Mittwochsporträt:Nur kein Larifari

Matthias Hartmann hat bei IBM Karriere gemacht - seit gut einem Jahr steuert er das Geschäft des Konzerns in Deutschland, Österreich und der Schweiz

Von Helmut Martin-Jung und Stefan Mayr

Matthias Hartmann empfängt im Besprechungsraum Ätna. Das passt zu dem energiegeladenen Hobby-Schlagzeuger, in ihm scheint es innerlich ebenfalls zu brodeln. Als erstes zieht der Chef von IBM DACH, also der für Deutschland, Österreich und die Schweiz zuständigen Niederlassung, sein Jackett aus, weil es warm ist in dem Eckzimmer mit den raumhohen Fenstern. Er setzt sich in einem knallgrünen Sessel und dreht sich leicht hin und her. Dann beugt er sich nach vorne, stützt seine Ellbogen auf die Oberschenkel. Zwischendurch bricht immer wieder mal sein lautes, offenes Lachen heraus.

Aber hat er denn überhaupt viel zu lachen, werden nicht die deutschen Dependancen großer amerikanischer IT-Konzerne an der kurzen Leine geführt? Hartmann, Jahrgang 1966, kurz rasiertes Haar, drahtige Figur, fühlt sich nicht eingeengt, er vergleicht seine Situation mit einer Fahrt auf der Autobahn. Da gebe es Spuren, auf denen man sich frei bewegen könne, aber auch Leitplanken, an die man sich zu halten habe. "Ich kann meine Schwerpunkte setzen und meine Wetten eingehen", sagt er. Aber: "Wenn ich über die Leitplanken hinaus fahre, gibt es Fragen."

Natürlich hilft es, dass IBM Deutschland innerhalb des Konzerns ein gutes Standing habe: "Wir gehören zu den fünf größten Märkten von IBM und haben auch zum Wachstum beigetragen." Mit 300 Patenten im vergangenen Jahr sei man innerhalb des Konzerns auch "ein großer Entwicklungsstandort". Hartmann, Vater dreier Kinder, duzt die Mitarbeiter. "Ich will niemanden zwingen, aber alle dürfen mich duzen." Damit wolle er zeigen, dass er "zugänglich" sei, überhaupt sei er offen, könne aber auch klare Kante zeigen. "Fordern und fördern, kein Larifari, sich den Themen stellen", so sieht er sich selbst. Aus der Belegschaft ist zu hören, dass das ganz gut ankommt.

Das mag auch damit zusammenhängen, dass Hartmann in einer Zeit übernommen hat, in der es wieder aufwärtsgeht bei IBM in den deutschsprachigen Ländern. In den nächsten drei Jahren will Hartmann um bis zu 2200 neue Mitarbeiter aufstocken. "Zwei Drittel haben wir schon eingestellt", sagt er, der Rest werde noch rekrutiert. Während Hartmann das erzählt, findet im Haus eine Jobmesse statt.

Die Zentrale von IBM DACH steht in der 9000-Einwohner-Gemeinde Ehningen, gelegen zwischen Stuttgart und dem Schwarzwald. Gleich nach der Autobahnausfahrt glitzern die Glasfassaden der drei sternförmigen Gebäude in der Frühlingssonne. Von hier aus managt Hartmann mit gut 2000 Mitarbeitern das Geschäft in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In der benachbarten Kreisstadt Böblingen sitzen zusätzlich etwa 1700 Entwickler im sogenannten "Labor". Noch.

Matthias Hartmann

Klare Kante zeigen: Mitarbeiter, sagt Matthias Hartmann, können ihn duzen – sie müssen aber nicht.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Demnächst nämlich wird Hartmann diese zwei Standorte zusammenlegen: Auf der Wiese neben den drei Sternen soll von 2020 an eine neue Zentrale errichtet werden. In die werden dann alle etwa 4000 Mitarbeiter einziehen. Neben Ehningen betreut Hartmann noch zehn weitere Standorte in Berlin, Düsseldorf, Hamburg, Frankfurt, Köln, München, Chemnitz, Zürich, Genf und Wien. Und das findet er auch gut, denn anders als etwa Großbritannien oder Frankreich mit ihren alles dominierenden Hauptstädten sei Deutschland weniger zentralistisch organisiert. "Alles auf einen Platz zu setzen, wäre für uns gar nicht zielführend."

Die meiste Zeit seines Berufslebens hat Hartmann für IBM gearbeitet. Doch als ihm 2011 der Chefposten bei der Nürnberger Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) angeboten wurde, nahm er an. So oft bekomme man nicht die Chance, Chef eines so großen Konzerns zu werden, sagt er. Außerdem passte ihm der Job in Deutschland familiär besser in den Kram - er hätte sonst mit drei schulpflichtigen Kindern von den USA nach China ziehen müssen. Nach fünf Jahren war bei der GfK allerdings Schluss: Nach mehreren Gewinnwarnungen und Ärger mit den Gesellschaftern musste Hartmann gehen.

Dennoch bereut er den Ausflug in die andere Branche nicht. "Ich war mal fünf Jahre IBM-Kunde, das hilft einem, dem Unternehmen den Spiegel vorzuhalten", sagt er. Ehe er im Januar 2018 als General Manager zu IBM Deutschland zurückkehrte, tummelte er sich in der Start-up-Szene: Noch heute ist er an Unternehmen wie Honestly und Opeepl beteiligt.

Viele der Angebote von IBM haben mit Daten zu tun. Will der Konzern sie auch zu Geld machen wie andere Datenkonzerne? "Was über eine Branche an öffentlich verfügbaren Daten teilbar ist, das teilen wir natürlich", der Kunde wolle ja bei seinen Projekten nicht bei Null anfangen, sagt Hartmann. "Aber an dem Punkt, an dem sich ein Kunde differenziert in seinem Geschäftsmodell, mit seinen Produkten und Dienstleistungen, kann es nicht sein, dass ich als Technologielieferant mit diesen sensiblen Daten mein Geschäftsmodell befeuere. Ganz explizit: Kundendaten gehören unseren Kunden, genauso wie die Erkenntnisse, die wir für den Kunden daraus gewinnen."

Wichtig sei auch, dass man die Kunden nicht gefangen nehme, sondern ihnen die Möglichkeit lasse, mit ihren Daten auch zu einem anderen Anbieter zu ziehen. Dass es IBM damit ernst meint, zeigt der Kauf des Open-Source-Unternehmens Redhat. Redhat - "eine der wichtigsten Akquisitionen, die wir je gemacht haben" - macht Open-Source-Software für Unternehmens-Kunden einsetzbar, indem es beispielsweise Verfügbarkeit über längere Zeiträume zusichert oder sich um die Wartung kümmert. Portabilität, also die Möglichkeit, seine Daten mitzunehmen und mit einer anderen Software zu nutzen, ist ein wichtiger Teil der Open-Source-Angebote.

Lang in Schwaben

Das Kürzel IBM steht für International Business Machines, einst stellte das US-Unternehmen Lochkartenmaschinen her. Schon 1910 entsandte Firmengründer Herman Hollerith einen Ingenieur nach Berlin, um dort einen Vertriebsstandort für Deutschland und Südeuropa aufzubauen. Am 30. November 1910 wurde die "Deutsche Hollerith-Maschinen Gesellschaft mbH" (Dehomag) gegründet. Sie wurde 1949 in "Internationale Büro-Maschinen Gesellschaft mbH" umbenannt. Heute heißt das Unternehmen "IBM Deutschland GmbH". Die Deutschland-Zentrale befand sich bis 1972 in Sindelfingen, bis 2009 dann im Stuttgarter Stadtteil Vaihingen. Später zog das Unternehmen in die 9000-Einwohner-Stadt Ehningen südlich von Stuttgart. Dort gab es bereits seit den 1980er-Jahren ein Rechenzentrum, heute sind auf dem Campus etwa 2000 Mitarbeiter tätig, bald sollen es 4000 sein. SZ

Noch ist der Deal nicht endgültig abgeschlossen, aber Redhat soll bewusst nicht voll in den Konzern integriert werden, sondern weiter selbständig agieren. "Das wird jetzt nicht alles blau angestrichen", erklärt Hartmann. Es werde also weiter auch eigene Redhat-Produkte geben, IBM werde allerdings viel von Redhat übernehmen können. Hartmann sieht hier einen großen Wachstumsmarkt, 80 Prozent der anfallenden Rechenarbeit seien schließlich noch gar nicht in der Cloud.

Mit der Cloud haben auch viele deutsche Unternehmen lange gefremdelt. Hartmann aber warnt vor Pauschalurteilen. "Ich erkenne sehr wohl viel gute und vorausschauende digitale Arbeit", sagt er, "aber was ich auch konstatieren muss: Wir haben aus Deutschland und Europa heraus keinen massiven digitalen Plattform-Player, der eine weltweit führende Rolle hätte." Dies sei eine Schwäche des Standortes. "Was wir zum Beispiel bei künstlicher Intelligenz tun, ist immer noch sehr klein gedacht, und oft endet es an den Ländergrenzen innerhalb von Deutschland, an den nationalen Grenzen."

Dabei stehe man in Konkurrenz zu einem integrierten chinesischen Markt mit 1,2 Milliarden Konsumenten. "Das ist ein Wettbewerb, der nicht leicht zu bestehen ist." Dass die Bundesregierung im vergangenen Herbst drei Milliarden Euro für KI-Projekte zugesagt hat, findet er gut, auch wenn man sich immer mehr wünschen könne. Schneller müsse es vor allem gehen, findet Hartmann.

Das gilt auch für die digitale Infrastruktur, die dringend ausgebaut werden müsse. Dafür setzt sich Hartmann unter anderem in Verbänden wie BDI und Bitkom ein: "Wir müssen laut sein zu diesen Themen", fordert er. "Wir sind nicht zufrieden mit der Infrastruktur in Deutschland, die Diskussion zum Beispiel um die 5G-Auktionen sind schwierig." Was helfen könnte: "Deutschland braucht mehr Gründermentalität und auch mehr Risikokapital, um die Innovation im Land zu treiben."

Zum Schlagzeug-Spielen kommt Hartmann weniger oft als er gerne möchte, schließlich sei Musik - Soul, Funk, Jazz - ein Ausgleich zum Berufsalltag. Aber bald will er auch in Ehningen wieder eine Hausband auf die Beine stellen, "ich bin ein bisschen hinter meinem Zeitplan", sagt er, "uns fehlt noch ein guter Keyboarder."

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