Süddeutsche Zeitung

Mittwochsporträt:Der Parkhaus-Veredler

"Urban Hub" statt Angstzone: Apcoa-Chef Philippe Op de Beeck will Europas Garagen aufpeppen. Sie könnten Umschlag-Hallen für Lieferfirmen sein, für Konzerte oder zum Umsteigen genutzt werden.

Von Stefan Mayr

Das Eckbüro von Philippe Op de Beeck ist an den zwei Außenseiten großzügig verglast. Aus dem sechsten Stock hat der Belgier aus Antwerpen einen freien Blick auf die Zubringerstraße des Stuttgarter Flughafen-Terminals. Wo sich sonst ganztägig Taxen, Privat-Pkws und Kleinbusse bunt und laut drängeln, herrscht zurzeit: graues Nichts. "Leider ist das Geschäft hier gerade fast tot", sagt Op de Beeck. Auch das Apcoa-Parkhaus nebenan ist nahezu leer. Keine Flüge, keine Autos. In manchen Etagen der großen traurigen Parkhochhäuser wird gerade der Bodenbelag erneuert, irgendwie muss man die Zeit ja nutzen. Überhaupt treibt Apcoa-Chef Philippe Op de Beeck auch in der Corona-Zeit sein Projekt Parkhaus der Zukunft voran. Wie das aussehen könnte, hat er gerade in einem Pilotprojekt in der Stuttgarter Innenstadt ausprobiert. Das Parkhaus als Umschlag-Halle für Logistiker wie DHL und Amazon und auch als Umsteige-Hub für Privatleute wie du und ich.

Wenn es nach Op de Beeck geht, sieht das Geschehen im Parkhaus der Zukunft so aus: Spätabends und frühmorgens werden die ohnehin schwach frequentierten Parkplätze für Paketdienste reserviert. Diese laden ihre Päckchen dort vom Lkw auf kleinere Fahrzeuge wie Elektroräder ab, diese übernehmen die Feinverteilung im Stadtviertel. Untertags fahren dann die gewohnten Kunden ein - und steigen um auf Sitz- oder Steh-Roller, Räder oder andere Miet-Fahrzeuge. Er kann sich auch Drive-In-Kinos, -Diskotheken und -Konzerte vorstellen. Und nebenher werden die Batterien des Autos geladen. Beim Ausfahren wird die Gebühr automatisch und minutengenau vom Konto abgebucht.

In Berlin steht bereits ein derartiger "Urban-Hub", wie Op de Beeck sein neues Konzept nennt. Es ist nur einer von 9000 Standorten der Apcoa Parking Holdings GmbH. Als Vorstandschef ist Op de Beeck der Herr über 1,5 Millionen Stellplätze in 13 Ländern. Er sieht sich als Marktführer in Europa und schickt sich nun an, seine Garagen zu veredeln von düsteren Angstzonen hin zu pulsierenden Treffpunkten.

"Das ist die spannendste Industrie, in der ich je gearbeitet habe."

Philippe Op de Beeck spricht fließend vier Sprachen, sein Deutsch hat nur einen leichten flämischen Akzent. Zuvor hat der 58-Jährige in den Branchen Lebensmittel (Unilever), Auto-Finanzierung (Renault), und Autovermietung (Hertz) gearbeitet. Er lebte in Frankfurt, Paris, London, Zürich, Singapur. Um 2016 nach Stuttgart zu kommen, um Parkplätze zu bewirtschaften. Angesichts dieses Lebenslaufs überrascht es dann doch, wenn er sagt: "Das ist die spannendste Industrie, in der ich je gearbeitet habe."

Parkraum-Bewirtschaftung, das ist bislang kein glitzerndes Glamourgeschäft. Vielmehr findet es in dunklen Tiefgaragen oder grauen Zweckbau-Würfeln statt. Umsatz kommt vergleichsweise mühsam herein durch sehr, sehr kleine Summen von sehr, sehr vielen Kunden. "Wir haben pro Jahr 150 Millionen Transaktionen, im Schnitt für fünf Euro", sagt Op de Beeck. Auch aus Kundensicht ist das Parken eine schnöde, lustbefreite Tätigkeit. Zwar tun es fast alle, aber keiner mag es wirklich. Apcoa kümmert sich darum, das Lästige möglichst bequem zu machen. Zu den Großkunden gehören Einkaufszentren, die ihre Garagen von Apcoa managen lassen. Prominente Einzel-Standorte sind die Allianz-Arena in München, die Elbphilharmonie Hamburg oder demnächst der Berliner Flughafen BER. Wenn die Parkschranke hoch geht, hat Apcoa alles richtig gemacht. Schlagzeilen macht man in diesem Geschäft nur, wenn etwas nicht funktioniert. Und weil Apcoa einen Teil seines Geldes damit verdient, im Auftrag privater Eigentümer deren Parkraum zu überwachen und bei Bedarf den Abschleppwagen zu rufen, ist Apcoa kein Name, der alle Herzen höher schlagen lässt.

Parkraumbewirtschafter Apcoa

Das Unternehmen Apcoa wurde 1947 im US-amerikanischen Cleveland gegründet, der Name ist die Abkürzung von Airport Parking Corporation of America. 1970 folgte der Sprung nach Europa, zunächst mit Töchtern in Deutschland und Österreich. 1979 spaltete sich das US-Geschäft von der europäischen Tochter ab, seitdem trägt Apcoa zwar Amerika im Namen, ist aber eine rein europäische Angelegenheit. Heute betreibt das Unternehmen in 13 Ländern mehr als 9500 Standorte mit etwa 1,5 Millionen Stellplätzen. Damit gilt Apcoa als Europas Marktführer, zuletzt hat der Konzern kleinere Wettbewerber in Irland und Dänemark aufgekauft. In den USA ist Apcoa nicht mehr aktiv. Derzeit hat das Unternehmen 5500 Mitarbeiter, davon 800 in Deutschland. In der Holding-Zentrale am Stuttgarter Flughafen sind nur 50 Personen tätig. Der Grund liegt darin, dass die Ländergesellschaften operativ selbständig arbeiten. Der Jahresumsatz betrug im vergangenen Jahr 1,2 Milliarden Euro. Die Eigentümer von Apcoa wechselten in den vergangenen zwanzig Jahren in rascher Folge. Zu den Mehrheitsinhabern gehörten unter anderem die Salamander AG aus Kornwestheim, die EnBW aus Karlsruhe. Dann kamen die Finanzinvestoren: Investcorp, Eurazeo und zuletzt, 2014, Centerbridge. Der Hedgefond aus New York wollte Apcoa im vergangenen Jahr bereits wieder abstoßen, wie Vorstandschef Philippe Op de Beeck bestätigt: "Die Gespräche waren schon ziemlich weit." Derzeit liege der Verkauf wegen Corona auf Eis, "aber das Thema wird wieder hochkommen", kündigt Op de Beeck an. Stefan Mayr

Zudem tritt das Unternehmen sehr zurückhaltend auf. Jeder hat seine Dienste schon mal benützt, aber keiner kennt es. Die Adresse ist ein Postfach, die Europa-Zentrale sitzt in einem gesichtslosen Bürogebäude am Stuttgarter Flughafen. Gut erreichbar, gut zu übersehen.

Nun gibt es Stimmen, die den Parkhäusern in Innenstädten einen schleichenden Tod voraussagen - erstens angesteckt von schwächelnden Einzelhandelsflächen aufgrund des wachsenden Online-Handels und zweitens gefährdet durch autonomes Fahren und neue Angebote der geteilten Mobilität, die das Suchen und Buchen von Parkpkätzen überflüssig macht. Op de Beeck ist da ganz anderer Ansicht: "Die Leute brauchen zwar in 20 Jahren keinen Führerschein mehr, aber sie wollen keine geteilten Autos. Deshalb werde es auch künftig mehr Autos geben. Op de Beeck prophezeit: "Der Parkraumbedarf wird wie bisher um zwei bis vier Prozent pro Jahr wachsen." Er ist sogar überzeugt, die Immobilie Parkhaus werde für Investoren attraktiver denn je. Grund hierfür sei die Aufwertung von der reinen Abstellfläche zur "intermodalen Plattform" für "Mikro-Mobilität" und Logistik.

Den Innenstadt-Parkplätzen auf offener Straße sagt Op de Beeck ihr Ende voraus

Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hat Apcoa ein Modell entwickelt, das die Apcoas und Amazons dieser Welt zusammenbringen soll: Hier die Parkhausbetreiber, die nachts und morgens leere, ungenützte Stellplätze haben. Und dort die Logistiker, die ständig nach Innenstadtflächen suchen, um ihre Waren in der Nähe ihrer Kunden umzuschlagen. Das Anmieten einer Fläche wäre viel zu teuer, zumal diese auch nur stundenweise benötigt wird. Ein Pilotprojekt in Stuttgart hat nun gezeigt, wie eine Zusammenarbeit funktionieren könnte. Der Paketdienst nützt die freien Flächen als Kurzzeit-Drehkreuz, lädt die Waren auf ein Elektro-Lastenrad um - und ab die Post. Wenn später die Berufspendler und Shopping-Kunden zum Parken kommen, sind die Paketboten längst wieder weg. In Stuttgart und Esslingen läuft der Betrieb bereits mit dem lokalen Partner Velocarrier. Demnächst will Apcoa das Programm "flächendeckend in ganz Europa" ausrollen. "Wir sind in Gesprächen mit allen großen Logistikern", sagt Op de Beeck, ohne Namen zu nennen. Das Interesse sei "wirklich sehr groß". Einer der Dienste wolle sogar 250 Stellplätze für das ganze Jahr mieten. "Da ist ein echter Bedarf da." Es wäre eine echte Win-Win-Situation: Solche Projekte steigern die Rendite für die Eigentümer, den Umsatz für Apcoa, das Tempo der Logistiker. Und Anwohner und Umwelt würden auch noch profitieren, weil die Straßen weniger verstopft und die Luft weniger verdreckt wird.

Und wie das Parken in 20 Jahren aussehen wird? Ganz anders, sagt Philippe Op de Beeck. "Weil die Wagen selbständig zur Parklücke und zurückfahren werden, wird es größere Ein- und Aussteige-Flächen bei der Einfahrt geben." Foyers wie im Hotel mit "Schlüssel"-Übergabe an den digitalen Einpark-Butler. Derzeit experimentiert Apcoa in Braunschweig mit Volkswagen und BMW an einem derartigen Parkhaus. Auch am Flughafen Stuttgart soll demnächst eine derartige Testanlage in Betrieb gehen. Den Innenstadt-Parkplätzen auf offener Straße prophezeit Op de Beeck ihr Ende voraus: "Die Städte werden den Raum für Radwege, Grünflächen oder neue Geschäfte nutzen. Die Einwohner holen sich die Flächen zurück, wie zum Beispiel in Oslo." Dort, und auch in anderen Städten, werden Parkplätze auf der Straße teurer und/oder weniger. Gegen diese Entwicklung hat er natürlich keinerlei Einwände, er bezeichnet sie als "sehr wichtig". Sobald die Preise im Parkhaus nicht mehr höher seien als auf der Straße, werde es 30 Prozent weniger Suchverkehr geben. "Das ist eine Evolution", sagt er, "das wird in ganz Europa kommen." Es werde zwar noch ein paar Jahre dauern. Aber: "Jede Annäherung ist ein Schritt in die richtige Richtung." Die totgesagte Parkhaus-Branche, zumindest für Philippe Op de Beeck hat sie null Zukunftssorgen.

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SZ vom 24.06.2020
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