Sachverständigenrat:Wie diese Frau die Wirtschaftsweisen verändern will

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Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, ist gegen eine Aufhebung der verbliebenen Corona-Maßnahmen. (Foto: Jürgen Heinrich/IMAGO)

Mit Monika Schnitzer wird erstmals eine Frau die Vorsitzende des Sachverständigenrats. Politisch ist sie deutlich offener als ihre Vorgänger. Und der Öffentlichkeit will sie mehr bieten als Hunderte Seiten lange Gutachten.

Von Alexander Hagelüken

Sie ist die Erste. Vor Monika Schnitzer, die nun den Vorsitz des Sachverständigenrats übernimmt, war noch nie eine Frau an der Spitze des Gremiums - in 60 Jahren. In den ersten 40 Jahren nach Gründung befand sich unter den fünf Wirtschaftsweisen überhaupt keine Frau. Im wichtigsten wirtschaftspolitischen Beratergremium der Bundesregierung breitete sich dieselbe Männerwirtschaft aus wie anderswo.

Wer Monika Schnitzer danach fragt, bekommt normalerweise eine eindeutige Antwort. Aus früheren Gesprächen lässt sich berichten, dass sie findet, es sei höchste Zeit für eine weibliche Spitze des Rates. In einem anderen Zusammenhang befand sie mal, Frauen wirtschafteten anders als Männer: "Der VW-Abgasskandal wäre mit Frauen im Vorstand nicht passiert." Momentan aber muss die Ökonomieprofessorin der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität schweigen, da die Weisen bald ihr Jahresgutachten für die Regierung vorlegen.

Es ist aufschlussreich, die 61-Jährige Innovationsexpertin mit ihrem Vorgänger Lars Feld zu vergleichen. Der Freiburger argumentierte, wie viele Weisen-Chefs vor ihm, stets marktliberal und verdammte deshalb etwa Mindestlöhne. Schnitzer wirkt weniger ideologisch festgelegt. Als sie 2020 in den Sachverständigenrat kam, galt sie eher als Liberale. Weil sie zum Beispiel davor warnte, Firmen ungeprüft mit Milliardensummen zu fördern. Beim Jahresgutachten 2021 überraschte sie dann damit, dass sie gemeinsam mit dem eher linken Achim Truger ein Votum vorlegte, das die anderen Weisen nicht teilen wollten. Darin schreibt sie, es könne ökonomisch sinnvoll sein, für staatliche Zukunftsausgaben Schulden aufzunehmen. Das widersprach dem Rigorismus, mit dem Liberale staatliche Kredite ablehnen.

In der Corona-Krise forderte Schnitzer mehr Lohn für die "Helden der Pandemie"

Aufhorchen ließ sie auch mit der Äußerung, "Helden der Pandemie" wie Pflegerinnen und Pfleger sowie Kassiererinnen und Kassierer verdienten mehr Geld. Was? Mehr Lohn, selbst wenn der Markt das nicht liefert? Mit Monika Schnitzer rückt eine politisch offenere Ökonomin an die Spitze des Rats, deren Meinung nicht von vorneherein feststeht, sondern je nach Sachfrage unterschiedlich ausfällt. Sie selbst betont, Ratschläge an die Regierung sollten auf Evidenz basieren, also auf wissenschaftlichen Nachweisen, nicht auf Ideologie.

Für sie selbst hat sich durch die neue Position als Wirtschaftsweisin das Leben völlig verändert. Viel gearbeitet hat sie zwar schon immer. Sie saß in anderen Beratergremien und stand (auch hier als erste Frau) dem Verein für Socialpolitik vor, der größten Organisation deutschsprachiger Ökonomen. Doch seit sie in den Sachverständigenrat einzog, erhöhte sich das Tempo. Die Wirtschaft taumelt von einer Krise in die nächste, von Corona zum Energieschock. Da will die Politik ganz vieles wissen, die Medien auch.

Sie hält es für wichtig, der Öffentlichkeit die komplexe Wirtschaft zu erklären

Vor den Weisen hatte sie ganze Tage, an denen sie still forschte. Jetzt geht es manchmal frühmorgens mit einem Radiointerview los, Ministerien bitten zum Gespräch und abends vielleicht eine Talkshow. Schnitzer findet das gut. Hatte sie früher oft den Eindruck, die Politik höre nicht zu, stellt sie jetzt einen größeren Einfluss der Ökonomen fest. Und hält es für wichtig, der Öffentlichkeit all diese existenziellen, aber komplexen Wirtschaftsthemen zu erklären.

So dürfte sich auch beim Rat etwas ändern. Schnitzer überlegt, der Öffentlichkeit mehr zu präsentieren als ein hunderte Seiten langes Gutachten in Fachsprache. Neue, erklärende Formate. Und für die Politik vielleicht kürzere Expertisen zu einzelnen Fragen. Sie ist auch für den Vorschlag aufgeschlossen, den Rat mit seinem Fachstab aus Wiesbaden nach Berlin umzuziehen, näher an die Politik.

Wirtschaft und Politik, das war auch immer zu Hause am Tisch großes Thema mit dem Ehemann, selbst Ökonom, und den drei inzwischen erwachsenen Töchtern. So sehr diese sich offenbar interessierten, eine akademische Laufbahn wie die Eltern hat dann doch keine von ihnen eingeschlagen.

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