Griechenland, so räsonierte jüngst ein Regierungsmitglied, wird den politischen Herbst in Deutschland bestimmen. "Griechenland, Griechenland und Griechenland", antwortete es auf die Frage, was wohl die drei wichtigsten Themen der nächsten Monate sind. Und die zentrale Frage wird sein, hilft man dem Land auch weiterhin mit neuen Milliarden-Transfers oder lässt man es fallen.
Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) bekräftigte am Donnerstag seine Einschätzung, wonach ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone seinen Schrecken verloren haben. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt hatte zuvor sogar unverhohlen getönt, dass ein Austritt des südeuropäischen Landes unvermeidbar sei.
Jüngste Berechnungen der Arbeitsorganisation der Vereinten Nationen (ILO) widerlegen diese Einschätzung. Im Gegenteil, die ILO warnt dringend vor den dramatischen Folgen, die eine Austritt Griechenlands für den einfachen Arbeitnehmer haben könnte. "Die durchschnittliche Arbeitslosigkeit in den 17 Staaten würde auf 13 Prozent steigen", sagte ILO-Volkswirt Ekkehard Ernst der Süddeutschen Zeitung. Ende des vergangenen Jahres seien es gut zehn Prozent gewesen.
Konsequenzen für Deutschland
Auch Deutschland käme bei einem Austritt der Griechen längst nicht so ungeschoren davon wie oftmals vermutet. Immerhin würde sich die Arbeitslosenrate 2014 im Vergleich zu 2011 um gut 26 Prozent auf neun Prozent erhöhen und über Jahre auf diesem Niveau verharren.
Die ILO hatte bereits mehrfach angemahnt, die Euro-Krise schnell zu lösen, weil ansonsten eine europaweite Konjunkturkrise für schwere Verwerfungen auf den Arbeitsmärkten sorgen könnte. Vor allem Jugendliche seien davon betroffen. Mit den Berechnungen des Leiters der ILO-Abteilung für Arbeitsmarktprognosen werden diese Befürchtungen erstmals durch konkrete Zahlen unterlegt.
Besonders dramatische Konsequenzen würde ein griechischer Ausstieg aus der Euro-Zone für die ohnehin schon von der Krise geschüttelten Länder Spanien und Portugal mit sich bringen. So erwartet Ernst in Spanien in diesem Fall für das Jahr 2014 eine Arbeitslosenquote von 27,7 Prozent. Die Jugendarbeitslosigkeit unter den 15- bis 24-Jährigen würde sogar auf 51,3 Prozent ansteigen. Auch in Portugal werde die Zahl der Jobsuchenden im Vergleich zum Jahr 2011 um gut sechs Prozent höher liegen, sagte Ernst.
Die Berechnungen der ILO geben den Befürwortern eines Verbleibs der Griechen in der Euro-Zone starke Argumente. Denn die Kosten einer weiteren Hilfe für die Griechen müssten in jedem Fall mit den ökonomischen Konsequenzen einer höheren Arbeitslosigkeit in Deutschland und der restlichen Euro-Zone abgewogen werden.
Es könnte durchaus schlimmer kommen. Denn die Auswirkungen eines griechischen Exits muten nahezu harmlos an, wenn man sie mit den Folgen eines vollständigen Crashs der Euro-Zone vergleicht. Nach den ILO-Rechnungen würde die Arbeitslosenquote in Deutschland 2014 auf 11,3 Prozent steigen und über die folgenden Jahre da verharren. Ende des vorigen Jahres lag sie bei 7,1 Prozent. Frankreich müsste fast 17 Prozent Arbeitslosigkeit ertragen, Spanien sogar 36,9 Prozent.
Auch in diesem Szenario wären die jugendlichen Arbeitnehmer am stärksten betroffen. Während in Deutschland jeder Zehnte ohne Job dastehen würde (2011: 5,9 Prozent), stiegen die Werte in Frankreich auf gut 34 Prozent, in Italien auf fast 38 Prozent. Und Spanien: ein Rekordwert von 59 Prozent. "Das wäre eine Katastrophe für die europäische Jugend", sagte ILO-Volkswirt Ernst. Das gelte nicht nur für die aktuelle Situation. Schwerwiegend seien auch die daraus entstehenden ökonomischen Folgen. Selbst wenn die Jugendlichen nach einer längeren Phase der Arbeitslosigkeit wieder einen Job fänden, sei ihre Produktivität langfristig niedriger. "Und das in einer Zeit, in der durch den demografischen Wandel ein erhöhter Bedarf an hochqualifizierten Arbeitnehmern entsteht."
Beschäftigungsgarantie für Jugendliche
Nach Ernsts Berechnungen wird die Arbeitslosigkeit nicht nur in Relation zum Jahr 2011 steigen. Ein Austritt Griechenlands hätte auch im Vergleich zu einem Szenario, in dem alles so bleibt, wie es derzeit ist, deutlich negative Konsequenzen, insbesondere für junge Arbeitnehmer. So würde 2014 die Arbeitslosenquote bei einem Exit Griechenlands bei 30 Prozent liegen, 8,2 Punkte höher als im Bestandsszenario.
Die ILO pocht deshalb auf eine Art Beschäftigungsgarantie für Jugendliche. Nach spätestens sechs Monaten Arbeitslosigkeit soll ihnen ein Ausbildungsplatz oder eine Beschäftigung angeboten werden, die aus staatlichen Mitteln finanziert wird. Kosten werde dies pro Mitgliedsstaat maximal 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Ernst: "Das ist nicht wenig, aber im Vergleich zu den Kosten der Bankenrettung nicht viel."