Möglicher neuer VW-Chefaufseher:Mann mit Restrisiko

Hans Dieter Pötsch

Hans Dieter Pötsch

(Foto: dpa)
  • Hans Dieter Pötsch soll Chef-Aufseher bei Volkswagen werden, finden die Familien Porsche und Piëch, die VW kontrollieren.
  • Möglicherweise hat er allerdings die Anleger zu spät über den Abgas-Skandal bei VW informiert.

Von Caspar Busse, Björn Finke, Thomas Fromm und Max Hägler, München/Stuttgart

Hans Dieter Pötsch hat in seinen zwölf Jahren bei VW schon viel erlebt. Als Finanzchef war er bei der entscheidenden großen Schlacht gegen Porsche dabei, die die Wolfsburger am Ende gewannen. Und er war der Mann, den der frühere Aufsichtsratschef Ferdinand Piëch so sehr schätzte: Weil er harte Brocken wie den Kauf der Lkw-Konzerne MAN und Scania einfach abarbeitete.

Deswegen halten ihn die Familien Porsche und Piëch, die über die Holding Porsche SE Volkswagen kontrollieren, trotz des Abgas-Skandals immer noch für die ideale Besetzung des Chefpostens im Aufsichtsrat. Schon am 9. November soll Pötsch bei einer Aufsichtsratssitzung an die Stelle des Interims-Chefkontrolleurs Berthold Huber gewählt werden.

Doch nicht alle finden, dass dies eine glückliche Lösung ist. Pötsch war als Finanzchef in vieles bei VW eingebunden und hat - so die Kritik jetzt - die Anleger möglicherweise nicht rechtzeitig über den sich anbahnenden Abgas-Skandal informiert. Wobei die Frage ist: Wann gelangten überhaupt Informationen der US-Division und der dortigen Techniker zu ihm? Und kann, solange das nicht geklärt ist, Pötsch wirklich der nächste VW-Chefkontrolleur werden und damit jenen Skandal aufarbeiten, der in den Jahren stattfand, in denen er selbst Vorstandsmitglied war?

Es erscheint zwar unwahrscheinlich, dass er eine Warnung verzögerte, sind doch in solchen Fällen und auf seiner Ebene stets Juristen mit am Tisch. Zudem gilt Pötsch als so vorsichtig wie nüchtern. Aber auch dies sollte Thema sein bei der Präsidiumssitzung des VW-Aufsichtsrates, die am späten Mittwochnachmittag begann. Im Fokus dürfte stehen, was nach dem 3. September passierte. An dem Tag gestanden VW-Mitarbeiter bei der US-Umweltschutzbehörde die Manipulationen bei Diesel-Fahrzeugen ein. Die entsprechende Adhoc-Meldung, die Anleger über wichtige Ereignisse informiert, wurde jedoch erst am 22. September verschickt. Auch deswegen hat sich die Finanzaufsicht Bafin in den Fall eingeschaltet. Ein "Vorlegungsersuchen" hat die Behörde an den Konzern gestellt: VW muss schildern, wann wer Bescheid wusste. Sollte die Stellungnahme nicht ausreichen, kann die Bafin alle relevanten Dokumente, etwa Vorstandsprotokolle, anfordern. "Man könnte aus den bislang vorliegenden Informationen vermuten, dass die Adhoc-Mitteilung zu spät kam", sagt Ulrich Hocker, Präsident der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz. Sollte bei der Prüfung herauskommen, dass die Adhoc-Meldung zu spät erfolgte, dann drohen nicht nur Bußgelder, sondern es wäre eine weitere Vorlage für die sowieso schon drohende teure Klagewelle, die gerade aus vielen Ländern auf die Wolfsburger Zentrale zurollt. Der texanische Landkreis Harris County etwa verklagt wegen Luftverpestung durch mindestens 6000 in der Region verkaufte VW-Diesel den deutschen Konzern auf mehr als 89 Millionen Euro.

Wolsfburg, Home Of Volkswgen

Blick auf Volkswagenfabriken in Wolfburg.

(Foto: Carsten Koall/Getty Images)

In Spanien fordert das Industrieministerium sogar Subventionen zurück: Spanien hatte Verbraucher beim Kauf eines schadstoffarmen Autos, darunter VW-Fahrzeuge, mit je 1000 Euro unterstützt - und fühlt sich nun an der Nase herumgeführt. Aufsichtsräte sind deshalb skeptisch, was die Berufung des eigentlich hoch angesehenen Pötsch anbelangt und suchen nach einer Alternative. Sie halten Pötsch für ein Risiko und sind damit in guter Gesellschaft. "Eine Berufung von Herrn Pötsch an die Aufsichtsratsspitze hat mit Blick auf den Abgas-Skandal enorme Brisanz. Das ist ein falsches Signal", sagt Ingo Speich von Union Investment, einer der größten Fondsgesellschaften in Deutschland. Immerhin sei Pötsch zwölf Jahre lang Vorstandsmitglied gewesen und könnte in den Skandal verwickelt sein.

"Wir plädieren für einen unabhängigen neuen Aufsichtsratsvorsitzenden, der den gesamten Vorstand auf den Prüfstand stellt und die Verfehlungen des Unternehmens ohne Vorbehalte aufklären kann", betont Speich. Hans-Christoph Hirt von der Londoner Fondsgesellschaft Hermes EOS kritisiert den VW-Aufsichtsrat. Dessen "Qualität" habe sich "in den vergangenen neun Jahren erheblich verschlechtert", findet er. "Früher gehörten dazu viele Schwergewichte der Wirtschaftswelt." Aber inzwischen hätten es Investoren "ja schon fast aufgegeben, bei Volkswagen auf eine bessere Corporate Governance zu pochen".

Der 64-jährige Österreicher Pötsch hat bei VW nie Motoren entwickelt. Seine Aufgabe war es, Ingenieuren wie Piëch und dem zurückgetretenen VW-Boss Martin Winterkorn beim Geldvermehren zu helfen - dies hat er erfolgreich getan, und deshalb wollen ihn die Familien Porsche und Piëch nun zum Chefkontrolleur befördern. Ihre Anteile haben sie in der Finanzholding Porsche SE gebündelt, und dort wollte man am Mittwoch nicht abweichen von der Personalie: "Der Aufsichtsrat der Porsche SE hält an dem Beschluss fest, Herrn Pötsch als Aufsichtsratsvorsitzenden von Volkswagen vorzuschlagen", bestätigte ein Sprecher der Porsche SE die Haltung. Dem Vernehmen nach setzt man bei Pötsch wie schon bei dem neuen VW-Chef Matthias Müller auf eine schriftliche Erklärung, die sinngemäß lautet: Ich habe von den Vorgängen nichts gewusst und mich stets an Recht und Gesetz gehalten.

Auftrag: Weiter so

Der Begriff "Stühlerücken" trifft es ganz gut derzeit im Volkswagen-Konzern. Der erste Chef, Martin Winterkorn, ist von seinem wichtigsten Posten zurückgetreten. Matthias Müller von Porsche ist eingesprungen, dem Vernehmen nach vor allem mehr aus Pflichtbewusstsein denn aus Lust, was nachvollziehbar ist in dieser Krise. Und ihm wiederum folgt beim Sportwagenbauer Oliver Blume als Chef nach; am Mittwoch ist die Personalie bestätigt worden, die seit vergangener Woche feststand.

Der 47-Jährige gebürtige Braunschweiger ist seit 20 Jahren im VW-Konzern, was derzeit allerdings nicht mehr überall als Vorteil gesehen wird, auch wenn Aufsichtsratschef Wolfgang Porsche betont, dass "die Besetzung von innen Ausdruck der familiär geprägten Porsche-Kultur" sei. Andererseits ist der Sportwagenbauer unbelastet - dort sind keine Skandal-Motoren verbaut. Und: Porsche ist so ziemlich der einzige Lichtblick im Großkonzern: Seit 2010 hat sich hier Umsatz, Absatz und Mitarbeiterzahlen fast verdoppelt. Der Neue an der Spitze ist Teil dieser Erfolgsgeschichte, ist seit 2013 im Vorstand der Porsche AG gewesen, zuständig für die Produktion. Der Auftrag an den Manager, der als Teamplayer beschrieben wird, lautet also: Die Erfolgsspur halten. Max Hägler

Audi hat Strafanzeige gestellt - "wegen sämtlicher in Betracht kommender Delikte"

Es könnte schwer sein, diese Position lange aufrecht zu erhalten. Denn der Skandal weitet sich aus, und harsche Kritik kommt inzwischen auch vom Großaktionär Niedersachsen. Das Land hält 20 Prozent an VW, hat somit Einfluss im Aufsichtsrat, und es dürfte kein Zufall gewesen sein, dass Olaf Lies, niedersächsischer Wirtschaftsminister und VW-Aufsichtsratsmitglied, seine Kritik so hart formulierte. "Diejenigen, die erlaubt haben, dass dies geschehen kann, und die, die entschieden haben, die Software zu installieren, haben kriminell gehandelt", sagte Lies dem englischen TV-Sender BBC. Der Aufsichtsrat müsse nun prüfen, warum es so lange gedauert hat, bis er von dem Einsatz der betrügerischen Software erfahren habe.

Um die Aufklärung voranzubringen, hat jetzt die Konzern-Tochter Audi Strafanzeige gestellt "wegen sämtlicher nach deutschem Strafrecht in Betracht kommender Delikte". Ingolstadt, wo Audi seinen Hauptsitz hat, verhängte unterdessen eine Haushaltssperre: Als "Vorsichtsmaßnahme" wegen möglicher Gewerbesteuereinbußen. Dass die drohen könnten, zeigt sich auch in Salzgitter: Das Motorenwerk dort hat die Produktion zurückgefahren.

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