Süddeutsche Zeitung

Moderne Arbeitswelt:Mobil, verfügbar, über­fordert

Durch das Internet nimmt der Druck auf Arbeitnehmer zu. Wer ständig erreichbar ist, schläft schlechter und leistet weniger. Doch es gibt Strategien, die vor einer digitalen Abhängigkeit schützen.

Von Rebekka Gottl

Auf dem Spielplatz wird es Markus Albers mit einem Mal bewusst. Als seine kleine Tochter ihn bittet, nicht ständig auf sein Handy zu starren, merkt er: Nein, ich kann nicht aufhören. Das Treffen muss verschoben, die Mail beantwortet und das Protokoll für die Kollegen freigegeben werden, zur Not eben zwischen Schaukel und Sandkasten.

Technische Geräte sind zu ständigen Begleitern geworden, die permanente Erreichbarkeit zur Normalität. So wie dem Familienvater Albers geht es vielen. In einer Befragung des Bundesverbands Digitale Wirtschaft gaben 38 Prozent an, dass es ihnen schwerfalle, offline zu sein und ihre digitalen Geräte eine Zeit lang wegzulegen. Die zunehmende Vermischung privater und beruflicher Lebensbereiche verstärkt dabei die digitale Abhängigkeit. "Berufliches sickert vollständig ins Private ein. Mit dem Smartphone habe ich die Arbeit immer dabei", sagt Markus Albers. Der Autor plädiert in seinem Buch "Digitale Erschöpfung" für einen anderen Umgang mit Technologie. "Durch eine Kultur, in der es selbstverständlich ist, dass wir abends um elf noch unsere Mails beantworten und am nächsten Morgen im Meeting sitzen, werden Arbeitnehmer übermannt."

Die permanente Verfügbarkeit, die mit der Digitalisierung einhergeht, überfordert viele Arbeitnehmer. "Wir müssen dafür sorgen, uns nicht an den Bildschirm zu ketten, nachdem die Ketten an den Schreibtisch abgestreift werden konnten", meint Albers. Studien geben ihm recht. So bestätigt eine Untersuchung des Leibniz-Instituts für Arbeitsforschung, dass die ständige mobile Erreichbarkeit zu Stress und Belastung führt. Das Wechselspiel zwischen Arbeit und Privatleben koste viel Energie und wirke sich auch negativ auf die Schlafqualität aus, da die jeweiligen Rollen als Privatmensch oder Arbeitnehmer an unterschiedliche Erwartungen geknüpft sind. Schlechter Schlaf wiederum führe zu verminderter Leistungsfähigkeit, schreibt die Arbeitspsychologin Lilian Gombert vom Leibniz-Institut. Digitale Entrümpelung lautet die Lösung, die der US-amerikanische Informatikprofessor Cal Newport in seinem kürzlich erschienenen Buch "Digitaler Minimalismus" präsentiert. Laut Newport finden sich die schädigenden Einflüsse der digitalen Welt vorrangig im privaten Umgang mit der Technologie: "Bei vielen Menschen täuscht eine zwanghafte Smartphone-Nutzung über eine Lücke hinweg, die durch eine unzureichend entwickelte Freizeitgestaltung entstanden ist." Um diese Lücke erkennen und anderweitig schließen zu können, hilft laut Newport eine Pause. 30 Tage Abstand von Apps, Webseiten, Videospielen und Streamingdiensten seien ratsam. Dadurch sollen die Aktivitäten wiederentdeckt werden, die wirklich glücklich machen, und Technologien, die deren Umsetzung erleichtern.

Einfache Kniffe helfen dabei, den Blick öfter vom mobilen Endgerät zu lösen. Der Experte rät, Phasen konzentrierten Arbeitens festzulegen und währenddessen Ablenkungen zu vermeiden. Im Nicht-Stören-Modus des Handys können wichtige Anrufe und Anwendungen dennoch als solche markiert und von der Sperre ausgenommen werden. Zeit spart, wer sich in Textnachrichten kurz und präzise ausdrückt, anstatt mehrere unausgereifte Nachrichten nacheinander zu versenden. Am zielführendsten und unmissverständlichsten sei aber das persönliche Gespräch.

Da digitale Abstinenz zwar sinnvoll ist, auf Technik jedoch heute oft nicht gänzlich verzichtet werden kann, empfiehlt Newport, die Zeit vor dem Bildschirm zu planen. "Falls Sie stundenlang Netflix schauen und dabei einen Livestream von sich selbst hochladen wollen, indem Sie bei Twitter unterwegs sind - nur zu! Doch außerhalb dieser Zeiträume bleiben Sie offline", empfiehlt der Informatiker. Sich in Gesprächen mit Freunden und Kollegen über weitere sinnvolle Strategien auszutauschen, könne besonders im Arbeitskontext hilfreich sein.

"Was der Einzelne tun kann, ist leider begrenzt", meint jedoch Buchautor Albers. Er sieht daher den Arbeitgeber in der Fürsorgepflicht. Entscheidend seien Führungskräfte, die Regeln und Erwartungen zur Erreichbarkeit und Arbeitsweise eindeutig kommunizierten. Sonst stellt sich die Frage, ob Angestellte arbeiten, wenn sie nach Dienstschluss einen Anruf entgegennehmen oder kurz eine Mail beantworten. In Frankreich ist das Zugeständnis an Arbeitnehmer, ihre Kommunikationsmittel für berufliche Zwecke nach Feierabend auszuschalten, gesetzlich geregelt. Seit 2017 gilt dort das Recht auf Abschalten. Das deutsche Arbeitsrecht hingegen weist angesichts der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt Lücken auf, weshalb es umso wichtiger ist, sich von Unternehmensebene auf Richtlinien zu einigen. Die Technologie kann dabei auch Teil der Lösung sein. "Wir müssen als Gesellschaft lernen, mit Technik umzugehen, um nicht von ihr dominiert zu werden", sagt Albers. Die Digitalisierung sei vergleichbar mit einem Garten. Er macht Freude, jedoch müsse man ihn von Zeit zu Zeit zurechtstutzen. "Sonst wird alles überwuchert."

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SZ vom 16.05.2019
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