Tag für Tag bauen deutsche Arbeitnehmer ein kleines Wunder in ihren Arbeitsalltag ein: die gehetzte Mittagspause. Sie schaffen es, dem Bewusstsein nachzugeben, dass nun Zeit für eine Unterbrechung und Nährstoffversorgung wäre, und sich trotzdem dem Termindruck und stapelweise Aufgaben zu beugen. Das Ergebnis ist eine Illusion – weder eine echte Pause noch sonderlich effizient. Auch dann nicht, wenn das lauwarme Gemüse in der Kantine nahezu unzerkaut hinuntergewürgt wird.
Ein Fünftel der rund 1200 Befragten einer aktuellen Prognos-Umfrage gaben an, überhaupt keine Pause zum Mittagessen zu machen. Etwa die Hälfte macht dafür Zeitmangel und Termindruck verantwortlich, die sie „(fast) immer“ oder „häufig“ davon abhielten, die Arbeit zu unterbrechen. Befragt wurden im Auftrag von Edenred, einem großen Plattformanbieter für Mitarbeitergutscheine, auch 900 Unternehmen. 88 Prozent von ihnen gaben an, ihnen sei eine richtige Mittagspause ihrer Mitarbeitenden „wichtig“, „sehr wichtig“ oder gar „äußerst wichtig“. Nanu, da passt doch etwas nicht zusammen? Unternehmen finden Mittagspausen super, aber die Arbeitnehmer lassen sie vor allem wegen Arbeitsstress weg.
Das Problem ist das Ziel der doppelten Optimierung: Firmenchefs wissen, dass regelmäßige Pausen wichtig sind, um die Konzentrationsfähigkeit und damit auch die Leistung aufrechtzuerhalten. Der Gesetzgeber schreibt gewisse Pausenzeiten vor, und die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin stellt in einem Arbeitspapier zum Ausfall von Ruhepausen in Deutschland fest, dass sie „mit einem erlebten Mangel an Erholung und vermehrten gesundheitlichen Beschwerden zusammenhängen“. Häufiger Grund übrigens auch hier Stressfaktoren wie Termin- oder Leistungsdruck, Multitasking und Überstunden. Aber Pausen sind eben auch vorübergehender Stillstand, in denen nicht gearbeitet wird – weswegen es Versuche gibt, diese Pausenzeiten auch wieder zu optimieren.
Man kann es dem Kapitalismus durchaus vorwerfen, dass er die Mittagspause nicht in Ruhe gelassen, sondern sich diesen kleinen Hort der Erholung auch noch untertan gemacht hat, indem er sein Effizienzoptimierungspotenzial zu heben versucht. Man hat dafür schönere Wörter erfunden, etwa „Lunchbreak-Seminar“. Dabei werden die Pausen mit kleinen Weiterbildungen gefüllt, die Speisezufuhr wird zur Nebensache, Erholung sowieso. Die noch kläglichere Version ist der „Desk-Lunch“, bei dem nicht mal was gelernt, sondern einfach am Schreibtisch gegessen und weitergearbeitet wird. Eine Hand an der Gabel, eine an der Tastatur. So wird die Mittagspause endgültig zum Boxenstopp, bei dem es nur noch darum geht, schnell die Reifen zu wechseln, um irgendwie noch ein paar Runden drehen zu können.
Man muss kein Wirtschaftsmathematiker sein, um zu verstehen, dass es schwierig ist, zwei Dinge gleichzeitig zu optimieren, die einander ausschließen (Mittagspause machen versus Weiterarbeiten). Vielleicht zeigt es aber auch, wie Menschen einfach nicht aufgeben wollen in dem Versuch, an jedem neuen Arbeitstag ein kleines Alltagswunder zu vollbringen.