Süddeutsche Zeitung

Mobilität:Mit dem Auto doppelt so schnell

Lesezeit: 4 Min.

Angeblich wollen viele Deutsche ihr Mobilitätsverhalten ändern, doch auf Bus und Bahn umsteigen möchte kaum jemand. Woran das liegt.

Von Max Hägler und Christina Kunkel

Auf den ersten Blick sind es sehr gute Nachrichten für das Klima: Sieben von zehn Menschen in Deutschland sind bereit, ihr persönliches Mobilitätsverhalten zu verändern, um CO₂-Emissionen einzusparen. Das zeigt der jüngste "Digital Auto Report" der Strategieberater von PwC, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt. 1000 Menschen aller Einkommensschichten wurden dabei befragt - sowie etliche weitere in anderen europäischen Staaten, in den USA und in China, mit übrigens sehr unterschiedlichen Ergebnissen. In China etwa wollen fast alle Befragten (97 Prozent) persönlich zur CO₂-Minderung beitragen, in den USA hingegen nur jeder Zweite.

Deutschland jedenfalls ist vorne dabei, zumindest im Anspruch. Knapp die Hälfte der von PwC Befragten will kürzere Distanzen vermehrt zu Fuß oder mit dem Rad zurücklegen, immerhin ein Viertel nimmt sich einen Komplettverzicht auf Kurzstreckenflüge vor. Das deckt sich mit jüngsten Erkenntnissen des Umweltbundesamtes, denen zufolge für immerhin jeden zweiten Deutschen das schonende Verhalten höchste Priorität beim Verkehr der Zukunft hat.

Doch was sind diese guten Absichten wert? Vielleicht nicht ganz so viel, wenn man auf andere Antworten aus der PwC-Befragung schaut. Denn eine der wichtigsten Alternativen zu den 48 Millionen Autos in Deutschland, die öffentlichen Verkehrsmittel, tut sich extrem schwer: Nur sieben Prozent der Deutschen wollen auch nach der Corona-Pandemie verstärkt auf Öffentliche umsteigen. 53 Prozent wollen Bus und Bahn weniger nutzen oder fahren sowieso gar nicht damit.

Das Interesse an Elektroautos wächst, doch noch würde sich die Mehrzahl dagegen entscheiden

Hingegen hat sich die Zahl der Deutschen, die sich in den kommenden zwei Jahren einen Neuwagen zulegen wollen, im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt. Jeder Vierte will sogar mehr fahren, aber immer noch wenige mit einem E-Auto (18 Prozent). Dennoch ist der Trend eindeutig: Die Akzeptanz für E-Mobilität wächst, auch weil die Batteriefahrzeuge bei den Gesamtkosten schon jetzt oft im Vorteil sind. Doch auch mehr E-Autos lösen das Platz- und Verkehrsproblem in den Städten nicht. Die geringe Wechselwilligkeit hin zu Bus und Bahnen habe mit dem "Status quo" zu tun, sagt Jonas Seyfferth, Autor des Digital Auto Report und Mobilitätsexperte bei PwC. Größtes Hindernis bei der Nutzung des öffentlichen Personen-Nahverkehrs (ÖPNV), aber auch von Rad- oder Carsharing seien vor allem zu hohe Preise bei einer zu geringen Verfügbarkeit.

Bus und Bahn attraktiv zu machen, würde den Staat viel Geld kosten

Auf einen weiteren entscheidenden Punkt weist Torben Greve hin, der Geschäftsführer des Mobility Institute Berlin (MIB): die Zeit. Mit seinem Team hat er mittels umfangreicher Datenanalysen den bisherigen "Reisezeitnachteil" in elf deutschen Großstädten berechnet: Überall sind ÖPNV-Nutzer gegenüber Autofahrern so sehr im Nachteil, dass es größerer Eingriffe bedürfe, so der Wissenschaftler. Manchmal seien Bus und Bahn zwar genauso schnell, aber nur wenn Start- und Zielort ideal liegen und ein Schienenfahrzeug sie verbindet. Im Schnitt jedoch brauchen Großstadtmenschen mit Bus und Bahn doppelt so lang im Vergleich mit der Autofahrt; wer Pech hat, braucht auch dreimal so lang. Dabei zeigten Studien, dass die meisten Menschen einen Zeitnachteil gegenüber dem Auto von 30 Prozent akzeptieren, auch 50 Prozent sind für viele noch in Ordnung, weil sie oft ja auch einen Parkplatz suchen müssen.

"Wenn es aber noch länger dauert, dann bleiben fast nur jene in den Öffentlichen, die keine Wahl haben", sagt Greve. Der große Zeitnachteil seien dabei gar nicht so sehr die Stopps an den Haltestellen, so die MIB-Forscher, sondern die mäandernden Wege gerade bei Bussen und das Warten an Umsteigepunkten. Zwischen Berlin-Pankow und Reinickendorf, so eines der Beispiele, liegen nur zwei Kilometer. Aber mit den Öffentlichen muss man acht Kilometer zurücklegen. Um die Strecke schneller zurücklegen zu können, genügten mitunter kleinere, kurzfristig machbare Lösungen: etwa Querverbindungen durch Expressbusse, die mit grüner Welle vorankommen. Anderes, zum Beispiel mehr Schienenstrecken und ein etwa in Hamburg geplanter Fünf-Minuten-Takt, der das Fahrplan-Checken überflüssig macht, kostet hingegen Milliarden Euro und braucht Zeit. "Mehr Leistung heißt auch mehr Zuschüsse, ohne Frage", sagt Greve. Aber das sei eine Frage des politischen Stellenwertes im Land sowie des Nutzens für die Gesellschaft und das Klima.

Das ist den Anbietern natürlich bekannt, dieser Tage legt der Bundesverband des Öffentlichen Verkehrs (VDV) ein Konzept vor, das sehr konkret aufzeigt, wie die Öffentlichen attraktiver werden sollen - und was das kostet. Die Verkehrsleistung soll demnach bis 2030 um knapp ein Viertel gegenüber 2018 steigen, was ein Drittel mehr Fahrgäste bringen soll. U-Bahnen, S-Bahnen und Trams sollen 36 Prozent mehr Leistung bringen. Und die Bus-Angebote sollen gar um 107 Prozent steigen, gerechnet jeweils in Fahrzeugkilometern, heißt es in dem Gutachten, für das auch die Unternehmensberatung Roland Berger gerechnet hat und das der SZ vorliegt. Gerade im dünner besiedelten Umland wollen etliche Verkehrsverbünde große Busse ersetzen durch kleine, ein halbes Dutzend Plätze fassende Fahrzeuge, die per Anruf oder App zu den Fahrgästen kommen. In den dicht besiedelten Zentren wiederum geht der Trend zu noch größeren Fahrzeugen. Ambitioniert nennt der Verband das Vorhaben, aber machbar. Sofern die Finanzierung klappt: Bislang decken die Tickets etwa zwei Drittel der deutschen ÖPNV-Kosten (25,5 Milliarden Euro), den Rest leistet der Staat, 120 Euro sind es pro Einwohner und Jahr. Bei in etwa gleich bleibenden Fahrkartenpreisen steigt der Finanzierungsbedarf durch den Staat im Jahr 2030 indes auf 296 Euro.

Dafür, so der VDV, bekämen die Menschen in Deutschland mehr Verbindungen - und auch schnellere. Busse etwa sollen im Jahr 2030 im Schnitt um fünf Prozent schneller unterwegs sein. Allerdings, auch das stellen sie beim VDV fest, bedarf es auch eines Kostendrucks: Nur wenn die Nutzung des eigenen Autos spürbar teurer werde, die Rede ist etwa von 50 Prozent höheren Parkgebühren, würde sich das Mobilitätsverhalten ändern wie erhofft.

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