Ungebetene Post im Briefkasten, Trailer vor der Tagesschau, Werbebanner selbst in entlegensten Buslinien: Viel Wind war in den vergangenen Jahren nicht nur auf dem Strommarkt Kern des Geschäfts beim Öko-Imperium Prokon. An den großen Versprechungen der Firma aus Itzehoe kam kaum jemand vorbei. "Äußerst erfolgreich" sei das eigene Modell, warb die Windkraftfirma - und das könnten auch die Deutschen sein. "Es ist Zeit, etwas zu verändern", säuselten sonore Stimmen. Nur ein paar Euro müsse man überweisen, fertig. "Das lohnt sich - für Sie und eine lebenswerte Zukunft!"
Grüne Investitionen, gute Gewinne, reines Gewissen: Zehntausende Anleger glaubten den goldenen Gewinnversprechen der Firma aus Norddeutschland und ihrem Gründer Carsten Rodbertus. Mit bis zu acht Prozent Rendite warben die Geldeintreiber um Anleger - "mit Sicherheit und zum Anfassen".
Das Problem: Zu greifen ist für Anleger bei Prokon derzeit nur die Angst. Der selbstbewussten Firma droht noch in diesem Monat die Pleite. Auf dem Spiel stehen sagenhafte 1,4 Milliarden Euro von etwa 75.000 Anlegern - so viel wie noch nie in Deutschland in einem vergleichbaren Fall.
Gefährliche Melange
Zum Schicksalstag der Betroffenen wird dieser Montag. Denn nur wenn sich bis zu diesem Stichtag genug Anleger finden, die erst einmal auf Rückzahlung ihrer Gelder und auf Zinsen verzichten, will Prokon seinerseits auf den Insolvenzantrag verzichten - ein einmaliger Erpressungsversuch des Prokon-Managements, das Tausende Anleger zu den Geiseln ihres eigenen Unternehmens macht.
Ausgerechnet auf dem immer beliebteren Markt für ethisch korrekte und grüne Geldanlagen spielt sich damit in diesen Tagen ein Milliardendesaster ab, das bohrende Fragen aufwirft und gewaltigen Flurschaden hinterlassen wird: Anleger wollen wissen, wie es im Energiewendeland Deutschland angesichts üppiger Ökostromförderung überhaupt zu einer derartigen Schieflage kommen kann.
Experten fragen sich, ob dieses Geschäftsmodell überhaupt jemals funktioniert hat oder nur eine Art Schneeballsystem war, in dem neue Investoren mit ihrem Geld Zinsen für die alten zahlten. Und Politiker fragen sich, ob angesichts des Vertrauensverlusts die Energiewende Schaden nimmt. Die Schieflage der Windfirma ist in jedem Fall die Folge einer gefährlichen Melange aus fragwürdigen Geschäften und geschickter Verführung, aus naiven Anlegern und erstaunlich dürftiger Kontrollen gewaltiger Finanzströme auf dem Grauen Kapitalmarkt in Deutschland.
Verantwortlich sind allen voran die Manager der Firma um Prokon-Chef Rodbertus selbst. Die Energiewende ist längst zu einem gigantischen Markt für Solarfirmen und Windkraftunternehmen geworden. Rodbertus' Firma ist eine der größten, "der Marktführer", so nennt sie sich selbst. Doch seriös bedeutet das noch lange nicht. Testierte Konzerndaten etwa, Jahresabschlüsse, welche die jüngsten Zweifel an der Nachhaltigkeit von Prokons Geschäftsmodell hätten beseitigen können, bleibt Prokon seit langem schuldig.
Geholfen hat Prokon beim Eintreiben so vieler Millionen nicht nur der Zeitgeist. Das Geld floss ohne Unterlass, weil die Deutschen selbst etwas für die Energiewende tun wollen. Das zeigt sich bei der rasend schnell wachsenden Zahl von Solaranlagen auf deutschen Dächern. Das zeigt sich zudem beim wachsenden Markt für Ökostromtarife. Geholfen hat Prokon allerdings auch die Naivität Tausender Anleger. Sie glaubten dem Versprechen, dass es möglich ist, fantastische Renditen zu erzielen, ohne die Rechnung dafür zu kennen.
Der graue Markt gehört ausgetrocknet
Eine Mitverantwortung für drohende Verluste trägt aber nicht zuletzt die deutsche Politik. Denn die Geschäfte von Geldeintreibern auf dem Grauen Kapitalmarkt laufen auch deshalb wie geschmiert, weil dubiose Anbieter wenig fürchten müssen. Kontrolliert werden die komplexen Produkte und Anbieter, die jedes Jahr für Schäden in Milliardenhöhe verantwortlich sind, von den örtlichen Gewerbeämtern. Die Speerspitze im Kampf gegen mögliche Geldwäsche und gegen Anlagebetrüger sind jene kommunalen Ämter, die sonst Dinge wie den Ladenschluss überwachen.
Die Politik muss den Grauen Markt endlich austrocknen. Sonst ist es nur eine Frage der Zeit, bis die nächste windige Firma die Massen verführt.