt Rückschläge. Und momentan sind die Auswirkungen noch nicht abzuschätzen. Da muss man agil bleiben. Langfristig wird das Wachstum wieder in Gang kommen.

Noch ist es aber so, dass die Konjunkturrisiken eher zu- als abnehmen.

Peter Haller: Nehmen Sie Donald Trump: Auch er wird eines Tages zu dem Ergebnis kommen, dass sich die Globalisierung nicht aufhalten lässt.

Nicht einmal durch das Coronavirus?

Florian Haller: Die Auswirkungen sind momentan noch nicht abzuschätzen. Es wird eine nie da gewesene Flexibilität aller Menschen gefordert, sich auf täglich neue Bedingungen einzustellen. Ganz wichtig ist es jetzt, einen kühlen Kopf zu bewahren. Trotz der aktuellen Abschottung von Nationen und Einzelpersonen müssen wir alle im ganz engen Austausch bleiben.

Welche Auswirkungen hat das Coronavirus für Ihre Branche?

Florian Haller: Die momentane Unsicherheit betrifft uns alle, Kunden wie Agenturen gleichermaßen. Wenn eine Rezession eintritt, dann werden wir das spüren. Wir sind ein prozyklisches Geschäft, und wenn die Konjunktur schlecht läuft, werden Werbebudgets zusammengekürzt. Damit müssen wir fertigwerden. Wir sind gut durch die letzte Rezession gekommen, aber das ist kein Naturgesetz. Ob uns das diesmal wieder so gut gelingt, wissen wir nicht.

Peter Haller gründete Serviceplan im Jahre 1970 in München. 2002 übergab er die Führung der Agentur an seinen Sohn Florian Haller , der das Geschäft international ausbaute. Über eigene Standorte und Kooperationen ist Serviceplan in 35 Ländern aktiv.

© SZ vom 23.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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