Mittwochsporträt:Die Gerberin

Mittwochsporträt: Anne-Christin Bansleben verkauft nicht nur Leder - sie macht inzwischen selbst Mode. Ihr Label heißt Deepmello, eine Anspielung auf das weiche Material.

Anne-Christin Bansleben verkauft nicht nur Leder - sie macht inzwischen selbst Mode. Ihr Label heißt Deepmello, eine Anspielung auf das weiche Material.

(Foto: Andreas Troitsch)

Anne-Christin Bansleben wollte beweisen, dass Leder nicht giftig sein muss. Sie gerbt mit Rhabarberwurzel. Ihr Mode-Label Deepmello findet zunehmend Kunden.

Von Carolin Wahnbaeck

Als Kind ging Anne-Christin Bansleben gern in den Gemüsegarten, brach einen Stängel Rhabarber ab und biss hinein. Roh. "Manchmal hab ich den Rhabarber in Zucker gestippt, aber Saures mochte ich schon immer", sagt sie. Dass die Pflanze neben Säure auch Gerbstoff enthält, wusste sie damals noch nicht. Und dass das die Geschäftsidee ihres Lebens werden würde, "war Zufall", sagt die 39-Jährige. "Eigentlich bin ich Wissenschaftlerin."

Zufälle prägen das Leben von Bansleben immer wieder. Sie hat die Gelegenheiten oft genutzt. Aufgewachsen in einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt - ihre Eltern unterrichteten an der DDR-Landwirtschaftsschule, die Mutter fuhr Mähdrescher - zog es sie an die Uni. Heute hat die studierte Ernährungswissenschaftlerin sowohl Dorf als auch Hochschule hinter sich gelassen und ist Chefin ihres eigenen Unternehmens "Rhubarb Technology" und des Ledermode-Labels Deepmello. Ihr Markenzeichen: Rhabarberleder aus eigener Herstellung, nachhaltig gegerbt mit dem Extrakt der Rhabarberwurzel.

Beim Treffen in einem Leipziger Lokal sitzt Bansleben, ganz in Schwarz gekleidet, auf einem braunen Chesterfield-Ledersofa. Das Leder des Sofas knarzt, es ist kalt und fest, die Oberfläche glatt und rutschig. "Typisches Chrom-Leder, mit Plaste versiegelt, damit es glänzt und keine Kratzer bekommt. Aber: Das ist doch kein Leder mehr", kommentiert die Expertin. Zum Vergleich zieht sie ein braunes Stück Leder aus ihrer Tasche: Es fasst sich weich und etwas stumpf an, die Narbung ist mal feiner, mal etwas gröber. Sie steckt ihre Nase hinein, es duftet fein nach Leder. "Das atmet, kann Feuchtigkeit aufnehmen und wieder abgeben - dieses Leder ist ein Naturprodukt", sagt Bansleben. Natürlich gefettet, nicht beschichtet - und eben mit Rhabarber statt mit Chrom gegerbt.

Aber müsste das Leder dann nicht rot wie Rhabarber sein? Bansleben schüttelt den Kopf. Und legt dunkelbraune, getrocknete Rhabarberwurzel-Stücke auf den Tisch. Sie riechen erdig und ein wenig säuerlich-fruchtig. Darin ist der Gerbstoff enthalten. Dass Rhabarber Leder gerben kann, entdeckten Banslebens Professor Ingo Schellenberg und der Gerber Johann Peter Schomisch schon 1995. Doch dabei blieb es zunächst: Es gab nur das natürliche, helle Leder - als Forschungsergebnis.

Bis Bansleben, die sich mit Pflanzenanalyse beschäftigte, in Schellenbergs Rhabarber-Forschungsgruppe kam. "Ich war fasziniert davon - und sah sofort das Produkt dahinter: umweltfreundlich gegerbte Ledermode", sagt sie. Als Alternative zu dem billigen, in Asien mit Chrom gegerbten Leder, aus dem der weitaus größte Teil unserer Schuhe, Taschen und Jacken heute besteht. "Mein nächster Gedanke war: Das will ich entwickeln!"

Die örtliche Sparkasse winkte bei der Kredit-Anfrage ab - zu riskant

Gesagt, getan: 2010 gründete sie "Rhubarb Technology", zusammen mit ihrem Mann und ihrem Professor. Die Idee: Rhabarberleder über fertige Produkte bekannt machen und vertreiben. Aber nicht etwa von München oder Berlin aus, sondern mit einer Firma in der ostdeutschen Provinz: in Bernburg, Sachsen-Anhalt, als Ausgründung ihrer Hochschule. Die örtliche Sparkasse reagierte zunächst skeptisch: "Rhabarberleder - das war denen zu abgefahren. Geld haben wir nicht bekommen", sagt Bansleben und lacht. Ein Grund zum Aufgeben war das für sie nicht: "Dann haben wir das eben selbst finanziert." Sie arbeitete weiter in Vollzeit als Wissenschaftlerin an der Hochschule Bernburg. Nachts, am Wochenende, im Urlaub baute sie mit ihren Geschäftspartnern das Unternehmen auf. "Manchmal hat mich mein Vater abends um 8 Uhr angerufen und gesagt: 'Anne, jetzt mach mal den Rechner aus'". Was sie dann auch getan habe, "vor allem, um meine Eltern zu beruhigen".

"Jetzt machen wir einen Laden!"

Denn Anstrengung oder gar Stress scheinen Bansleben fremd zu sein. Statt sich an Problemen aufzuhalten, fokussiert sie sich auf das, was gelingt. Wie ihre Eltern die Ackerpflanzen, kultiviert sie ihr Unternehmen, sieht zu, dass die wichtigen Dinge wachsen. "Ich könnte nie mit einem festen Plan für die nächsten zwanzig Jahre leben", sagt Bansleben. Sie will Deepmello groß machen - wie genau, das werde sich mit der Zeit schon ergeben. "Meine Eltern haben immer gesagt: 'Die Anne, die macht das schon'", sagt Bansleben und lacht.

Genauso offen ging sie an ihr Unternehmen heran: War Rhabarberleder überhaupt wirtschaftlich produzierbar? Jahrelang kultivierten die Neu-Unternehmer verschiedene Rhabarberpflanzen, tüftelten an der richtigen Anbaumethode auf den Versuchsfeldern der Hochschule. Schließlich gelang der Beweis: Ein effizienter Gerbstoff und ein skalierbares Rhabarber-Gerbverfahren war entwickelt. Die vielen, meterlangen Wurzeln liefern reichlich Gerbstoff - weshalb keine Konkurrenz zum Nahrungsmittelanbau droht.

Mit derselben wissenschaftlichen Akribie entwickelten Bansleben und ihre Partner die Marke Deepmello - die Wortschöpfung soll das "tiefzarte" Rhabarberledergefühl transportieren. Sie zogen Designer, Marketingexperten und Betriebswirtschaftler hinzu. Parallel schloss Bansleben ihre Doktorarbeit ab und stieg 2014 aus der Wissenschaft aus. Dann, 2015, das ersehnte Geld: Ein Risiko-Kapitalgeber stieg ein, auch die GLS-Bank gab Kredit.

In Japan sind Rhabarberleder-Schuhe ein Renner

Heute macht Rhubarb Technology wie geplant sein Hauptgeschäft mit Rhabarberleder, zu 100 Prozent in Deutschland produziert. Gegerbt wird in Süddeutschland, und die Rinder dort werden nicht nur für das Leder gehalten. Rhabarberleder verkauft sich bis nach Asien: Ein Berliner Label verkauft Rhabarberleder-Schuhe, "die sind ein Renner in Japan". Andere Lederkunden machen Unterwäsche, Kosmetiktäschchen oder Fliegen daraus. Sogar eine korallenfarbene Rhabarberlederhose gibt es, bei Angermaier in München. Damit hat Bansleben das globalisierte Ledergeschäft kurzerhand umgekehrt: Die meisten Tierhäute stammen heute aus Lateinamerika, werden in Asien gegerbt - und als Leder oder Tasche nach Europa und Nordamerika verkauft.

Chrom ist weit verbreitet

Leder sind haltbar gemachte Tierhäute. Gerben kann man auf viele Arten: mit Chromsalzen, synthetisch oder vegetabil, also mit Blättern, Rinden, Wurzeln oder Früchten. Heute überwiegt die Chromgerbung: Neun von zehn Tierhäuten werden billig in Asien mit Chrom gegerbt - zulasten der Umwelt und der Menschen. Denn bei unsauberer Produktion reagieren die zum Gerben eingesetzten Chrom-III-Salze zu Chrom-VI. Und Letzteres ist stark krebserregend, kann zu Hautausschlägen und Allergien führen, schädigt das Immunsystem und die Fortpflanzungsfähigkeit. Viele Kinder arbeiten in den asiatischen Gerbereizentren - und nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO sterben 90 Prozent von ihnen, bevor sie 50 Jahre alt sind. Auch in den Schuhen und Taschen, die in Europa verkauft werden, ist immer wieder Chrom-VI enthalten, warnt das EU-Schnellwarnsystem Rapex. Hitze beim Transport oder Licht im Schaufenster reichen: Selbst wenn das Leder sauber die Fabrik verlässt, kann sich durch Umwelteinflüsse Chrom-VI bilden. Eine halbe Million Deutsche reagieren bereits sensibel auf Chrom-VI und können kein Leder mehr tragen. Auch in Deutschland arbeiten Gerbereien mit Chrom. Doch hier wird nur so viel Chrom-III eingesetzt, wie das Leder binden kann. Damit entsteht in der Regel kein giftiges Chrom-VI. Und spezielle Kläranlagen filtern das Chrom aus dem Abwasser heraus. Es kann danach recycelt und etwa für die Asphaltherstellung verwendet werden. Die pflanzliche Gerbung dagegen ist giftfrei. Wurden früher die Tierhäute mit gerbstoffreichen Rinden und Hölzern für Wochen in Erdgruben gegerbt, ist das Verfahren heute schneller: Rhabarberleder etwa braucht zum Gerben nur einen Tag länger als Chromleder. Über den Verbrauch an Wasser, Energie oder Gerbstoff gibt es keine offiziellen Studien, dafür aber viel Streit in der Branche. Fakt ist: Rhabarberleder kostet etwa so viel wie in Deutschland gegerbtes Chromleder, ist aber etwa doppelt so teuer wie das Billigleder aus Asien. Und die Qualität? Aus vegetabil gegerbtem Leder kann man genau wie aus Chromleder Taschen, Kleider, Schuhe oder Autositze herstellen. Carolin Wahnbaeck

Und wie sehen die Deepmello-Produkte aus? Bansleben hält ihre klassische, schwarze Volllederhandtasche hoch. Überhaupt ist Schwarz die Deepmello-Farbe der Wahl: Teile wie das kleine Schwarze aus Leder, mit Reißverschluss vorne und hinten, oder das schwarze Lederoberteil mit zarter Plauener Spitze dominieren die Kollektion. Und wenn Farbe, dann richtig: Ein feines, korallenfarbenes Leder-Minikleid ist ebenfalls Teil der Kollektion. Produzieren lässt Deepmello in zertifizierten Betrieben in Deutschland oder Portugal. Bislang hat Bansleben sieben Angestellte, doch es könnten bald mehr werden. Denn das Unternehmen, so die Gründerin, verdoppelt derzeit seinen Umsatz jedes Jahr. "Die Lederbranche beginnt umzudenken - in Richtung nachhaltige Produktion."

Dass Bansleben mit Rhabarberleder einen Nerv getroffen hat, merkte sie bald an den Reaktionen der konventionellen Chrom-Gerberindustrie. Denn die verlautbarte öffentlich, dass pflanzlich gegerbtes Leder qualitativ schlechter sei und mehr Wasser, Energie und Zeit verbrauche. Und Unmengen Pflanzenmaterial zum Gerben benötige (siehe Kasten). Bansleben widerlegt das, nicht zuletzt durch ihre Produkte, und sagt: "Die Chrom-Gerber sehen ihre Felle davonschwimmen."

Und das, obwohl die Lederprodukte von Deepmello nicht billig sind: Knapp 400 Euro kostet die Vollleder-Tasche, knapp 800 das Lederkleid. "Natürlich ist das eine Investition. Aber wenn man das Leder richtig pflegt, kann meine Tasche ein Leben lang halten." Zeitlose Designs, gut zu kombinieren und wandelbar: Auch das mache die Deepmello-Produkte langlebig. Und damit nachhaltig. Das Label erfüllt die strenge Leder-Richtlinie des Internationalen Verbands der Naturtextilwirtschaft (IVN).

Und was kommt als Nächstes? "Jetzt machen wir einen Laden!" sagt Bansleben und steht vom Sofa auf. Raus aus dem Lokal, ein paar Hundert Meter die beliebte Leipziger Karl-Heine-Straße runter und wir stehen vor einem Haus. Plastikfolie flattert an den Erdgeschossfenstern, die Wände innen sind unverputzt, die Dielen fehlen, Kabel hängen von der Decke. Kein Bauarbeiter ist zu sehen. Doch Bansleben freut sich: "Die Stahlträger sind gestrichen. Und jetzt haben sie die Wand eingezogen!" In der Ecke grenzen Rohbau-Wände ihr zukünftiges Lager ab. Eigentlich wollte sie den Concept Store "Deepmello & friends" noch rechtzeitig für das Weihnachtsgeschäft eröffnen. Doch das hat nicht geklappt. Was soll's, nichts wächst schneller, wenn man dran zieht. Statt den Arbeitern im Nebenladen Beine zu machen, stiefelt sie zwischen Kabeln, Leitern und Eimern aus ihrem zukünftigen Laden heraus, schwingt sich auf ihr Rad und fährt ohne Hast davon. Dann halt im Januar. Das wird schon.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: