Mittwochsporträt:Der große Unbekannte

âÄžFlexibilisierung des ArbeitsumfeldsâÄœ bei der Munich Re, Berliner Straße 95

Seit 1991 arbeitet Joachim Wenning bei der Munich Re, die damals noch Münchener Rück hieß. "Ich möchte, dass die Mitarbeiter ihre Freiheitsgrade nutzen", sagt er zu seiner neuen Aufgabe.

(Foto: Florian Peljak)

Joachim Wenning war der Überraschungskandidat für den Chefposten beim Rückversicherer Munich Re - an diesem Mittwoch, nach der Hauptversammlung, tritt er an.

Von Herbert Fromme

Dass aus jenem Jugendlichen, der zwar gut Türkisch sprach, aber mit dem Bairischen so seine Probleme hatte, einmal ein Vorstandschef wird, hätten die Schulkameraden an der Münchner Schule wohl nicht vermutet. Und er selbst bis zuletzt nicht, wie er offen zugibt. Als Favorit für die Nachfolge von Nikolaus von Bomhard an der Spitze des weltweit größten Rückversicherers Munich Re galt Joachim Wenning jedenfalls nicht. Dabei hat er einen Lebenslauf, der wirkt, als hätte ihn die PR-Abteilung des Konzerns entworfen. Er ist so international wie das Geschäft des Rückversicherers und so loyal gegenüber dem Arbeitgeber, wie es der Unternehmenskultur entspricht: Geboren im israelischen Teil Jerusalems, aufgewachsen in Istanbul, mit 16 Jahren zurück in die Heimat der Eltern nach Deutschland, Abitur, Studium und - seit 1991 - Karriere bei der Munich Re.

Leicht wird der neue Posten für Joachim Wenning nicht. Seit drei Jahren gehen die Gewinne der Munich Re zurück, während Rivalen steigende Erträge aufweisen. Der Umsatz im Kerngeschäft schwächelt. Die Kosten liegen über denen anderer Rückversicherer. Die Tochtergesellschaft Ergo hat ein milliardenschweres Sanierungsprogramm vor sich, dessen Erfolg keineswegs sicher ist. Aber das Unternehmen ist gut kapitalisiert und hat einen soliden Ruf. Anleger loben die hohen Ausschüttungen und Aktienrückkäufe.

An diesem Mittwoch, nach der Hauptversammlung, tritt der 52-jährige Wenning die Nachfolge Bomhards an. Er weiß, was ihn erwartet: Dass er möglicherweise in den kommenden Jahren weitere Gewinneinbrüche melden muss, denn die niedrigen Zinsen und die schlechten Preise im Kerngeschäft Rückversicherung setzen dem Konzern zu. Zudem ist das traditionelle Versicherungsgeschäft unter Druck: Die Digitalisierung verändert die Ansprüche der Kunden. Junge Konkurrenten bieten Policen nur noch im Internet an, entwickeln ganz neue Methoden, große Datenmengen zu analysieren, und können billiger und schneller versichern.

Geboren in Jerusalem, aufgewachsen in Istanbul: Bayerisch musste er lernen

Sein Auftrag lautet: Er muss aus der traditionsbewussten Versicherungsgesellschaft einen Technologiekonzern bauen, der sich mit den technischen Fähigkeiten einer Firma wie Amazon messen kann.

Kann er das? "Ich habe keine Angst vor meiner neuen Aufgabe, aber selbstverständlich Respekt", sagt Wenning leise lächelnd zu seinem neuen Job. "Es ist ein gutes Gefühl, bei einem Unternehmen zu arbeiten, das gut läuft." Schließlich stecke die Munich Re nicht in der Krise.

Im Konzern herrscht gespannte Erwartung. Mancher reagierte enttäuscht, als die Unternehmensspitze im März vergangenen Jahres den Nachfolger für Bomhard bekannt gab. Wenning ist außerhalb der Firma kaum bekannt, ein Karrieremanager, der sein ganzes Berufsleben bei einer Firma verbracht hat. Der Mann ist verbindlich und freundlich im Gespräch, er wirkt sympathisch und offen. Mancher, der ihn besser kennt, warnt davor, ihn zu unterschätzen. Wenning spreche eine klare Sprache und bestehe auf der Einhaltung dessen, was verabredet wurde. "What you see is what you get", sagt ein Kollege über ihn - was man sieht, bekommt man auch.

Über sein Privatleben äußert sich Wenning sparsam. Er verbringt gerne Zeit mit seiner Frau und, wenn sie da ist, der erwachsenen Tochter. Sie reisen in die europäischen Mittelmeerländer. Wenning liebt die Oper, früher hat er viel Klavier gespielt.

Sein Vater arbeitete 20 Jahre im Ausland als Textilingenieur. Nicht im Auftrag eines deutschen Unternehmens, sondern selbständig und für örtliche Firmen. In Istanbul, wohin die Familie umzieht, als Joachim Wenning ein Jahr alt ist, leitet der Vater eine Textilfabrik, der Sohn besucht die deutsche Schule. Er spricht auch heute noch passabel Türkisch. Nach dem Abitur absolviert Wenning seinen Grundwehrdienst bei den Gebirgsjägern, danach studiert er Volkswirtschaft in München. Von seinen Lehrern an der Ludwigs-Maximilians-Universität prägt ihn der bekannte Ökonom Hans-Werner Sinn am meisten.

Mit 26 findet Wenning einen Job - die Münchener Rück, wie sie sich damals noch nennt, stellt ihn als "Vertragsreferenten" für die Lebensversicherung ein. Er betreut deutsche Kunden: Das sind Versicherungsgesellschaften, die ihrerseits Privatkunden und die Industrie versichern. Sie holen sich in München Rückversicherungsschutz gegen Katastrophen und andere besondere Schadensfälle, zum Beispiel Pandemien oder rasche Veränderungen in der Sterblichkeit.

Parallel schreibt Wenning bis 1995 an seiner Dissertation. Dann beginnt die Karriere im Konzern. Zunächst verordnet er sich selbst Basisarbeit. Zur Munich Re gehört die Hamburg-Mannheimer Versicherung, die inzwischen im Ergo-Konzern aufgegangen ist. Wenning wechselt 1997 nach Hamburg und lernt vieles von der Pike auf - einschließlich Klinkenputzen mit Versicherungsvertretern. "Wir kannten uns in München gut aus mit allen Seiten der Lebensversicherung, nur vom Vertrieb hatten wir kein genaues Bild", sagt Wenning. Das ändert sich in den zweieinhalb Jahren, die er bei der Hamburg-Mannheimer verbringt. "Ich habe seitdem großen Respekt vor den Tätigkeiten im Vertrieb."

2000 wird er Abteilungsleiter, 2005 macht ihn das Unternehmen zum Chef der kleinen Tochtergesellschaft Neue Rück in Genf. 2009 rückt er in den Konzernvorstand auf und verantwortet weltweit den wichtigen Bereich Lebens-Rückversicherung, seit 2013 ist er außerdem Arbeitsdirektor und Personalchef.

Sein Ziel als Vorstandschef? "Wir beschäftigen uns oft mit uns selbst, mit den Aufsichtsregeln, Solvency II, Risikomodellen und vielem anderen. Aber im Mittelpunkt muss das Geschäft stehen, und alles, was dem im Wege steht, hat erst einmal zweite Priorität", so Wenning. Er führe nicht so sehr über Prozesse und Programme, sondern über Personen, sagt er. Von seinen Leuten verlangt er viel. "Ich möchte, dass die Menschen in diesem Unternehmen, die alle große Aufgaben und viel Verantwortung haben, ihre Freiheitsgrade auch nutzen", fordert er.

Das gilt auch für Wenning selbst. Aber viel Spielraum hat er nicht. Er muss das traditionelle Geschäft fördern, und gleichzeitig in die Digitalisierung investieren. Er muss die Aktionäre zufriedenstellen. Und er muss trotz möglicherweise bevorstehender Sparprogramme die Belegschaft für sich gewinnen. Ein hartes Programm.

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