Mogelpackung Essen:Wie gut, dass niemand weiß...

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Deutschland braucht ein eigenständiges Ministerium für Verbraucherschutz - die Interessen der Konsumenten kommen in Berlin zu kurz.

Silvia Liebrich

Tricksereien sind bei Lebensmitteln an der Tagesordnung. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht ein neuer Etikettenschwindel aufgedeckt wird: Biolimonade, in der so wenige ökologisch erzeugte Inhaltsstoffe stecken, dass man fast von homöopathischen Dosierungen sprechen kann. Analogkäse, der Pflanzenfett statt Kuhmilch enthält. Krebsfleisch-Imitate, die aus Fischabfällen gepresst werden.

Immer mehr Hersteller sparen bei Zutaten, vor allem in Zeiten einer Wirtschaftskrise, in der die Preise für Nahrungsmittel stetig fallen. Der eigentliche Skandal daran ist, das dies meist ganz legal geschieht - und ohne dass es der Käufer merkt. Schuld daran sind eine mangelhafte Kennzeichnungspflicht, ein lückenhafter Verbraucherschutz und eine Politik, die die Rechte der Lebensmittelindustrie über die der Konsumenten stellt.

Ein Erdbeer-Joghurt, der laut Zutatenliste "natürliche Aromastoffe" enthält, das klingt zunächst vertrauenserweckend. Was aber viele nicht wissen: Diese Bezeichnung bedeutet nicht zwangsläufig, dass auch nur eine einzige Erdbeere je in die Nähe des Bechers gelangt wäre. Für den kräftigen Fruchtgeschmack sorgen meist im Labor hergestellte Zusatzstoffe, die etwa mit Hilfe von Schimmelpilzen oder Enzymen hergestellt werden.

Was in den Zutatenlisten vieler Lebensmittelverpackungen steht, ist für Laien jedoch meist völlig unverständlich. Wer wissen will, was sich hinter E150d, Phosphorsäure oder einem Säureregulator verbirgt, muss dafür ein Handbuch für Lebensmitteltechnik konsultieren. Das ist nicht nur ärgerlich, sondern schränkt beim Einkauf die Entscheidungsfreiheit ein - und genau darauf setzten viele Lebensmittelproduzenten.

Dabei ist grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, wenn der Erdbeergeschmack im Joghurt nicht aus der Frucht selbst stammt, sondern im Labor kopiert wird. Nur sollte dies dann auch klar und deutlich auf der Verpackung stehen, damit Käufer sich bewusst für oder gegen ein bestimmtes Produkt entscheiden können. Gelingen wird das aber nur, wenn die Vorschriften für die Kennzeichnung verschärft werden.

Doch die Ernährungsindustrie lehnt es seit Jahren vehement ab, für mehr Transparenz zu sorgen. Beispiel dafür ist auch der Streit um die Ampel-Kennzeichnung für Lebensmittel, gegen die sich die Hersteller mit aller Macht sträuben, obwohl sich zwei Drittel der Deutschen ein solches System wünschen. Die Argumente, mit denen die Industrie zu Felde zieht, sind höchst fadenscheinig. Das Drei-Farben-Modell, das etwa Kalorienbomben auf den ersten Blick erkennbar macht, sei irreführend, wird unter anderem argumentiert. Tatsächlich fürchten die Hersteller jedoch um ihre Umsätze.

Um den Verbraucherschutz beim Essen ist es hierzulande schlecht bestellt. Die Lobbyisten der Ernährungsbranche dürfen sogar an Gesetzen mitschreiben, die ihnen eigentlich Grenzen setzen sollen, wie etwa das Verbraucherinformationsgesetz. Vor einem Jahr vom damaligen Verbraucherminister Horst Seehofer als "Meilenstein in der Geschichte des Verbraucherschutzes" gefeiert, hat es sich inzwischen als Mahnmal für politisches Versagen entpuppt. So ist es für Verbraucher nach wie vor kaum möglich, die Namen von Herstellern zu erfahren, die verdorbene Waren verkaufen.

Beschämend ist, dass sich an diesem Zustand auch unter einer neuen Bundesregierung vermutlich wenig ändern wird - ganz egal, wie die Wahl in zwei Wochen ausgeht. Verbraucherschutz spielt in den Programmen der großen Parteien nur eine untergeordnete Rolle - auch weil die Konsumenten in Berlin nicht annähernd so gut vertreten sind wie die Nahrungsmittelindustrie.

Das spiegelt sich auch im Zuschnitt des Ministeriums wider, das offiziell für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zuständig ist. Kaum ein anderer Bundesminister muss so konträre Interessen unter einen Hut bringen. Eine Regierung, die glaubwürdigen Verbraucherschutz betreiben will, muss ein eigenständiges Ressort schaffen. Nur ein Verbraucherminister, der nicht zwischen den Stühlen sitzt, kann sich voll und ganz für die Rechte von Konsumenten einsetzen.

© SZ vom 14.09.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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