Mohammed bin Salman:Wie Saudi-Arabien den Öl-Entzug plant

Durchbruch auf dem arabischen Markt

In Riad, der Hauptstadt des Königreichs, dürfte sich in Zukunft einiges ändern.

(Foto: obs)
  • Das saudi-arabische Kabinett beschließt die Saudi Vision 2030, den Modernisierungsplan von Königssohn Mohammed bin Salman.
  • Bin Salman möchte das Land damit unabhängiger vom Öl machen.
  • Der Plan sieht unter anderem eine Kürzung der Subventionen für Wasser, Strom und Nahrungsmittel vor und soll Frauen und Ausländern mehr Rechte einräumen.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Die Zeitungen in Saudi-Arabien hatten sich blumige Überschriften ausgedacht, um Spannung vor dem großen Ereignis aufzubauen: "Verabredung mit der Zukunft heute", titelte etwa das englischsprachige Blatt ArabNews und zeigte ein Bild von Mohammed bin Salman, Königssohn, Verteidigungsminister und stellvertretender Kronprinz, wichtiger aber noch - Chef des Komitees für Wirtschaft und Entwicklung. In dieser Funktion wollte er am Montagabend die Saudi Vision 2030 vorstellen, einen umfassenden Plan, der als größte Reforminitiative für Wirtschaft und Gesellschaft in der Geschichte des konservativen Königreichs angekündigt wurde; das Kabinett hat sie am Montag beschlossen.

Kernelemente des Programms gab der 31 Jahre alte Prinz jüngst schon in zwei mehrstündigen Interviews mit der Nachrichtenagentur Bloomberg preis und in einem Gespräch mit dem Fernsehsender al-Arabiya, der Auszüge bereits vorab veröffentlichte. Primäres Ziel des Plans ist demnach, die Abhängigkeit Saudi-Arabiens von Öl zu verringern. Bereits im Jahr 2020 sollen die Einnahmen aus anderen Quellen 100 Milliarden Dollar erreichen und zu einem ausgeglichenen Haushalt führen. In 20 Jahren soll die Wirtschaft nicht mehr überwiegend von Öl getrieben sein, sagte Mohammed bin Salman weiter.

Der Ölpreisverfall hat Saudi-Arabien hart getroffen

Lange machten die Steuern auf Ölexporte 90 Prozent der Staatseinnahmen aus; durch den Verfall der Ölpreise von mehr als 110 Dollar pro Barrel auf zeitweise weniger als 30 Dollar war der Anteil aber bereits 2015 auf unter 70 Prozent gefallen. Saudi-Arabien wies ein Haushaltsdefizit von 98 Milliarden Dollar aus - bei einem Budget von 300 Milliarden und einer Wirtschaftsleistung von etwa 660 Milliarden.

Ein Wirtschaftsberater des Prinzen sagte, das Königreich habe in der ersten Jahreshälfte bis zu 30 Milliarden Dollar seiner Devisenreserven pro Monat verbrannt, um die Lücke zu füllen. Für 2016 wurde der Haushalt um 15 Prozent gekürzt. Zugleich krempelt der Prinz das Beschaffungswesen des Militärs um, das er wie viele andere Regierungsinstitutionen für wenig effektiv und verschwenderisch hält. Ziel sei der Aufbau einer eigenen Rüstungsindustrie.

Die Pläne Bin Salmans stellen den saudischen Gesellschaftsvertrag infrage

Kern der Diversifizierung der Wirtschaft soll ein neuer Staatsfonds werden mit einem Volumen von zwei Billionen Dollar. Er wäre damit mit Abstand der größte derartige Fonds weltweit und soll sein Kapital zur Hälfte in ausländischen Firmen und überwiegend außerhalb der Ölbranche anlegen. Einnahmen aus den Investitionen sollen dann zur wichtigsten Geldquelle des Staates werden. Das Geld dafür soll zum Teil aus Devisenreserven und der Restrukturierung bestehender Fonds kommen, zudem will Prinz Mohammed aber noch im Jahr 2017 einen Anteil von "weniger als fünf Prozent" an der staatlichen Ölgesellschaft Saudi Aramco an die Börse bringen. Deren Wert gab er mit mehr als zwei Billionen Dollar an.

Die staatlichen Flug- und Telekommunikationsgesellschaften sollen ebenso privatisiert werden wie das Gesundheitswesen, das für die Bürger gratis ist. Das Königreich, das kaum Auslandsschulden hat, wird zudem noch 2016 zehn Milliarden Dollar an den internationalen Finanzmärkten aufnehmen.

Bin Salman will heilige Subventionen kürzen

Der Prinz kündigte an, der Staat werde weiter die Subventionen reduzieren, durch die Saudis bisher nur sehr wenig für Treibstoffe, Wasser, Strom und Grundnahrungsmittel zahlen mussten. Damit sollen 30 Milliarden Dollar im Jahr eingespart werden, weitere zehn Milliarden Dollar soll im Jahr 2020 eine Mehrwertsteuer auf Luxusgüter und ungesunde Produkte wie Limonaden einbringen. Damit tastet der Prinz allerdings den bisherigen ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag des Königreichs an, auch wenn es weiter keinerlei Steuern auf individuelle Einkommen geben soll.

Den Bürgern hatte die Königsfamilie die politische Mitsprache bislang durch die umfassende Fürsorge weitgehend abgekauft. Die höheren Wasser- und Energiepreise haben aber schon in einem Maße Unmut ausgelöst, dass König Salman am Wochenende den zuständigen Minister Abdullah al-Hasin entließ. Zugleich will das Königreich mehr als 100 Milliarden Dollar in den Ausbau erneuerbare Energien investieren, die schon 2020 ein Viertel des Energiebedarfs decken soll. Damit sollen die Ölreserven geschont werden, denn derzeit verbrennt Saudi-Arabien etwa ein Viertel der Förderung zur eigenen Versorgung.

Mehr Möglichkeiten für Frauen und für Ausländer

Neben Wirtschaftsreformen sieht der Plan des Prinzen auch weitreichende Veränderungen der Gesellschaft vor. So soll sie zu einer Wissensgesellschaft umgebaut werden, wie es schon das benachbarte Emirat Katar versucht. Frauen sollen mehr Möglichkeiten bekommen zu arbeiten; Bloomberg zitiert einen Gesprächspartner des Prinzen mit den Worten, dass dieser auch die Abschaffung des Fahrverbots für Frauen in Aussicht gestellt habe, nachdem jüngst schon die Befugnisse der weithin vor allem bei der jungen Bevölkerung verhassten Religionspolizei beschnitten worden waren.

Ausländer aus arabischen und muslimischen Ländern sollen künftig mit einer Art Green Card langfristig in Saudi-Arabien arbeiten können. Ihre Arbeitgeber sollen dafür wiederum Gebühren an den Staat zahlen, wenn sie vorgegebene Quoten für saudische Beschäftigte nicht erfüllen. Die Schaffung von Millionen neuer Arbeitsplätze für die oftmals im Ausland gut ausgebildete junge Generation gilt als eine der größten Herausforderungen für Saudi-Arabien. Jeder zweite Bürger des Landes ist jünger als 25 Jahre, etwa zwei Drittel der arbeitenden Saudis werden vom Staat beschäftigt, der oft höhere Löhne zahlt als die, die in der Privatwirtschaft üblich sind. Zudem soll das Land für gewisse Formen des Tourismus geöffnet werden.

Diplomaten in Riad sagten, man müsse abwarten wie substanziell das Reformprogramm ausfalle - und was davon umgesetzt werde. Das Königreich hat in der Vergangenheit immer wieder Reformen angekündigt, um die Abhängigkeit vom Öl zu verringern und den Anteil von Saudis zu erhöhen, die in der Privatwirtschaft arbeiten. Allerdings hat König Salman nach seiner Thronbesteigung Dutzende Beratungsgremien abgeschafft und die Macht in zwei Komitees konzentriert. Das für Wirtschaft und Entwicklung zuständige leitet sein Sohn, das mit Sicherheitsfragen betraute der Innenminister und Kronprinz Mohammed bin Nayef. In vier bis sechs Wochen soll eine Konkretisierung der Pläne für die nächsten fünf Jahre vorliegen.

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