Mittwochsporträt:Der Kletterer

Adyen BV Co-Founder and CEO Pieter van der Does Interview

Pieter van der Does setzt sich gerne dazu. In welchem der 15 Adyen-Büros ist ihm eigentlich egal.

(Foto: Ore Huiying/Bloomberg)

Pieter van der Does wird oft mit Steve Jobs verglichen. Gerade hat sein Start-up Adyen einen milliardenschweren Börsengang hingelegt. Das allein reicht ihm aber nicht.

Von Andrea Rexer und Nils Wischmeyer

Die wichtigsten Lektionen im Leben lernt man nicht in der Arbeit. Pieter van der Does hat sie beim Klettern gelernt: "Weiche nie von einer gut geplanten Route ab, nur weil plötzlich eine Abkürzung auftaucht", sagt der Niederländer. Denn oft entpuppe sich der vermeintlich kürzere Weg als gefährliche und anstrengende Route durch einen überhängenden Felsen, den man unterschätzt hat. Diese Lektion hat er auch auf sein Unternehmen übertragen: Immer das große Ziel vor Augen haben und sich nicht durch vermeintlich leicht zu realisierende Gewinne ablenken, die abseits des Plans liegen.

Es sind diese Entschlossenheit im Blick, dazu der fast kahle Kopf, die hagere Gestalt - und nicht zuletzt sein Erfolg -, die dazu führen, dass van der Does immer wieder mit Apple-Gründer Steve Jobs verglichen wird. Natürlich wehrt er ab: Er sei bei Weitem kein solcher Visionär wie Jobs, er werfe aber auch keine Telefone in Wassergläser, um Macht zu demonstrieren, erklärt er in seinem Englisch mit sanften sch-Lauten. Und außerdem, fügt er schnell an, sei es keineswegs so, dass sein Unternehmen Adyen um ihn als Person kreise. Wenn er wie an diesem Tag im Berliner Büro zu Gast ist, setzt er sich einfach an einen freien Platz an einen der großen Tische und klappt seinen Laptop auf.

Spätestens aber seit dem Börsengang im Juni in Amsterdam ist Adyen in die Königsklasse aufgestiegen. Lag der Ausgabepreis der Aktien noch bei 240 Euro, verdoppelte er sich gleich am ersten Tag. Die Aktionäre rissen sich um die Papiere des europäischen Einhorns, wie Start-ups genannt werden, die mehr als eine Milliarde US-Dollar wert sind. Van der Does war von dem Ansturm überrascht. "Damit habe ich nicht gerechnet", sagt er. Am Abend des Börsengangs gab es in den Büroräumen in Amsterdam ein wenig Champagner, die große Fete blieb aus, van der Does wollte es so.

Die unbekannten Gipfel ziehen den Gründer an - nicht die ausgelatschten Routen

Mittlerweile ist klar, dass der Kursanstieg kein kurzfristiger Ausschlag war: Inzwischen ist die Firma fast 18 Milliarden Euro wert und damit mehr als die Commerzbank. Dabei beschäftigt Adyen gerade einmal 800 Mitarbeiter an 15 Standorten weltweit.

In den vergangenen Jahren ist das niederländische Unternehmen Schritt für Schritt zu einem der wichtigsten Zahlungsabwickler Europas aufgestiegen. Dass Adyen vielen Menschen kein Begriff ist, liegt daran, dass es im Hintergrund arbeitet. Still und leise sorgt Adyen dafür, dass das Geld der Kunden, die im Internet einkaufen oder digitale Produkte wie Netflix oder Spotify buchen, beim Anbieter ankommt - egal, ob mit Kreditkarte, Lastschrift oder einer anderen Methode bezahlt wird. Der Händler muss sich nicht damit beschäftigen, wie der Kunde zahlt - alles läuft über eine einheitliche Plattform, Adyens Kernprodukt. Für jede Transaktion kassiert das Unternehmen winzige Centbeträge. Konkurrenten sind beispielsweise die Techfirmen Wirecard aus München oder Stripe und Paypal aus den USA.

Dass die Branche auf einmal so wichtig wird, liegt an der wachsenden Bedeutung des Online-Handels. Weil immer mehr Menschen online einkaufen, werden auch immer mehr Transaktionen abgewickelt. Als Pieter van der Does die Firma gründete, war die heutige Entwicklung noch in weiter Ferne. Seit zwölf Jahren arbeitet Adyen an seiner Plattform, ergänzt und verbessert ständig.

Wie bei jeder Unternehmensgründung beschritt van der Does am Anfang unbekanntes Terrain, aber so etwas störte ihn noch nie. "Wenn hier der bekannteste Berg eines Landes ist", sagt er und hält seinen Zeigefinger hoch in die Luft, "dann besteige ich den hier daneben, der nicht so bekannt ist." Dann seien die Wege nicht ausgelatscht, es sei das größere Abenteuer.

Aufgewachsen ist der drahtige Mann in einem Vorort von Amsterdam, seine Mutter Juristin und Hausfrau, die später noch Theologie studiert hat, als die Kinder aus dem Haus waren, und dann als Diakonin arbeitete. Sein Vater ein Banker. Doch auf das Geld der Eltern wollte er schon als Jugendlicher nicht angewiesen sein, stattdessen entwickelte er sein erstes Geschäftsmodell: "Ich habe bemerkt, dass die Spanne zwischen kaputten und reparierten Mofas groß war. Also habe ich sie günstig gekauft und zu Hause im Garten auf Vordermann gebracht." Die Marge war sein Taschengeld. Er hatte schon immer ein Faible für Technik, sein großes Talent aber ist der Verkauf.

Nach dem Studium in Amsterdam, Paris und Worcester begann er bei der Großbank ING ein Trainee-Programm. Der klassische Weg nach oben. Es war gewissermaßen eine Abkürzung, von der van der Does schon nach einem halben Jahr genug hatte. All diese Regeln, wann man das Sakko über den Stuhl hängen müsse, um zu zeigen, dass man hart arbeite, nur um es kurz darauf für den Vorstandstermin wieder anzuziehen: "Solche Rituale lenken doch von der Arbeit ab", sagt van der Does und schüttelt den Kopf. Danach stieg er in das Start-up Bibit von Freunden ein, nicht als Gründer und auch nicht als technisches Mastermind, sondern als Vertriebler. Für die technische Plattform war Arnout Schuijff zuständig. Mit diesem Gründerteam hat er später Adyen ins Leben gerufen. Die Aufteilung ist gleich geblieben: Der technische Vordenker ist Schuijff, van der Does ist der menschliche Motor des Unternehmens. Er hält die Organisation am Laufen, er vertritt das Unternehmen nach außen, er ist der strategische Kopf, der die Route immer fest im Blick hat.

2006 verkaufte das Team Bibit an die Royal Bank of Scotland (RBS). Für van der Does ein Prozess, an den er ungern erinnert wird. Das Geld, das die Führungsmannschaft durch den Verkauf der Anteile erlöst hat, hätte eigentlich gereicht, um sich ein gemütliches Leben zu machen. Stattdessen gründeten sie gemeinsam neu. Der Name Adyen steht dafür als Symbol, in Sranan, einer Sprache Surinams, bedeutet das Wort: von vorne beginnen.

Diesmal wollten sie alles richtig machen, aus den Fehlern bei Bibit lernen. Um zu erklären, welche das sind, lotst er die Besucher in den Gang der Berliner Niederlassung am Hackeschen Markt. Das strahlende Weiß der Wände wird hier von acht Fototafeln unterbrochen. Jede von ihnen steht für einen der Adyen-Werte, die beim Zahlungsdienstleister "Adyens Formel" heißt. "Wir sind Techies, mit Formeln können wir mehr anfangen als mit artifiziellen Wortungetümen", sagt er lachend. Die Formeln sind so etwas wie die DNA des Unternehmens.

Er besucht seine Teams oft. Um nicht losgelöst über den Dingen zu schweben

Zu jeder Tafel hat van der Does eine Erklärung parat. "Eine Lektion war, dass es zu Missverständnissen kommt, wenn man sich hinter E-Mails versteckt", sagt van der Does und erzählt detailreich eine Situation, in der sich ein Techniker und ein Vertriebsmitarbeiter per Mail über die Anzahl der Transaktionen pro Sekunde gestritten haben. "Am Telefon wäre es zu dem Missverständnis gar nicht erst gekommen", ist er sicher. Ein weiteres Motto ist: "Gewinnen ist wichtiger als Ego: Wir arbeiten als Team - über Kulturen und Zeitzonen hinweg." Eine Lektion, die er als Bergsteiger gut kennt: In einer Seilschaft erreicht man den Gipfel nur gemeinsam.

Will er noch mehr Anteile verkaufen? Van der Does wägt ab. "Ich kann das nicht für immer ausschließen, aber im Moment stellt sich die Frage nicht", sagt er. Sicher ist jedoch, dass er nicht vorhat, die Mehrheit seiner Anteile aus der Hand zu geben. Beim Börsengang verkauften die Eigentümer nur 14 Prozent. Sie wollen die DNA des Unternehmens bestimmen, sich nicht anderen ausliefern. Genau deswegen wollen sie auch nur organisch wachsen: "Wir haben noch nie ein Unternehmen gekauft - und wollen das auch nicht", stellt van der Does klar.

Um eng am Puls seiner Teams zu bleiben, setzt sich van der Does oft ins Flugzeug: von Amsterdam nach San Francisco, von dort nach Singapur oder nach Berlin. Er hat in den Städten nicht immer Kundentermine. Er will mitbekommen, wie seine Leute arbeiten. Sichergehen, dass er als Gründer nicht losgelöst über den Dingen schwebt. Die Kultur, sie ist van der Does wichtig. Seine Firma soll ticken wie er.

Wie das konkret aussieht, erzählt er gern: Einmal hätten Mitarbeiter Kärtchen auf die Tische gestellt, auf denen stand "Nur ein Snack zu Mittag" oder "Kein Orangensaft vor dem Mittag". Als van der Does das sah, rief er, "Weg mit den Kärtchen". Dass Orangensaft vor dem Mittag nicht gut sei, das sei ja schön und gut. Aber er habe doch keine Firma gegründet, bei der dann den Mitarbeitern solche Kleinigkeiten vorgeschrieben werden. Das wäre ja fast wie damals, als er bei der Großbank die Sakko-Regeln einhalten sollte.

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