Mögliche EU-Subventionen für Atomenergie:Der nächste Irrsinn

Lesezeit: 2 Min.

Das Atomkraftwerk im hessischen Biblis liegt im Sommer 2009 unter dunklen Wolken. (Foto: dpa)

Der Atomenergie in Europa geht es schlecht. Sehr schlecht. Dies hat jedoch wenig mit Fukushima zu tun, dafür umso mehr mit dem Boom erneuerbarer Energien. Wenn Brüssel nun versucht, Kernkraftwerke zu subventionieren, dann ist dies keine kleine Beihilfe. Es ist der Versuch, den Lauf der Dinge zu ändern - und weitere Milliarden in eine Technologie zu pumpen, die sich am Markt nicht behaupten kann.

Ein Kommentar von Michael Bauchmüller, Berlin

Es muss wirklich hundsmiserabel um die Atomenergie in Europa stehen. Da haben die Staaten über Jahrzehnte alles getan, die Nuklearwirtschaft zu päppeln. Sie haben zinsgünstige Kredite lockergemacht, sie haben große Teile der nuklearen Risiken vergemeinschaftet, sie blicken großzügig darüber hinweg, dass es für den Atommüll bis heute keine Lösung gibt. Und jetzt das: Brüssel will den Weg frei machen für neue Atom-Subventionen. Billiges Geld, bis hin zu Einspeisetarifen für Atomstrom, soll zögerlichen Investoren auf die Sprünge helfen. So weit ist es also gekommen mit der Kernkraft.

Die Lage hat wenig mit Fukushima zu tun, dafür umso mehr mit dem Boom erneuerbarer Energien. Seit immer mehr Strom aus Sonne und Wind in die Stromnetze fließt, lässt sich mit Strom nicht mehr so viel verdienen wie früher. Wenn die Sonne scheint und der Wind weht, ist der Ökostrom konkurrenzlos billig. Denn im Unterschied zu den konventionellen Kraftwerken müssen die Betreiber von Windrädern und Solarmodulen nichts für Brennstoffe zahlen. Das ist ihr Charme.

Gegen diese Art Wettbewerb kommt das billigste Atomkraftwerk nicht an. Auch Banken und Investoren ist das nicht entgangen. Wer verleiht schon gern Geld für ein Kraftwerk, das in ein paar Jahren womöglich seinen Strom nicht mehr loswird? Am Kapitalmarkt fahnden Energiekonzerne daher seit geraumer Zeit vergeblich nach günstigen Krediten für neue AKWs. Und das nur, weil Ökostrom an Europas Strombörsen die Preise verdorben hat - was für eine schöne Ironie der Geschichte.

Mag die Kernkraft also rein wirtschaftlich erledigt sein, politisch ist sie es noch lange nicht. Nirgends lässt sich das besser beobachten als in Großbritannien. Schon 2008 hatte das Vereinigte Königreich Investoren aufgerufen, neue Kernkraftwerke zu planen. Einzige Einschränkung: Die neuen Anlagen sollten ohne Stützen am Markt überleben können. Lediglich bei der Benennung und Genehmigung der Standorte wollte London helfen. Als die Dinge aber nicht recht in Gang kamen, setzten die Briten noch einen Einspeisetarif obendrauf: Wer Atomstrom erzeugt, kann sich auf einen gesetzlich garantierten Strompreis freuen. Es wäre eine jener unverhohlenen Hilfen für die Atomwirtschaft, die Brüssel nun womöglich legitimiert.

Nicht nur energiepolitisch, sondern auch ökonomisch wäre das ein Irrsinn. Ökonomisch, weil die Europäer damit einer Technologie Milliarden hinterherwerfen, die sich ganz offensichtlich am Markt nicht mehr behaupten kann - von den Sicherheitsrisiken und dem ungeklärten Verbleib des Atommülls ganz zu schweigen. Energiewirtschaftlich, weil damit ausgerechnet jene Kraftwerke gefördert werden, die sich mit erneuerbaren Energien am wenigsten vertragen. Denn weil auf Sonne und Wind nicht immer Verlass ist, braucht es flexible Kraftwerke, die rasch mehr oder weniger Strom erzeugen können, wenn sich eine Lücke auftut oder aber schließt. Das gelingt mit Gaskraftwerken oder großen Stromspeichern - aber kaum mit großen Atomkraftwerken.

Deshalb geht es nun auch um mehr als nur um eine kleine beihilferechtliche Regelung. Es ist der Versuch, den Lauf der Dinge in letzter Minute zu korrigieren - weg von dezentralen erneuerbaren Energien, zurück zum alten, zentralen Regime der Großkraftwerke. Denn sind die Milliarden in den Bau neuer Kernkraftwerke erst geflossen, dann entfaltet das eine ganz eigene Dynamik: Die nächsten politischen Interventionen dienen dann nicht mehr der Finanzierung, sondern dem Erhalt der teuren Meiler. Es ist ein altvertrauter Kampf zweier Systeme, nur hat sich eine Winzigkeit verändert: Windräder und Solarmodule werden von Jahr zu Jahr billiger. Bei den Atomkraftwerken ist es genau andersrum.

© SZ vom 20.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: