Mittwochsporträt:Zu schön, um wahr zu sein

Nicolai Tangen, appointed as the new CEO of the Norges Bank Investment Management, poses for a picture in London

Nicolai Tangen, Hedgefonds-Manager und einer der reichsten Menschen Norwegens, hat nur ein Ziel: Er möchte den größten Staatsfonds der Welt führen. Dafür ist er bereit, auf viel zu verzichten.

(Foto: Nina E. Rangoy/Reuters)

Milliardär und Philanthrop: Nicolai Tangen galt als idealer Chef für Norwegens staatlichen Ölfonds - bis herauskam, dass er eine große Sause veranstaltet hatte.

Von Kai Strittmatter

Norwegens Ölfonds ist das Sparschwein der Nation, weswegen sich jeder Norweger als stolzer Mitbesitzer fühlt. Als die norwegische Zentralbank Ende März verkündete, sie habe nun einen neuen Chef für den Ölfonds gefunden, und sein Name sei Nicolai Tangen, da war die Überraschung im Land erst einmal groß. Den Mann hatte niemand auf dem Radar gehabt.

Nicolai Tangen war in den vergangenen Jahren eher unbemerkt zu einem der reichsten Norweger geworden: Er lebt in London, wo er 15 Jahre lang seinen Hedgefonds AKO Capital aufgebaut und darüber ein Vermögen von mehr als sieben Milliarden norwegischen Kronen, umgerechnet 620 Millionen Euro, angehäuft hatte.

In den ersten Tagen waren die Norweger auch fasziniert von dem Mann: Tangen präsentierte sich als einer, der nicht nur offensichtlich glänzend mit Geld umzugehen versteht, sondern der daneben auch über den Horizont des Geldscheffelns hinaus zu blicken vermag. Neben seinem Studium an der Wharton Business School in Pennsylvania hat Tangen auch einen Abschluss in Kunstgeschichte und einen in Sozialpsychologie. Er sammelt Kunst, die nordische Moderne vor allem. Und eine Kochlehre hat er auch einmal absolviert, weswegen er in Interviews manchmal Weisheiten verkündete wie jene, ein jeder sei "immer nur so gut wie sein letzter Pfannkuchen". Philanthrop ist er zudem. "Geld zu verdienen macht Spaß", sagte Nicolai Tangen einmal, "aber es zu verschenken, macht doppelt so viel Spaß". Gemeinsam mit seiner Frau gründete er eine wohltätige Stiftung, in die er fünf Milliarden Kronen eingezahlt hat, und einen Großteil seiner Kunstsammlung vermachte er vor ein paar Jahren seiner Heimatstadt Kristiansand.

Verblüfft waren die Leute auch, weil da einer offensichtlich bereit war, "auf Milliarden von Kronen zu verzichten, um Staatsangestellter zu werden", wie eine Zeitung schrieb. Nicolai Tangen überschreibt die Anteile an seiner Firma seiner Stiftung, er wird vom Hedgefonds-Manager zum Beamten und verkündet dabei auch noch, es sei sein "Traumjob". Dabei gestand er selbst ein, dass das Gehalt in seinem neuen Amt nicht einmal ausreichen wird, um die Steuer zu bezahlen, die er in Norwegen auf sein Milliardenvermögen entrichten muss. Das alles aber werde ausgeglichen, so Tangen, durch die "fantastische Ehre", den größten Staatsfonds der Welt managen zu dürfen. Pluspunkte sammelte er bei vielen mit einem Interview, in dem er verkündete, er unterstütze eine Erbschaftssteuer von 100 Prozent: Jeder solle bitteschön seine Karriere von null aufbauen, das gelte für seine eigenen drei Kinder ebenso wie für alle anderen.

Eine Million Dollar Gage bekam der mit Band auftretende Gaststar Sting

Es hätte also trotz einiger Skepsis alles gut laufen können für Nicolai Tangen, wäre nicht der ersten Überraschung schnell eine zweite gefolgt: eine, die aus der Berufung Nicolai Tangens praktisch über Nacht ein Sittenspiel machte, und die zudem ein Schlaglicht wirft auf die fast inzestuösen Verhältnisse in Norwegens politischer und wirtschaftlicher Elite. "Norwegen ist ein kleines Land", seufzte ein Kommentator in der Zeitung Dagsavisen: Hier kennt jeder jeden, viele schulden einander einen Gefallen, und die Grenze zwischen Networking und Vetternwirtschaft ist vielleicht durchlässiger als sich viele stolze Norweger dies vor Kurzem noch vorgestellt hätten. Das Boulevardblatt Verdens Gang VG hatte vorletzte Woche enthüllt, dass Tangen vergangenes Jahr, vor seiner Berufung auf den neuen Posten, 30 einflussreiche Norweger zu einem geheim gehaltenen Luxusseminar in den USA hatte einfliegen lassen, Privatkonzert mit Sting inklusive. Alle Auslagen bezahlt von Tangen.

Und so steht Nicolai Tangen mit einem Mal im Mittelpunkt des wohl größten Skandals, den der staatliche Ölfonds in den 24 Jahren seines Bestehens erlebt hat, und nun diskutiert das Land, ob er wirklich der geeignete Mann ist, um den Stolz der Nation zu führen. Der Posten des Ölfondschefs mag nicht der bestbezahlte in der Finanzwelt sein, er ist aber mit Sicherheit einer der einflussreichsten. Tangen erhalte hier etwas, schrieb eine Zeitung, was man mit Geld nie kaufen könnte: "Zugang zu nahezu fast allen Mächtigen der Welt."

Der Ölfonds ist heute einer der größten staatlichen Fonds der Welt. Er verwaltet ein Vermögen im Wert von mehr als einer Billion Dollar, und ihm gehören weltweit im Durchschnitt 1,5 Prozent aller börsennotierten Unternehmen. Der Fonds investiert nur außerhalb Norwegens, er folgt dabei den Vorgaben eines Ethikrates: Unternehmen, die an der Produktion von Tabak, Atomkraft oder Kohlekraftwerken Beteiligungen halten, sind ebenso tabu wie Unternehmen, die verwickelt waren in Menschenrechtsverletzungen.

"Ich werde zum leuchtenden Beispiel dafür werden, was man niemals tun darf."

So viel vorweg: Nicolai Tangen hat nichts Illegales getan. Und dennoch sprechen Kritiker nun von einem Vertrauensverlust. Der Fonds brauche einen Direktor, der über jeden Verdacht erhaben sei, sagt etwa Guro Slettermark, die Generalsekretärin von Transparency International Norwegen.

"Back to University" hieß das Seminar, das Tangen eigenen Angaben zufolge über zwei Jahre hinweg organisiert hatte: Es fand statt an seiner Alma Mater, der Wharton Business School. Tangen nannte es sein "Traumseminar". Starkoch Jamie Oliver hatte er als Redner ebenso geladen wie den bekannten dänisch-isländischen Künstler Ólafur Elíasson und den ehemaligen britischen Außenminister William Hague. Die von Norwegen aus nach Philadelphia anreisenden Gäste bestiegen am 14. November zwei gecharterte Flugzeuge außerhalb von London, nach Angaben der Zeitung VG waren es umgebaute Boeing 777 mit eigenem Küchenchef, Butler, zwei Bars und geräumigen Badezimmern. Reise und Unterkunft in Luxushotels vor Ort wurden bei fast allen Teilnehmern komplett von Nicolai Tangen bezahlt. Später nach den Kosten befragt, sagte Tangen, da könne er sich mit Ausnahme der Gage für den mit Band auftretenden Gaststar Sting (eine Million Dollar) so genau nicht erinnern, es sei aber "sicher nicht das billigste" gewesen, was er je auf die Beine gestellt habe.

Nun darf ein Hedgefonds-Milliardär mit seinem Geld sicher anstellen, was er möchte, für heftige Debatten in Norwegen sorgen allerdings sowohl Timing als auch die Teilnehmerliste des Seminars. Norwegens UN-Botschafterin war ebenso da wie die Chefin von Schibsted, des größten Medienhauses in Norwegen (zu dem auch die Zeitung VG gehört, die den Skandal aufdeckte), der damalige Handelsminister Torbjørn Røe Isaksen oder Norwegens Generalstaatsanwalt Fredrik Sejersted. Es waren aber auch präsent: Knut Kjær, ehemals erster Ölfondschef - und Yngve Slyngstad, der momentane Chef des offiziell Norges Bank Investment Management NBIM betitelten Ölfonds. Slyngstad hatte nur wenige Wochen vor dem Tangen-Seminar in den USA seinen Rücktritt für den Herbst 2020 erklärt, ihm soll Nicolai Tangen nun nachfolgen. Viele Norweger fragten sich nach den Enthüllungen ebenso wie die Abgeordnete Hadia Tajik von der Arbeiterpartei: "Hat er so den Job bekommen?"

Wie die Financial Times schrieb, erreichte Yngve Slyngstad ein paar Wochen nach dem Seminar, am 6. Januar eine E-Mail von Nicolai Tangen, in welcher der um "einen kleinen Gefallen" bat: "Ihre Schuhe als Chef des NBIM werden nur schwer zu füllen sein, aber jemand muss es versuchen, und wir haben das ja angesprochen in Philadelphia. Hätten Sie 30 Minuten, um mir zu erklären, was der Job beinhaltet in Sachen politischer Führung, Chancen und so weiter?" Slyngstad antwortete nie auf die E-Mail, und erklärte später auch, er habe mit der Auswahl Tangens nichts zu tun gehabt. In einer Nachricht an seine Angestellten entschuldigte sich der weithin respektierte Slyngstad mittlerweile dennoch: Er habe da "richtig Mist gebaut". Und in einem Interview mit dem staatlichen Sender NRK meinte er: "Ich werde zum leuchtenden Beispiel dafür werden, was man niemals tun darf." Jenseits der Frage, was nun rechtmäßig war oder nicht, sorgen sich die Norweger auch um den Ruf des Fonds und des Landes: "Stellen Sie sich vor, das Ganze wäre in Ghana passiert", sagte die Ökonomin und Korruptionsexpertin Tina Søreide: "Dann hätten wir hier gelächelt und genickt und gesagt: Das war's!"

Alle Augen sind nun auf Øystein Olsen gerichtet, den Gouverneur der Zentralbank. Er leitete den Auswahlprozess und soll bis zum Mittwoch dieser Woche 26 Fragen beantworten, die ihm der Aufsichtsrat gestellt hat. Die Kritiker wollen wissen, wie überhaupt es zur Wahl Tangens kam und ob eventuelle Interessenkonflikte Tangens mit seinen Investments berücksichtigt wurden. Tangen selbst beabsichtigt noch immer, im September die Arbeit aufzunehmen: Der Nachrichtenagentur Bloomberg erklärte er: "Ich freue mich sehr darauf, anfangen zu können".

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