Modeindustrie:Grüner Pionier in der Jeans-Welt

Lesezeit: 4 min

Der heutige Firmenchef Alberto Candiani mitten in einem Baumwollfeld: "Was für meinen Vater ein Wettbewerbsnachteil war, ist für mich zum Wettbewerbsvorteil geworden." (Foto: Candiani/oh)

Das italienische Unternehmen Candiani gilt als der sauberste Denim-Hersteller im schmutzigen Geschäft mit der Jeans - wie macht es das?

Von Ulrike Sauer

Jeans sind wohl die erfolgreichste Erfindung der Modeindustrie. Eine Aura von Freiheit, Gleichheit und Rebellion umweht das beliebteste Kleidungsstück der Welt - bis heute. Ihre Herstellung ist eine weniger erbauliche Angelegenheit. Sie ist: dreckig. In einer einzigen Hose stecken bis zu 8000 Liter Wasser und jede Menge giftige Chemikalien. Darum ist die Geschichte der einzigen Weberei für Jeansstoffe, die in Europa der Globalisierung die Stirn bieten konnte, bemerkenswert. Es ist die Geschichte von Alberto Candiani, 38, dem letzten Kämpfer der europäischen Denim-Industrie.

Es gibt Unternehmen, die werden zu ihrem Glück gezwungen. Candiani gehört dazu. Die Textilfirma aus Robecchetto im Westen Mailands ringt seit einem halben Jahrhundert unter besonders harten Bedingungen um ihre Existenz. Seit 1971 unterliegt die Produktion scharfen Umweltauflagen, in der Region entstand damals der Naturpark Ticino. Doch den krassen Wettbewerbsnachteilen verdankt das Unternehmen, dass es im wirtschaftlichen Überlebenskampf bestehen kann. Das Kunststück gelang Candiani, weil es sich in den grünsten Hersteller in der blauen Welt verwandelt hat.

Ein Fabrikgelände, das im Naturschutzgebiet liegt, macht notgedrungen erfinderisch

Das geschah zunächst nicht aus freien Stücken. Als die wasserreiche Gegend an den Ufern des Flusses Ticino in der Lombardei vor 50 Jahren zum Naturschutzgebiet erklärt wurde, erlebten die Candianis das als herben Schlag. "Mein Vater sah in dem Naturpark ein Unglück", sagt Alberto Candiani. Das Regelkorsett verlangte ihm hohe Investitionen in die Innovation des Herstellungsprozesses ab, um mitten im Naturschutzgebiet konkurrenzfähig zu bleiben. "Die Auflagen haben uns gelehrt, effizienter zu produzieren", sagt der Sohn heute.

Der Baumwollhersteller hatte plötzlich ein enormes Abwasserproblem. Sein abgeleitetes Brauchwasser muss Grenzwerte einhalten, die nicht mit den Anforderungen im Rest der Welt vergleichbar sind. Die Qualität der Färbemittel musste verbessert werden, um weniger Wasser zu verbrauchen und es immer weniger zu verunreinigen. Candiani sagt: "Diese Effizienz ist die Mutter der Nachhaltigkeit von heute."

Als dann um die Jahrtausendwende die Textilindustrie in Europa zugrunde ging, hielt Candiani dem Wettbewerbsdruck der Niedriglohnländer stand. Die Konkurrenten verlagerten ihre Produktionen sehr schnell in die Weltregionen mit den billigsten Arbeitskräften und der höchsten Toleranz gegenüber Umweltfreveln. So verschwanden damals auch aus Italien alle Denim-Webereien, sagt Candiani. Dabei sei die Tela di Gênes, der Hosenstoff der Genueser Seeleute, in Italien erfunden worden. In dem Wort Jeans scheint noch eine Reminiszenz an ihre Ursprünge in Genua auf.

Candiani setzte die Tradition allein fort. Möglich war das, weil eine innovative Spezialisierung es dem Unternehmen erlaubte, seinen Stoff teurer zu verkaufen. "Wir hatten den schönsten Stretch-Denim der Welt", sagt Candiani. Seinem Vater Gianluigi war es gelungen, Jeansstoff dehnbar zu machen. Er konnte den Markenherstellern die bahnbrechende Neuheit zum Premiumpreis anbieten. Während die europäischen Hersteller dichtmachten, verdoppelte Candiani dank des Stretch-Erfolgs seine Produktionskapazität zwischen 2000 und 2005 nahezu.

Die italienische Firma hat die Herstellung von Jeansstoffen in den vergangenen Jahrzehnten ständig verbessert - und ist heute Innovationsführer. (Foto: Candiani denim)

Dann übernahm Alberto die Führung. Er richtete den Innovationsdrang der 1938 gegründeten Firma auf das Ziel aus, Jeans zu einem sauberen Kleidungsstück zu machen. Dem Urenkel des Unternehmensgründers war die Familientradition zunächst schnuppe. Seine Welt war die Musik. Er machte als DJ international Karriere, betätigte sich als Produzent und spielte Keyboard. Es funkte erst, als Alberto neben dem Studium im Unternehmen jobbte. Nach dem Uni-Abschluss entschied er sich, die Musik zum Hobby zu machen und sein Berufsleben dem Denim zu widmen. Genauer gesagt: der nachhaltigen Jeansherstellung.

Die neueste Erfindung ist ein kompostierbarer Stretchstoff

Die jüngste Textilinnovation aus Robecchetto heißt Coreva. Es ist wohl die bisher radikalste. Fünf Jahre seines Lebens habe er in das Projekt investiert, ein natürliches und biologisch abbaubares Stretchmaterial zu entwickeln, erzählt Candiani. "Wenn wir den besten Stretchdenim herstellen, dann müssen wir auch die Besten darin sein, ihn zu erneuern". Es war seine Chance, mit dem Vater gleichzuziehen. Die Erfindung des elastischen Stoffs hatte das Unternehmen vor dem Untergang gerettet, doch den Preis dafür zahlte die Umwelt. Denn zum Einsatz von synthetischem Elasthan gab es bislang keine Alternative. So dauert es Hunderte von Jahren, bevor die anschmiegsame Hose auf der Müllkippe verrottet. Auch weil der Stretch-Stoff inzwischen in 80 Prozent der Jeans verarbeitet wird, trägt Denim massiv zum Umweltproblem der Textilindustrie bei.

Den Tüftlern bei Candiani gelang es, einen Faden aus Kautschuk zu spinnen, der sich mit Baumwolle verweben lässt und die aggressiven Nachbehandlungen übersteht. "Coreva ist unser Extrembeispiel für nachhaltige Innovation", sagt Candiani. Die kompostierbare Stretchjeans könne nun sogar als Biodünger im Baumwollanbau eingesetzt werden.

Der Weg dorthin war weit. Candiani richtet seine Produktion seit Langem an den Prinzipien Reduzieren, Recyceln und Wiederverwerten aus. Zudem senkt das Unternehmen mithilfe schonender Technologien den Einsatz von Wasser und Chemikalien weiter. So wird zum Fixieren der blauen Indigo-Farbe anstelle von synthetischem Polyvinylalkohol, der die Fasern mit einem flüssigen Plastikfilm überzieht, natürliches Chitosan eingesetzt. Polyvinylalkohol macht die Färbung resistent, landet beim Waschen der Jeans aber als Mikroplastik im Wasser.

Das natürliche Biopolymer Chitosan wird eigentlich aus Krabbenschalen gewonnen. Weil aber die Zucht der Schalentiere in Aquafarmen alles andere als nachhaltig ist, hat Candiani nach einer alternativen Quelle gesucht und sie bei Pilzen entdeckt. Das so gewonnene Chitosan ist nicht nur biologisch abbaubar, es reinige das Abwasser sogar. Beim Färben von schwarzem Denim-Stoff setzt Candiani Stickstoff ein. Die Zahl der notwendigen Farbbäder reduziert sich so von sieben auf nur zwei. Unterm Strich gelingt es mit den vielfältigen Anstrengungen, den Wasserverbrauch in der Fabrik um 75 Prozent und den Einsatz von Chemie um 65 Prozent zu senken.

Hugo Boss hat Levi's als größten Kunden abgelöst

Der umweltfreundliche Kraftakt kostet, zahlt sich aber aus. "Was für meinen Vater ein Wettbewerbsnachteil war, ist für mich zum Wettbewerbsvorteil geworden", sagt Alberto Candiani. Denn mit nachweislich sauberen Produkten erziele er einen Premiumpreis von 7,50 Euro pro Meter Stretch-Denim. Hugo Boss hat den amerikanischen Jeanshersteller Levi's als seinen größten Kunden abgelöst.

Der Zukunft sieht der Italiener mit gemischten Gefühlen entgegen. Coronabedingt ist sein Absatz 2020 um 33 Prozent geschrumpft. Auch in diesem Jahr dürfte die Produktion kaum 15 Millionen Meter übertreffen. Doch zumindest das Interesse an umweltschonenden Textilien sei während der Pandemie gewachsen. "Wir stehen aber noch am Anfang", sagt Candiani. "Es wird noch vier, fünf Jahre dauern, bis die Leute durchblicken, was wirklich nachhaltig und was nur Bullshit ist."

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: