Mittwochs-Porträt:Der Mann mit dem Beil

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Heinrich Hauser ist kein gewöhnlicher Kunstschmied. Der Südtiroler erforscht alte Techniken aus der Kupferzeit - Archäologen und Museen suchen seinen Rat.

Von Silvia Liebrich

Wenn Heinrich Hauser sein Publikum beeindrucken will, dann holt er das Beil aus der Tasche. Was da fast unscheinbar in seinen Händen liegt, ist nicht einfach nur ein Beil. Es ist die Replik eines Artefakts mit Kultstatus: ein poliertes Eibenholzstock, an dessen Ende eine fast zierliche Klinge mit Lederbändern fixiert ist. Vor gut 25 Jahren wurde ein solches Kupferbeil neben Ötzi gefunden, dem berühmten Mann aus dem Eis. Der trug es bei sich, als er vor etwa 5200 Jahren die Alpen überquerte. Eine Reise, die auf einem eisigen Bergpass in Südtirol ein jähes Ende nahm, als er hinterrücks von einem Pfeil getroffen wurde - Pech für ihn, ein Glücksfall für die Archäologie.

Fast liebevoll streicht Hauser mit den Fingern über die Schneide des Beils. Für ihn ist es ein High-Tech-Produkt aus der Kupfersteinzeit. Er ist sich sicher, es müssen besondere Menschen gewesen, die mit einfachsten Mitteln solche Geräte herstellen konnten. "Von diesen Männern muss eine Magie ausgestrahlt haben, ähnlich wie von Zauberern." Welches Know-how dahintersteckte, könne man heute nur erahnen.

Hauser weiß, wovon er spricht. Er hat die originalgetreue Kopie von Ötzis Beil angefertigt, mit Hilfsmitteln, die den Schmieden der Kupferzeit noch völlig unbekannt waren. Woher wussten sie, wann das flüssige Metall die richtige Temperatur zum Gießen erreicht hatte? Woher wussten sie, wie man die Klinge härtet? "Wir wissen es noch nicht", sagt der 49-Jährige.

Der Kunstschmied und Metallrestaurator versucht es herauszufinden. Bei seiner Arbeit tauscht er sich regelmäßig mit Forschern über alte Technologien aus. So manche Theorie hat er so schon im Praxistest widerlegt oder bestätigt. Im Auftrag des Südtiroler Archäologiemuseums in Bozen, wo Ötzi in einer eisigen Schaukammer liegt, fertigt er darüber hinaus Schmuck - etwa Ohrringe und Halsketten - sowie Kult- und Gebrauchsgegenstände aus der Kupfer- und Eisenzeit nach.

Zu jener Zeit waren die Alpen so etwas wie eine Hotspot der Metallgewinnung in Europa, auch wenn die Mengen gemessen an der heutigen Kupferproduktion verschwindend gering waren. Metall, das aus dem Alpen stammt, wurde unter anderem bei Grabungen in England gefunden.

Hauser ist ein drahtiger Mann, nicht besonders groß. Dass er fast täglich Schwerstarbeit leistet, sieht man ihm nicht unbedingt an. Lediglich der Umfang seiner Oberarme lässt erahnen, dass er es gewohnt ist, mit schwerem Gerät zu hantieren. Das Reden vor akademischem Fachpublikum, das sei nicht so seine Sache, sagt er. Doch der Schmied schafft es, seine Zuhörer in Beschlag zu nehmen, als er bei einer Rohstofftagung in Bozen über Ötzis Beil und die Schmiede und Bergmänner aus einer längst vergangenen Epoche spricht.

Der Südtiroler Schmied Heinrich Hauser fertigt im Auftrag von Museen Kopien von Artefakten. (Foto: privat)

Dass diese hoch spezialisierten Berufe schon damals existierten, da ist er sicher. Dies belegen auch entsprechende Beigaben in Gräbern. Hauser schafft es, diese Zeit, über die bis heute wenig bekannt ist, lebendig werden zu lassen - mit Geschichte zum Anfassen. Kupferschlacke und Kopien von archaischen Werkzeugen werden herumgereicht. Die Gebrauchsspuren an Ötzi Kupferbeil erklären Experten damit, dass es vermutlich nicht nur als Waffe genutzt wurde, sondern auch als Arbeitsgerät, etwa zum Holzschlagen.

Fast nebenbei erzählt er, wie er sich das Leben der Menschen in dieser Zeit vorstellt, abgeleitet aus den Funden, an deren Bergung er teilweise beteiligt war. Darunter Ötzis Mütze aus Bärenfell, die er bei einer Nachgrabung am Tisenjoch mit anderen freigelegt hat. Dort, wo heute nur wenige Meter entfernt die Grenze zwischen Italien und Österreich verläuft. Biologen, Chemiker, Archäologen und Wirtschaftsprofessoren - sie alle hören konzentriert zu. Ihm, dem Schmied, dem Handwerker, der kein Studium vorweisen kann. Auch wenn er das nicht zugeben würde, ein bisschen Spaß macht im das wohl schon.

Hausers Begeisterung wirkt echt, und sie ist ansteckend. Starre Denkmuster sind ihm ein Gräuel. Er ist ein Mann aus der Praxis, der sich traut, wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage zu stellen und eigene Theorien zu entwickeln. Das mag an seiner eigenen Geschichte liegen - der eines Außenseiters und Getriebenen.

Geboren wurde Hauser Ende der Sechzigerjahre in Kurtatsch, einem ruhigen Dorf an einem Berghang zwischen Bozen und Trient. Ein Ort, in dem jeder jeden kennt. Mit einem Vater, der als Südtiroler Freiheitskämpfer einige Jahre im Gefängnis saß, weil er Sprengstoffanschläge verübt hat, ist das keine einfache Sache. "Zu dieser Zeit wurden Südtiroler Aktivisten angefeindet, man wollte sich von der Sache distanzieren", erzählt er im unverkennbaren Dialekt, der für die Region typisch ist. "Manche Leute haben lange später noch die Straßenseite gewechselt, wenn sie einem aus unserer Familie begegnet sind." Hauser hat gelernt, sich davon frei zu manchen. Man dürfe nicht so viel darauf geben, was anderen denken. Das habe er von seinem Vater gelernt. Der hat im Gefängnis das Schmieden gelernt und so die Familie ernährt. Den Platz in der Gemeinde haben sie sich nie streitig machen lassen.

Heinrich Hauser weiß, wo seine Wurzeln sind, und sie sind ihm wichtig. Gelegentlich bietet er Führungen für Schülergruppen und andere an. Er klettert, betreibt Canyoning, engagiert sich in örtlichen Vereinen, spielt Theater in eine Laiengruppe. Besonders angetan hat es ihm der Filmklassiker "Einer flog über das Kuckucksnest". Den hat er zu einem Bühnenstück in Mundart umgeschrieben. Es habe gute Kritiken gegeben, sagt er.

Wenn Hauser über seinen Vater spricht, dann mit großem Respekt. Die Leidenschaft für die Archäologie haben sie bis zu dessen Tod geteilt. Das mag auch an einer Kupferschmelze aus der Bronzezeit liegen. Auf die ist der Alte in den Siebzigerjahren eher zufällig gestoßen, als er Leitungen an einer Wasserquelle reparieren wollte, oberhalb des Dorfes. "Er ahnte gleich, dass er da etwas besonderes entdeckt hat, nur hat ihm das lange keiner geglaubt", sagt der Sohn. Also habe der Vater mit Hilfe von Freunden und Familie allein gegraben. Später half ihm der Sohn, am Fundort und in der Schmiede. "Zeit für eine Meisterprüfung war da nicht", sagt Hauser.

Von Heinrich Hauser stammt auch die originalgetreue Replik des Kupferbeils, die bei Ötzi gefunden wurde. "Über die Methoden von damals kann ich nur Vermutungen anstellen", sagt er. (Foto: privat)

Mehr als zwölf Jahre haben sie daran gearbeitet. Was sie vorfanden, war nicht nur ein einzelner Schmelzofen, sondern ein fast industriell durchrationalisierter Kupferschmelzplatz, mit Brennöfen und Anlagen zur Weiterverarbeitung. "Da waren Superprofis am Werk. Die wussten genau, was sie machen", sagt Hauser. Riesige Mengen an Holz mussten herbeigeschafft und zu Holzkohle verarbeitet werden, um die Öfen zu befeuern. Das Erz wurde nicht vor Ort gewonnen, sondern über weite Strecken transportiert. Ein Teil davon kam möglicherweise aus dem Tiroler Inntal, eine Region, die im Mittelalter europaweit als großer Lieferant für Silber, Kupfer und andere Metalle bekannt war.

Aus der Vergangenheit lässt sich viel über die Zukunft lernen, sagt er

Auch die Arbeiter mussten versorgt werden. "Die Funde belegen, dass es bereits vor 3500 Jahren einen hohen Grad an Arbeitsteilung gab", sagt der Schmied. Ein Teil der tonnenschweren Anlage ist heute in Bozen untergebracht. An der Bergung in einem unzugänglichen Waldstück wären sie selbst mit modernster Technik fast gescheitert, sagt Hauser. "Da brauchte es schon ein paar Verrückte, um das durchzuziehen." Als die Bedeutung des Funds schließlich feststand, stellten sich die örtlichen Behörden quer. Die Polizei sollte einen Abtransport verhindern. Doch da hatte Hausers Vater schon eine Abmachung mit dem Museumsdirektor von Schloss Tirol. "Er war der Ansicht, versprochen ist versprochen. Also haben sie die Anlage heimlich dorthin geschafft", erzählt Hauser, der so mit der Archäologie in Berührung kam.

Inzwischen hat sich daraus für ihn nicht nur ein Beruf, sondern eine Berufung entwickelt. "Mich interessiert, wie sie früher mit Metall umgegangen sind. Das Material war ganz anders beschaffen." Seine Experimentierfreude trägt ihm inzwischen Aufträge von Museen aus ganz Italien und dem Ausland ein. Wie Ötzis Kupferbeil und andere Artefakte aus dieser Zeit hergestellt wurden, das steht in keinem Lehrbuch. "Über die Methoden von damals kann ich nur Vermutungen anstellen", sagt der rastlose Tüftler. Metallhaltiges Erz musste mühevoll aus dem Gestein geschlagen werden, die Brennöfen brauchten riesige Mengen an Holz und verursachten schon damals große Umweltprobleme.

Die Spuren, die die Metallgewinnung in den Alpen hinterlassen hat, machen ihn nachdenklich. Sie sind bis heute erkennbar. Nachweisbar sind auch die Altlasten. Schwermetalle belasten noch immer die Böden in der Umgebung längst aufgegebener Bergwerke, hier können noch immer weder Nahrungsmittel angebaut werden noch Tiere weiden. "Heute findet der Abbau in weit entfernten Regionen dieser Erde statt. Doch die Probleme sind dieselben, nur eben in viel größerem Ausmaß", kritisiert Hauser.

Beile aus Kupfer braucht heute zwar niemand mehr. Trotzdem ist das Edelmetall gefragter denn je. Beispiel E-Mobilität: 20 Kilogramm Kupfer sind im Schnitt in einem Auto mit Verbrennungsmotor verbaut, gut 80 Kilogramm sind es in einem E-Mobil. Auch erneuerbare Energien und viele andere Technologien würden ohne das Material nicht funktionieren. Für Hauser hängt alles mit allem zusammen. Aus dem Blick in die Vergangenheit lasse sich viel über die Zukunft lernen, sagt er. Man müsse sich eben nur die Mühe machen, genau hinzuschauen.

© SZ vom 07.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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