Süddeutsche Zeitung

Monsanto-Übernahme:Die Übernahme von Monsanto ist gefährlicher Größenwahn

Der Kauf von Monsanto durch Bayer scheint bereits ausgemachte Sache. Doch der Drang zur Größe ist riskant. Noch könnte die EU eingreifen.

Kommentar von Silvia Liebrich

Wovon werden sich die Menschen in zehn oder zwanzig Jahren ernähren? Vielleicht wird das Schweineschnitzel der Zukunft ja im Fleischlabor aus Zellkulturen gezüchtet. Oder Paprika und Tomaten wachsen in unterirdischen Zuchtfabriken, in die nie ein Sonnenstrahl vordringt. Möglicherweise verdoppelt sich dank technologischer Innovationen sogar die Getreideernte, selbst wenn dafür große Mengen an Pestiziden eingesetzt werden müssen.

Szenarien über die Zukunft des Essens gibt es viele, auch wenn künstliche Steaks oder Turbo-Weizen nicht nach jedermanns Geschmack sein mögen. Was tatsächlich auf den Tisch kommt, werden aber wohl am Ende weniger die Konsumenten, sondern eher große Agrar- und Lebensmittelkonzerne bestimmen. Vor allem dann, wenn es nicht gelingt, den Konzentrationsprozess im Ernährungssektor zu bremsen. Denn die Wertschöpfungskette vom Acker bis zum Regal im Supermarkt wird in weiten Teilen von nur noch wenigen Unternehmen kontrolliert. Aktuelles Beispiel für diesen Trend ist die geplante Übernahme des US-Konzerns Monsanto durch die deutsche Bayer AG.

Die EU muss die Übernahme von Monsanto durch Bayer stoppen

Dieser Drang zur Größe kann unerwünschte Nebenwirkungen haben, weil er den freien Wettbewerb bedroht. Bauern können in eine fatale Abhängigkeit geraten, während Verbraucher an Wahlfreiheit einbüßen. Allein dies könnten gute Argumente für die Wettbewerbsbehörde sein, die geplante Übernahme von Monsanto durch Bayer zu untersagen.

Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Im Gegenteil. Gerade erst hat die EU-Kommission zwei andere wegweisende Großprojekte durchgewunken: die Zusammenschlüsse der Bayer-Konkurrenten Dow Chemical und Dupont sowie von Syngenta und Chemchina. Ein Signal, das für den bevorstehenden Bayer-Monsanto-Entscheid wenig Gutes erahnen lässt.

Bleibt die EU ihrer Linie treu, dann werden bald nur noch drei große Agrarkonzerne knapp 60 Prozent des weltweiten Marktes für Saatgut kontrollieren und fast drei Viertel bei Pestiziden. Ihnen stehen Milliarden Abnehmer gegenüber, nicht nur Bauern, sondern indirekt auch ein großer Teil der Menschheit, der sich nicht selbst mit Nahrung versorgen kann. Eine solche Marktstruktur gilt als klassisches Oligopol, bei dem der Wettbewerb eingeschränkt sein kann. Für die Kartellbehörde ein Grund, besonders gründlich hinzuschauen. Im Fall der Bayer-Konkurrenten kam sie dabei zu dem Schluss, dass gegen einen Zusammenschluss nichts einzuwenden ist, wenn einige Auflagen erfüllt und einzelne Geschäftsteile verkauft werden.

Damit setzen sich die Prüfer aber auch dem Vorwurf aus, sie würden zu lasch regulieren. Tatsächlich wurden in den vergangenen Jahren in Brüssel fast alle Fusions- und Übernahmeanträge positiv beschieden, mit wenigen Ausnahmen. Das allein lässt aber keinen Rückschluss auf einen Mangel an Kontrolle zu. Denn in der Regel werden nur solche Fälle angemeldet, die Aussicht auf Genehmigung haben, alle anderen werden erst gar nicht vorgelegt.

Aus rein kartellrechtlicher Sicht mag die Zustimmung für die Fusionen im Agrarsektor also durchaus korrekt sein. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Entscheidungen im Ergebnis falsch sind. Denn die Macht der Konzerne hat auch eine politische und gesellschaftliche Dimension, die sich mithilfe des Kartellrechts allein nicht regulieren lässt. Es genügt nicht, die Dominanz einzelner Firmen vor allem daran zu bemessen, ob der zulässige Marktanteil in einem bestimmten Gebiet überschritten ist oder nicht. Erst recht nicht, wenn dabei die globale Stärke von Konzernen wie Monsanto oder Bayer vernachlässigt wird. Es ist die EU-Kommission, die nach gründlicher Prüfung, am Ende den Daumen hebt oder senkt. Und dieser Verantwortung muss sie sich nun im Fall Bayer-Monsanto stellen. Dabei gilt es, alle Argument abzuwägen, nicht nur die der Industrie. Das bedeutet, dass Brüssel auch Verbraucherrechte, Umweltschutzaspekte und andere öffentliche Interessen berücksichtigen muss, und die wiegen schwer. Nicht nur Bürger in Europa haben Anspruch auf eine sichere Ernährung. Die lebenswichtige Versorgung mit Nahrung nur einigen wenigen Konzernen zu überlassen, wäre riskant. Auch weil sie massiv Einfluss auf die Politik nehmen könnten - zum Schaden von Verbrauchern und Umwelt, wie nicht zuletzt der Diesel-Skandal zeigt. Eine vielfältige innovative und ertragreiche Landwirtschaft braucht offene Märkte und fairen Wettbewerb. Es ist Sache der Politik, dem schädlichen Expansionsdrang der Konzerne endlich Grenzen zu setzen.

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SZ vom 27.04.2017/mahu
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