Süddeutsche Zeitung

Mobiles Arbeiten:Zähe Sache

Beim mobilen Arbeiten gibt es viele Fragen. Einerseits könnte das Home-Office Familie und Beruf leichter vereinbar machen, andererseits Arbeitnehmer auch stressen. Ein für dieses Jahr geplantes Gesetz dürfte wohl nichts mehr werden.

Von Henrike Rossbach, Berlin

Die deutschen Beschäftigten und ihre Arbeitgeber sind notorische Gesetzesbrecher - jedenfalls, wenn es um die Arbeitszeit geht. "Wer heute um 22 oder 23 Uhr eine dienstliche E-Mail auch nur lesen möchte, der darf laut Arbeitszeitgesetz am nächsten Tag das Diensthandy nicht vor zehn Uhr wieder anfassen", sagt der arbeitsmarktpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Johannes Vogel. "Realitätsfremd" sei das, und in der Tat dürften viele Arbeitnehmer sich nicht an diese Elf-Stunden-Ruhezeit aus der Prä-Smartphone-Ära halten.

Die Frage aber ist: Folgt daraus die Rückkehr zu unverrückbaren acht Stunden am Schreibtisch? Oder die Liberalisierung bestehender Regeln? Das arbeitgebernahe Institut für angewandte Arbeitswissenschaft (Ifaa) hat für Vogels Bundestagsfraktion nun eine Überblicksstudie erstellt zum Stand der Dinge in Sachen mobiles Arbeiten. Zwei zentrale Erkenntnisse der Autoren: Die Möglichkeiten seien hierzulande bei Weitem nicht ausgeschöpft. Und: Positive und negative Prognosen stünden sich "diametral gegenüber".

Mobiles Arbeiten eröffnet Chancen und Risiken

Zu den Chancen etwa gehörten eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und das Homeoffice als Attraktivitätsfaktor im Wettbewerb um Fachkräfte. Hinzu komme ein bislang unterbelichteter Aspekt: der Klimaschutz. Die Wissenschaftler haben hochgerechnet, dass 4,5 Milliarden Kilometer Pendelstrecken wegfallen, wenn zehn Prozent der Arbeitnehmer einen Tag in der Woche von zu Hause aus arbeiten - wobei nur die Autofahrer berücksichtigt sind. Das entspricht 850 000 Tonnen weniger CO₂, ein Prozent des gesamten deutschen CO₂-Ausstoßes. Nach Berechnungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung arbeiten derzeit nur zwölf Prozent der Arbeitnehmer hin und wieder von zu Hause aus.

Die Schattenseite des mobilen Arbeitens dagegen sind laut Studie "Entgrenzungsphänomene", die Verschmelzung von Arbeits- und Privatleben. Auch das Wissenschaftliche Institut der AOK hatte kürzlich eine Studie veröffentlicht, nach der Heimarbeiter deutlich öfter über Erschöpfung, Wut, Nervosität und Reizbarkeit klagen.

Insgesamt gibt es noch sehr viele Fragezeichen rund ums Arbeiten von unterwegs, vom Arbeits- und Gesundheitsschutz über den Beschäftigtendatenschutz bis Arbeitszeitgestaltung und Ergonomie. "Hier sind gesetzliche, tarifliche und betriebliche Maßnahmen und Lösungsansätze erforderlich", heißt es in der Ifaa-Studie.

Das Bundesarbeitsministerium aber brütet unverändert über einem Gesetzentwurf. Im September hieß es, die Stellung des Arbeitnehmers bei seinen Homeoffice-Wünschen solle gestärkt werden, etwa über ein Antragsrecht gegenüber der Firma. Im Koalitionsvertrag sind "Experimentierräume" im Arbeitszeitgesetz vorgesehen. Und die SPD war Anfang 2019 sogar mit der Forderung nach einem Rechtsanspruch auf Homeoffice vorgeprescht. Seit Jahren wird zudem diskutiert, ob Deutschland sich nicht einfach an der EU-Richtlinie zur Arbeitszeit orientieren könne, in der statt einer Tages- eine Wochenhöchstarbeitszeit vorgesehen ist. Zu allem Überfluss muss die Bundesregierung nun noch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs umsetzen, das alle Firmen zur Erfassung der Arbeitszeit ihrer Beschäftigten verpflichtet. "Das dürfte bei mobiler Arbeit häufig schwierig sein", so die Ifaa-Studie.

Das Ergebnis: Obwohl für 2019 ein Gesetz zum mobilen Arbeiten angekündigt war, wird daraus wohl nichts werden. "Leider verschlafen Union und SPD diesen Wandel komplett", sagt Vogel von der FDP. "Die CDU will wie immer nichts tun, die SPD hantiert mit einseitigen Rechtsansprüchen gegen Arbeitgeber, als ob wir in den 1980ern wären."

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Quelle:
SZ vom 09.12.2019
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