Mobile Reaktoren:Atom im Strom

Russland baut schwimmende Kernkraftwerke für ferne Regionen.

Frank Nienhuysen

Es erinnert ein wenig an einen klobigen Passagierdampfer, was da sanft auf dem Wasser schaukelt, ringsum festgezurrt an starken Tauen oder Eisenketten.

So genau ist das nicht zu erkennen, denn bis jetzt gibt es nur eine grafische Simulation von dem, was die russische Regierung stolz macht und Umweltschützer das Fürchten lehrt.

Schon bald aber dürften erstmals echte Fotos auftauchen, denn für das weltweit erste schwimmende Atomkraftwerk wurden jetzt in Russland die maßgeblichen Verträge unterzeichnet.

"Ideal für den Polarkreis"

Schon im nächsten Jahr soll im Hafen von Sewerodwinsk am Weißen Meer der Bau der ersten Anlage beginnen, für einen Preis von 270 Millionen Euro.

Russland will die mobilen Reaktoren künftig übers Meer oder auf seinen gewaltigen Strömen in jene abgelegenen Gegenden des riesigen Reiches schicken, die derzeit nur schwer und aufwendig mit Energie versorgt werden können. "Schwimmende Kernkraftwerke sind eine ideale Lösung für viele Orte am Polarkreis", sagt der Leiter des staatlich-kontrollierten Betreibers Rosenergoatom, Sergej Obosow.

Der erste schwimmende Meiler ist eine Art Prototyp, der im Probebetrieb zunächst die Sewmasch-Werft mit Strom beliefern soll. Dann aber will Moskau die Atomkraftwerke verstärkt in See stechen lassen: in den fernen Osten etwa, an die Halbinsel Kamtschatka und an die Nordküsten von Sibirien. Und offenbar sind auch China, Indien, Malaysia und Indonesien an der Technologie bereits höchst interessiert.

"Keine schwimmende Tschernobyl"

Die Atomanlage wird auf einer 140 Meter langen Plattform montiert und mit zwei Leichtwasserreaktoren bestückt, deren Typ bereits in atomar angetriebenen russischen Eisbrechern eingesetzt wird. Sie sollen eine Leistung von 70 Megawatt erzielen, das reicht, um eine Stadt mit etwa 200 000 Einwohnern zu heizen. Der Vorteil des mobilen Kernkraftwerks ist, dass es bequem in der Werft gebaut und bei Bedarf an einen beliebigen anderen, vom Wasser aus zugänglichen Ort gebracht werden kann, wo es an das Strom- und Fernwärmenetz angeschlossen wird.

Ist diese Technik aber auch sicher? "Ein schwimmendes Tschernobyl wird es nicht geben", sagt der russische Atomchef Sergej Kirijenko. Russland habe wie kein weiteres Land große Erfahrung etwa beim Bau atomgetriebener U-Boote. "Verlässlich wie eine Kalaschnikow", behauptet sogar ein Mitarbeiter von Rosenergoatom.

Umweltschützer sind skeptischer. "Der Transport auf dem Wasser ist riskant, es drohen Terrorangriffe, die Brennstäbe sind schwer zu schützen, und niemand weiß, ob das Kernkraftwerk in schwerem Sturm sinken könnte", sagt Nils Bohmer von der norwegischen Umweltorganisation Bellona der Süddeutschen Zeitung. Die bisherigen Unfälle in Russland zeigten, "dass ihre Erfahrung mit der Atomtechnologie nicht so glänzend ist, wie sie es gern behaupten".

Auch an der Wirtschaftlichkeit des Projekts gibt es Zweifel, die die russische Atomlobby freilich zerstreuen will. Nach zwölf von 40 angestrebten Betriebsjahren werde sich das Atomkraftwerk bereits auszahlen. Wenn es denn hoffentlich mit größerer Sorgfalt betrieben wird als ein anderes schwimmendes Prestigeobjekt: Das atomgetriebene U-Boot Kursk sank nur sechs Jahre nach seinem Stapellauf in Sewerodwinsk.

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