Mittwochsporträt:Verliebt in Deutschland

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Bankier Phlilppe Oddo meint es ernst mit seinem Investitionen in Deutschland. (Foto: Bruno Delessard)

Philippe Oddo kaufte mehrere deutsche Geldhäuser auf - jüngst die traditionsreiche BHF. So will der Pariser Financier die erste Privatbank der Eurozone erschaffen. Ein großer und riskanter Plan.

Von Leo Klimm und Meike Schreiber, Paris/Frankfurt

Es sind sperrige deutsche Wörter: "Prüfungsverband." Oder "Inhaberkontrollverfahren". Philippe Oddo spricht sie trotzdem hingebungsvoll aus. Und ohne französischen Akzent. Eher hört man eine niederrheinische Färbung, die ihm aus der Zeit als Austauschschüler an einem katholischen Internat in der Nähe von Kleve geblieben ist. Für Oddo klingen diese Wörter, deren ganze Bedeutung er in den vergangenen Monaten erfahren hat, wie Musik. So deutsch eben. Und Deutschland, das liebt er: "J'aime l'Allemagne", sagt er und setzt sein charmantestes Lächeln auf.

Philippe Oddo, 56 Jahre, ein gut aussehender Mann mit gebräuntem Teint und samtweicher Stimme, wäre in einem Autorenfilm über das Pariser Großbürgertum der galante Patriarch. Die fahle Januarsonne, die durchs Fenster fällt, lässt sein volles Haar silbern leuchten. Oddo sitzt in einem holzgetäfelten Raum eines Art-Nouveau-Gebäudes im Herzen der französischen Hauptstadt. Dies ist die Zentrale seiner Privatbank Oddo & Cie.. Das ist schon nicht schlecht. Aber es reicht ihm nicht. Er will nach Deutschland. Das Land der Prüfungsverbände und Kontrollverfahren ist eine Verheißung: Die Chance, aus seinem kleinen, feinen Geldhaus für betuchte Kunden "die erste private Finanzgruppe der Eurozone" zu machen. Das ist das große Ziel.

Oddo ist dabei, das dritte deutsche Institut innerhalb von gut einem Jahr zu übernehmen. Nach dem Wertpapierhändler Seydler und der Fondsgesellschaft Meriten ist die traditionsreiche Frankfurter BHF-Bank an der Reihe. Ein ehrenwertes, aber zuletzt malträtiertes Haus, das größer ist als Oddos eigenes. In drei Übernahmen war Gelegenheit für ihn, all die neuen Wörter kennenzulernen und die Institutionen, die sich dahinter verbergen. Und den ehrgeizigen Plan von der ersten deutsch-französischen Privatbank voranzutreiben.

"Die Politik hat sich nicht eingeschaltet. Es war nicht nötig."

Nur ein paar Jahre ist es her, da hätten marode Großbanken beinahe den Euro ruiniert. Jetzt kommt Philippe Oddo und will ausgerechnet mit Geld an Europa weiterbauen. Manchem mag das wie eine längst gescheiterte Idee erscheinen. Für Oddo ist sie "vollkommen logisch": Nach der Euro-Krise gibt es eine gemeinsame Bankenaufsicht und - für den Fall der Fälle - Abwicklungspläne. Jetzt sei der Rahmen da für die Vertiefung der Eurozone, sagt er. "Die Zusammenführung von Oddo und BHF ist unser bescheidener Beitrag." Deutschlands und Frankreichs Staatenlenker mögen regelmäßig gemeinsame Wirtschaftsprojekte ankündigen. Meist wird nichts daraus. Bankier Oddo macht einfach - ohne, dass die Regierungen Notiz davon nehmen. "Die Politik hat sich nicht eingeschaltet", sagt er über den BHF-Kauf. "Es war nicht nötig." Er scheint fast erleichtert darüber.

Oddo baut seine europäische Bank ja auch nicht aus politischem Eifer auf. Sondern aus Geschäftsinteresse. Er schlägt eine Broschüre auf. Darin sind Grafiken, die seine Argumente auf einen Blick zusammenfassen: Deutschland und Frankreich machen allein fast die Hälfte der Wirtschaftsleistung der Eurozone aus, steht da, und 60 Prozent der Börsenkapitalisierung. Für einen Familienbanker wie Oddo ist Deutschland mit seinen vielen Mittelständlern erst recht attraktiv. "Wir wissen, was die Firmen des Mittelstands brauchen, wir sind selbst eine", sagt er. Wie Oddo & Cie. in Frankreich soll die BHF in Deutschland - wieder - zu den ersten Adressen gehören, wenn Familienunternehmen Anleihen begeben oder Firmen kaufen. Oder wenn die reichen Clans hinter den Unternehmen einen Vermögensverwalter suchen. In Frankreich kümmert sich Oddo Pariser Medien zufolge um das Geld der Peugeots, der Michelins und auch um das der Allerreichsten, der Bettencourts, den Haupteignern des Kosmetikkonzerns L'Oréal. Gut 60 Milliarden Euro verwaltet Oddo.

Der Aufstieg zum Bankier der Reichen ist sein Werk. Seine aus Marseille stammende Familie war seit dem 19. Jahrhundert im Börsenhandel tätig. Als Philippe Oddo 1984 nach dem Studium an der Pariser Wirtschaftsuni HEC ins Geschäft einsteigt, forciert er den Ausbau zur Komplettbank. Mit einem Dutzend Zukäufen erweitert er das Angebot und steigert die Zahl der Mitarbeiter von 100 auf 1300. Sie erwirtschafteten 2015 bei einem Nettobankergebnis von gut 420 Millionen Euro mehr als 80 Millionen Euro Gewinn, deutlich mehr als 2014.

Aus seiner Studienzeit kennt er viele, die in Frankreich Rang und Namen haben

Oddos Netzwerk trägt zum Erfolg bei. Die HEC-Alumnis versammeln viele, die in Frankreich Rang und Namen haben, ebenso der exklusive Club Le Siècle, dem Oddo angehört. Mehrere seiner Ex-Mitarbeiter stehen an der Spitze großer Konzerne, etwa des Energiemultis EDF. Auf die Unterstützung seiner Kunden kann er auch zählen. Besonders auf die der Bettencourts.

In den Nullerjahren will Oddo ins Ausland expandieren. Er denkt an Dubai oder Hongkong. An Deutschland denkt er nicht. Seine Begeisterung war nicht immer so groß wie heute. Doch als er 2010 die kleine Banque d'Orsay von der niedergehenden WestLB übernimmt, da macht es "Klick", sagt er. Da entsinnt er sich seiner Jugenderlebnisse in Deutschland: Der Zeit am Niederrhein. Des lehrreichen Sommerjobs, den er am Band einer Shampoo-Fabrik von L'Oréal in Karlsruhe verrichtet hatte. Oder des Praktikums bei der Deutschen Bank in Köln. Jedenfalls, so Oddo, fängt er nach dem WestLB-Deal an, "in Deutschland nach günstigen Gelegenheiten zu schauen". Schnell fällt ihm die BHF auf.

Zweimal müht er sich vergebens, das Institut zu kaufen. 2015 ergibt sich eine neue Chance: Oddo ist schon Minderheitsaktionär, als der chinesische Milliardär Guo Guangchang eine Übernahmeofferte für die Mutterholding BHF Kleinwort Benson vorlegt. Oddo muss reagieren. Sein Glück ist, dass andere Aktionäre, darunter BMW-Erbe Stefan Quandt, nicht zum gebotenen Preis veräußern. Heimlich kauft Oddo Aktien zu und besucht Quandt in Bad Homburg. Der lässt sich nach anfänglicher Zurückhaltung auf einen Deal ein. Immerhin verspricht Oddo einen besseren Preis als der Chinese. Ende November kann Oddo den Sieg im Bieterkampf verkünden: Die BHF-Mehrheit ist ihm sicher.

Um auch die Bankenaufsicht zu überzeugen, reicht Oddo alle nicht-deutschen Firmenteile der Gruppe weiter. Außerdem muss er sein Eigenkapital um 100 Millionen Euro aufstocken. An der Kapitalerhöhung nehmen auch die Bettencourts teil. Früher füllte Oddo Shampoo für sie ab, jetzt ermöglichen sie ihm den großen Deal.

Die BHF wechselte in 16 Jahren bereits fünf Mal den Besitzer

Doch die Bank, die er übernimmt, ist in keinem guten Zustand. Fünf Mal in 16 Jahren hat die BHF den Eigentümer gewechselt. Sie hat gelitten dabei. Für 2016 rechnen Insider mit einem Verlust. In den vergangenen Jahren mussten Mitarbeiter gehen, es sind jetzt noch 1000. Nicht zuletzt wurde in der IT gespart. Sie gilt als Schwachpunkt der BHF - ist für Oddo aber das Herzstück einer Bank. Hinzu kommen Fluchtbewegungen: Kürzlich setzten sich die Mitarbeiter der BHF-Filiale Münster geschlossen zur Konkurrenz von Berenberg ab. Und ob der deutsche Mittelstand auf Oddo gewartet hat, ist fraglich. In Deutschland kämpfen alle Institute erbittert um diese Kunden. Doch die zieren sich. Sie meiden Kredite und scheuen die Börse.

Philippe Oddo kennt die Einwände. Er lächelt wieder sein Charmeur-Lächeln. Hätte er immer nur die Argumente beachtet, die gegen ein Wagnis sprechen, er hätte nie Erfolg gehabt. Sicher, gesteht er ein, seine Bewertung von 760 Millionen Euro für BHF Kleinwort Benson sei ein stolzer Preis. Ob er auch zu teuer ist? "Die Zukunft wird es zeigen." Oddo verspricht das, was der Bank fehlte: "Eine stabile Eigentümerschaft und die Bereitschaft, zu investieren." Die BHF brauche neue Dynamik. "Wir werden sie gemeinsam wiederfinden". Damit das gelingt, müssen kulturelle Differenzen überbrückt werden. Oddo & Cie. ist sehr französisch. Den früheren Tresorraum ließ er in eine Küche umwandeln, in der nun exquisite Menüs zur Bewirtung der Geschäftspartner zubereitet werden. Dafür wirken seine Büroräume viel bescheidener als die der BHF in Frankfurt, wo alles aufgeräumt und kühl ist. Oddos Büro würde jeder deutsche Sparkassendirektor als nicht standesgemäß ablehnen: Es ist eher klein, ein abschirmendes Vorzimmer fehlt. Oddo ist für seine Sparsamkeit bekannt. Innerhalb Europas reist er zweiter Klasse. Statusfragen sind ihm nicht so wichtig. Es herrscht ja kein Zweifel, dass er der Chef ist. Der Patron. Kein angestellter Manager mit Angstkomplex und heraufziehendem Burn-out.

Der Patron hat schnell klar gemacht, dass er die BHF selbst leiten wird. "Oddo ist ein patriarchalisch geführtes Haus. Bei der BHF aber hat sich wegen der Eignerwechsel eine starke zweite Führungsebene herausgebildet", sagt ein Frankfurter Banker. "Das passt schwer zusammen." Auch Ratingagenturen monierten vor einiger Zeit, Oddo & Cie. sei zu sehr auf den Chef zugeschnitten. "Ich will vor Ort sein, wir müssen lernen", entgegnet Oddo. "Ja, wir alle sind aufgefordert, uns ein wenig aus unserer Komfortzone herauszubewegen."

Am meisten zu verlieren hat er selbst bei der Übernahme. "Dies ist nicht einfach nur eine Diversifikation", sagt er. "Der Schwerpunkt der Gruppe verlagert sich nach Deutschland." Auf seinem Schreibtisch liegt ein aufgeschlagenes deutsches Wörterbuch, das "Prüfungsverband" wohl nicht kennt, aber anzeigt, dass sich hier einer auf Deutschland vorbereitet. Oddo knüpft sein Schicksal an dieses Land. Drei Tage pro Woche verbringt er dort. Seine vier Kinder im Alter von 14 bis 23 Jahren treibt er an, Deutsch zu lernen. Eines von ihnen soll das deutsch-französische Geldhaus später steuern können.

"Wir werden französische Kreativität und technologische Innovationskraft mit deutschem Sinn für Organisation und Prozesse verbinden", schwärmt Oddo. "Wenn Deutsche und Franzosen gut zusammenarbeiten, sind sie unschlagbar." Seine Leute haben sich schon etwas fürs deutsch-französische Teambuilding einfallen lassen: Bei Oddo und den übernommenen Geldhäusern Seydler und Meriten haben die Mitarbeiter Lieder einstudiert und dann in Paris, Frankfurt und Düsseldorf gemeinsam aufgeführt. Ein Medley von Edith Piaf. Oder Beethovens "Ode an die Freude". Die Franzosen improvisierten eher. Die Deutschen waren perfekt vorbereitet. Sie sind die Stützen im Chor. Bald, hofft Oddo, sollen sie auch die Stützen seiner Bank sein.

© SZ vom 20.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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