Süddeutsche Zeitung

Mobilfunk:Da funkt's

Mobilfunkmasten - umstritten bei Anwohnern, gefragt bei Investoren: Statt sie wie bisher oft allein zu nutzen, überlegen die Telekom und ihre Konkurrenten, ihre Funkturm-Firmen abzuspalten oder teilweise zu verkaufen.

Von Benedikt Müller

Philipp Riederers Schätze sind im Schnitt 40 Meter hoch, aufgetürmt aus Beton oder Stahl. Sie lugen heraus aus dem Wald, prangen auf Äckern oder im Eck manchen Gartens. Fast alle Menschen brauchen sie, fahren an ihnen vorbei. Doch kaum jemand ahnt, welches Milliardengeschäft in ihnen steckt: Funktürme für den Handyempfang.

Riederer ist Deutschlandchef von American Tower (ATC). Seit gut 20 Jahren baut und kauft der Konzern aus Boston Funkstandorte - mit dem Ziel, dass möglichst viele Betreiber diese nutzen. Weltweit ist ATC einer der größten neutralen Anbieter von Sendemasten, ohne Eigenbedarf auf den Türmen. "Man muss nicht drei oder vier Funktürme in einer Gegend errichten und entsprechende Ressourcen aufbringen", sagt Riederer, "wenn stattdessen eine Firma einen Sendemast baut und alle Netzbetreiber diesen nutzen können." Auch die Auswirkungen auf Natur und Stadtbild seien geringer. Streit über diese Auswirkungen gibt es gerade reichlich.

Weltweit besitzt ATC etwa 170 000 Funkstandorte, in Deutschland sind es bislang gut 2200: Auf den meisten sitzt Telefónica (O2) als Mieter mit seinen Antennen; auch Radiosender und staatliche Einrichtungen nutzen manche Türme mit. Doch Riederers Unternehmen will wachsen - und ist damit nicht das einzige in dem Geschäft. Denn Sendemasten sind zum gefragten Anlageobjekt geworden.

Noch sind Unternehmen wie ATC hierzulande die Ausnahme. Während es in Amerika üblich ist, dass Mobilfunkkonzerne Sendeplätze auf den Türmen spezieller Betreiberfirmen mieten, besitzen hiesige Anbieter viele Masten selbst - oder sind zumindest noch an ihnen beteiligt. Nur ein Sechstel aller Mobilfunktürme in Europa gehört neutralen Eigentümern, hat die Beratungsfirma Ernst and Young (EY) ausgerechnet.

Dabei sind unabhängige Betreiber ziemlich effektiv: Im Schnitt nutzen 2,4 Netzbetreiber ihre Masten mit, berichtet EY. Auf eigenen Türmen der Mobilfunkkonzerne sitzen hingegen im Mittel nur 1,3 Anbieter - meistens also nur der Netzbetreiber für sich allein. Ohne Kooperationen braucht ein Land also viel mehr Masten für eine gute Mobilfunkversorgung.

Die Telekom teilt sich die Hälfte ihrer Türme mit mindestens einem Konkurrenten

Doch nun tut sich etwas auf dem Markt der Beton- und Stahlkolosse: Viele Telekommunikationskonzerne arbeiten daran, ihre Masten zumindest teilweise zu verkaufen - oder wenigstens mehr Türme gemeinsam zu nutzen.

Beispielsweise hat die Deutsche Telekom ihre Masten schon vor Jahren in die Firma Deutsche Funkturm (DFMG) ausgelagert. Diese gehört zwar noch dem Konzern und baut Standorte im Auftrag der Telekom. Doch nutzen auch Telefónica und Vodafone einige Masten gegen Gebühr mit. Die Telekom teile sich die Hälfte ihrer Türme mit mindestens einem Konkurrenten, sagt ein Sprecher. Umgekehrt nutze auch DFMG etwa 3400 Standorte anderer Anbieter mit. "Es herrscht also eine wechselseitige Zusammenarbeit."

Und der Konzern erwägt, die Firma mit gut 31 000 Funkstandorten in Deutschland an die Börse zu bringen oder teilweise zu verkaufen. Dafür spricht etwa, dass die Verschuldung der Telekom nach einer Milliardenfusion in den USA weiter gestiegen ist. Man führe eine "immerwährende Diskussion" um das Masten-Geschäft, sagte Finanzvorstand Christian Illek bei der jüngsten Bilanzvorlage. Eine Entscheidung sei noch nicht gefallen. DFMG erwirtschaftete zuletzt einen Jahresumsatz von etwa 900 Millionen Euro.

Aus Sicht der Konzerne sprechen mehrere Gründe für einen Abschied von den Türmen. Zum Beispiel suchen viele Investoren in Zeiten niedriger Zinsen Anlagen, die stabile Einnahmen bringen. Davon profitieren auch Vermieter wie American Tower: Das Unternehmen ist an der Börse mittlerweile etwa 94 Milliarden Euro wert, ein Viertel mehr als noch vor einem Jahr. Konzerne wie die Telekom können diesen Wert nur heben, wenn sie ihre Masten teilverkaufen oder an die Börse bringen.

Hinzu kommt, dass die Telekom und ihre Konkurrenten in den kommenden Jahren Milliarden investieren wollen, etwa in den neuen Mobilfunkstandard 5 G. Auch die bislang schnellste Technik LTE ist hierzulande noch längst nicht überall angekommen. Da käme der Erlös aus einem Milliardenverkauf der Funktürme gerade recht. Auch Vodafone prüft einen Börsengang des Masten-Geschäfts. Der Konzern hatte schon voriges Jahr angekündigt, seine Sparte mit gut 61 000 Antennenstandorten in Europa abzuspalten.

Und Telefónica? Hatte schon 2012 zu E-Plus-Zeiten etwa 2000 Masten an ATC verkauft; 2016 gab der Konzern weitere gut 2300 Türme an die spanische Telxius ab. Seit vergangenem Herbst prüft Telefónica zudem, Tausende Antennenstandorte auf Dächern zu verkaufen und danach zurückzumieten. "Wir beobachten derzeit im Kapitalmarkt eine starke Nachfrage nach passiver Mobilfunk-Infrastruktur", erklärte Finanzchef Markus Rolle.

Für American Tower arbeitet Philipp Riederer derweil an einer Wachstumsstrategie. In den vergangenen Jahren habe ATC hierzulande viele neue Kundenprojekte im Bestand realisiert. "Alleine in 2019 waren es über 350, meist für den LTE-Ausbau", sagt Riederer. Nun wolle ATC Deutschland einen stärkeren Schwerpunkt auf Wachstum legen, auch durch den Bau neuer Standorte. "Wir sind in der Lage, sehr signifikant zu investieren und auch zu akquirieren, wenn die Bedingungen stimmen - und tun dies global und auch lokal." Zu den Bedingungen gehört, dass ATC die unternehmerische Kontrolle an Funkturmgesellschaften halten will.

Die Herausforderung: In Amerika ist es üblich, dass Netzbetreiber neutralen Anbietern Aufträge für Turmneubauten geben und dann auch dort mieten. "In Deutschland beauftragen die Netzbetreiber ihre eigenen Turmgesellschaften und nicht direkt andere Marktteilnehmer", sagt der Manager. Daher analysiere ATC nun selbst, wo es Lücken in Mobilfunknetzen gibt, damit die Firma neue Standorte anbieten könne. Einige vielversprechende Dialoge mit Kommunen, Landkreisen und Netzbetreibern seien so schon entstanden, sagt Riederer. "In den vergangenen Monaten sind kleinere Stückzahlen an Türmen zu unserem Bestand hinzugekommen."

Im Idealfall errichte ATC einen Mast, wenn von Anfang an zwei Netzbetreiber als Mieter interessiert seien. "Wir bauen aber häufig auch, wenn nur ein Mobilfunkanbieter an Bord ist", so Riederer, "vor allem wenn wir gute Aussichten auf einen zweiten Mieter in der Zukunft sehen." Der Manager rechnet damit, dass in den kommenden Jahren Tausende zusätzlicher Mobilfunkstandorte in Deutschland benötigt werden: um die wachsende Nachfrage zu erfüllen, aber auch wegen der neuen 5 G-Technik. Da wäre es doch "sehr förderlich", auch auf die Investitionsbereitschaft neutraler Anbieter zurückzugreifen, trommelt der Manager in eigener Sache.

Türme zusammen zu nutzen - das hält Riederer auch deshalb für sinnvoll, weil es in der Regel mehrere Monate dauere, bis man Verträge mit Grundstückseigentümern und Netzbetreibern abschließen könne und Baugenehmigungen erhalte. "Vielerorts gibt es Diskussionen über neue Funktürme", sagt der Manager, "wir müssen viel erklären." Wenn alle Akteure gut zusammenarbeiten, habe ATC zwar auch schon Genehmigungen binnen zwei Monaten erhalten. "Aber es dauert oft länger."

"Wenn es darum geht, Funkmasten aufzustellen, machen viele die Luken dicht."

Beim Digitalverband Bitkom kennen sie derlei Probleme nur zu gut. "Die Menschen wollen die besten, schnellsten und sichersten Netze", sagt Präsident Achim Berg. "Aber wenn es darum geht, Funkmasten aufzustellen, machen viele die Luken dicht." Eine Umfrage des Bitkom ergab kürzlich, dass fast jeder zweite Befragte in Deutschland Funkmasten als Strahlungsquelle fürchte. Anwohner gründen Bürgerinitiativen gegen entsprechende Bauprojekte in ihrer Nachbarschaft. Großbritannien und die Niederlande meldeten zuletzt gar Brandanschläge auf Mobilfunktürme. "Die diffusen Ängste vor Gesundheitsschäden kommen mit jeder neuen Mobilfunkgeneration wieder auf", sagt Berg. Dabei hätten Tausende Studien weltweit gezeigt, dass unterhalb der gültigen Grenzwerte keinerlei Gesundheitsgefahr bestehe.

Wie halten es nun die Großen der Branche mit der Zusammenarbeit? In dünn besiedelten oder technisch schwierigen Regionen, in denen sich der Ausbau für einen alleine kaum rentiert, funktioniere es nur mit Kooperationen über neutrale Anbieter, heißt es von der Telekom. Da aber die Mobilfunknetze in Deutschland unabhängig voneinander gewachsen seien, passe nicht jeder Standort eines Betreibers auch in die Netze der anderen.

Und statt im großen Stil auf Neutrale wie ATC zu setzen, arbeiten die drei großen Anbieter hierzulande neuerdings lieber zusammen: So haben Telekom, Vodafone und Telefónica im November angekündigt, dass jeder von ihnen über die jeweilige Turmgesellschaft bis zu 2000 neue Mobilfunkstandorte bauen will - in ländlichen Gegenden sowie entlang von Straßen, Schienen und Flüssen. Wenn das Bundeskartellamt zustimmt, soll am Ende jeder Anbieter die neu gebauten Masten der anderen mitnutzen dürfen.

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SZ vom 29.04.2020
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