Süddeutsche Zeitung

Möbelhandel in Deutschland:Tsunami im Federbett

Es herrscht ein gnadenloser Wettbewerb, immer mehr Häuser machen dicht. Die Zukunft, sagen Forscher, gehört dem Online-Geschäft. Doch ist das wirklich so?

Von Michael Kläsgen

Zum Beispiel die Filiale von Polstermöbel Fischer in Eglharting im Südosten von München. Wo Fischer früher Sofas verkaufte, residiert jetzt ein "Chinesisches Mongolisches Grillrestaurant". Vor dem Eingang stehen zur Begrüßung zwei hüfthohe steinerne Elefanten unter einem geschwungenen chinesischen Dach. Drinnen poliert eine Chinesin die Salattheke. Wo ist er denn hin, der Möbel Fischer? "Keine Ahnung", sagt die Chinesin und putzt weiter.

Acht Kilometer nördlich von hier in Parsdorf ist ebenfalls etwas verschwunden: Möbel Maxx, die Billigmarke von Segmüller, dem siebtgrößten deutschen Möbelhändler. Der Discounter hat dicht gemacht. Im oberen Geschoss haben Gartenmöbel das Maxx-Sortiment verdrängt. Unten im Erdgeschoss lockt jetzt der "Mega-Store". Fast alles ist stark reduziert. Soundsoviel Euro "geschenkt" steht auf fast jedem Preisschild. Aber nur wenige Menschen wollen etwas "geschenkt" haben. Die Anzahl von Kunden und Verkäufern hält sich an diesem Nachmittag die Waage. Warum hat Möbel Maxx dicht gemacht? "Das haben die Großen so entschieden", sagt eine Verkäuferin.

Die "Großen" müssen so entscheiden, um zu überleben. In Deutschlands Möbelbranche herrscht ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Filialen, Ketten und Händler verschwinden von der Bildfläche. Andere stemmen sich gegen einen angeblich unaufhaltsamen Trend: Möbel online zu kaufen. Ein paar Klicks und das Sofa steht im Wohnzimmer. Man muss nicht mehr bis zum "Arsch der Welt" fahren, wie Home24 in einem Werbespott frotzelt, um dann im Möbelhaus doch nicht den passenden Tisch zu finden.

Home24 ist einer jener reinen Online-Händler, die den Markt aufmischen. Sie würden kaum auf die Idee kommen, eine Filiale in Eglharting zu eröffnen. Viel zu teuer. Neben dem Online-Shop verfügen sie höchstens noch über einen Showroom. Das Netz ist ihre Verkaufsfläche und ihr Erfolgsgeheimnis. Der Umsatz von Home24 stieg in den ersten drei Monaten dieses Jahres um 128, der vom Wettbewerber Westwing um 55 Prozent. Zuwächse, von denen stationäre Händler nur träumen können.

Manche von ihnen haben nicht mal einen Online-Shop: Möbel Martin aus Saarbrücken beispielsweise, der immerhin zu den Top-Ten in Deutschland gehört, aber auch andere regionale Größen wie Schaffrath, Finke, Hardeck oder Braun. Die Berater und Jungunternehmer Pierre Haarfeld und Alexander Graf haben eine Art Todesliste zusammengestellt. Sie prophezeien, dass die verschlafenen Total-Verweigerer von einem Online-Tsunami hinweg gespült würden.

Das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) prognostiziert ein ähnliches Horror-Szenario: Jeder dritte der bundesweit 28 000 Möbelläden stehe in den kommenden fünf Jahren vor dem Aus, heißt es in einem Thesenpapier. "Das Bewusstsein, dass sich in Kürze vieles radikal ändern wird, ist bei vielen Händlern nur ansatzweise da", beklagt Jens Rothenstein, Senior Projektmanager am IFH.

Alles Schwarzmalerei? Oder eine Methode, Beratern und Geschäftspartnern Aufträge zu verschaffen? Das Marktforschungsinstitut GfK hält das Möbelhaus auf der grünen Wiese weiter für einen "zentralen Baustein" im Gesamtgefüge. Also alles doch nicht so schlimm? Schließlich drohten auch im Textil- oder Buchhandel angeblich verheerende Verwerfungen.

Leider kann auch der traditionsbewusste Möbelverband BVDM keine Entwarnung geben. "Es ist ganz klar. Die Konsolidierung läuft seit Jahren und sie wird weitergehen", sagt ein Sprecher. Der Verband legt nur andere Zahlen zugrunde als die Forscher von IFH. Demnach seien seit der Jahrtausendwende bereits 2000 Händler hinweggefegt worden, jetzt tummelten sich in Deutschland noch 9000, doch weitere 600 Händler würden in den kommenden fünf Jahren voraussichtlich schließen müssen.

Das Händlersterben hat viele Gründe. Einer der wichtigsten ist, dass viele die Entwicklung verschlafen haben. Dirk-Uwe Klaas, Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Möbelindustrie (VDM), sagt: "Der Möbelhandel hat das Online-Geschäft in den letzten Jahren nicht gerade mit Leben gefüllt." Das liegt auch am Kompetenzwirrwarr. Für Möbel sind drei Verbände zuständig: für den Handel der BVDM, für die Hersteller der VDM und dann noch der ZGV, der Verband der mittelständischen Verbundgruppen. Ihm fällt der schwarze Peter zu: "Die Verbundgruppen können keine teuren und leistungsfähigen Online-Shops betreiben, da dies gegen die Interessen der Mitglieder spricht und in der Regel keine Umsetzungskompetenz vorhanden ist", kommentieren die Berater Haarfeld und Graf. Franz Hampel, der Vorsitzende der Fachgruppe Möbel im ZGV, nennt einen anderen Punkt: "Die Verbundgruppen können keine einheitlichen Preise machen, ohne gegen Kartellrecht zu verstoßen."

Schließlich der Expansionsdrang der Händler. Es gibt zu wenig Umsatz für zu viel Fläche, bemängelt Mark Sievers, Partner der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG in Hamburg. "Da ist eine Korrektur vorprogrammiert." Soll heißen: Die Händler haben sich in eine Falle manövriert.

Der stetig wachsende Online-Handel kommt jetzt noch hinzu. "Der Online-Handel wird weiter wachsen und den rein stationären Händlern Umsatz abnehmen", warnt Sievers. Derzeit weiß allerdings niemand genau, wie groß der Anteil des Online-Geschäfts am Gesamtumsatz von gut 31 Milliarden Euro eigentlich ist. Die Schätzungen schwanken zwischen drei und acht Prozent. Das macht Vorhersagen außerordentlich schwierig. Wird aus dem Tsunami doch nur ein laues Lüftchen? Zumal der meiste Umsatz mit Küchen gemacht wird, die kaum einer online kauft.

Die Online-Gläubigen vom Kölner Forschungsinstitut IFH sind überzeugt, dass der Kauf von Möbeln im Internet so selbstverständlich wird wie bei Kleidung oder Büchern. Zwölf Millionen Deutsche haben laut Digitalverband Bitkom schon Einrichtungsgegenstände im Netz gekauft. Zudem wächst eine Generation heran, die mit Smartphones und Tablets groß geworden ist. Für eine Aufholjagd der Online-Händler spricht auch die technische Entwicklung. Inzwischen können Mobilgeräte das eigene Wohn-, Schlaf- oder Kinderzimmer einscannen, und in die Vorlage kann der Kunde das gewünschte Möbelstück hineinprojizieren. Das lässt sich gemütlich am Sonntagnachmittag von zu Hause aus erledigen. Fahrten nach Eglharting oder Parsdorf kann man sich ersparen. Nur: Laut Europa-Konsumbarometer wollen drei Viertel aller Verbraucher Möbel erst sehen und ausprobieren, ehe sie diese kaufen. Und sie wollen beraten werden.

12 Millionen

Deutsche haben bereits Möbel und andere Einrichtungsgegenstände im Internet gekauft, meldet der Digitalverband Bitkom.

Mit dem Online-Auftritt allein ist es nicht getan

Genau darin, in der persönlichen Beratung, sehen viele Experten die eigentliche Chance der stationären Händler. Wenn sie es schaffen, ihre Möbel auf allen Kanälen verfügbar zu machen und diese Kanäle auch noch miteinander zu verzahnen, sind sie auf einem guten Weg. "Unsere Botschaft an die großen Handelsunternehmen ist deshalb: Macht Cross-Channel, aber richtig", sagt der Kölner Handelsforscher Rothenstein. Cross-Channel, Multi-Channel oder Omni-Channel ist das Stichwort der Stunde. Soll heißen, im Idealfall sollte der Händler jedem Kunden offline und online auf allen Geräten mit der besten aller Techniken den gewünschten Mehrwert bieten. So dass der Kunde sich den Sessel dreidimensional im Netz anschauen, im Laden ausprobieren, dann online bestellen und in einer anderen Filiale wieder stornieren kann.

Die allermeisten Händler sind von dieser Wunschwelt noch weit entfernt, sagt Sievers. Mit einem Online-Shop ist auch nicht alles getan. Jeder Händler muss seine eigene, auf sein Geschäftsmodell zugeschnittene Strategie finden. Ikea etwa tue nach Expertenmeinung gut daran, nicht alles im Internet zu verkaufen, um die Kunden nicht daran zu hindern, in die Möbelhäuser zu fahren. Denn einen beträchtlichen Teil des Umsatzes macht der schwedische Konzern damit, dass die Laufkundschaft spontan Dinge einkauft, die sie gar nicht eingeplant hatte.

Für Anbieter maßgeschneiderter Möbel-Elemente wie der schwäbischen Manufaktur Kettnaker kommt ebenfalls nicht irgendein Online-Auftritt in Frage. "Die Möbel, die wir machen, sind im Moment nicht internetfähig", sagt Wolfgang Kettnaker. Internet als Kaufanreiz ja, aber mehr nicht. "Unsere Kunden wollen die Möbel sehen, anfassen und fühlen", sagt der Geschäftsführer.

Er glaubt, sich den Anspruch leisten zu können, dass die Kunden zu seinen Produkten fahren. Polstermöbel Fischer ist mit seiner Eglhartinger Filiale daran gescheitert. 18 Jahre lang behauptete er sich an der B304. Dann war Schluss. Jetzt wird dort Peking-Suppe süßsauer für 2,80 Euro verkauft. Eigentlich wollte der Händler irgendwo im Münchner Südosten eine andere Filiale eröffnen. Daraus ist bis heute nichts geworden.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2015
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