Mitfahrzentrale:Unterwegs in fremden Autos

Früher hoben sie einfach den Daumen, heute buchen viele Pendler ihre Reise im Netz. Das ist günstiger, als die Bahn zu nehmen. Das bekannteste Portal hat jetzt 10-jähriges Jubiläum. Worauf Reisende achten sollten.

Charlotte Theile

Es ist Sonntag, später Nachmittag am Hauptbahnhof Dresden, es könnte aber auch in jeder anderen deutschen Großstadt sein: Gleich neben dem Taxistand, dort, wo man zum Be- und Entladen kurz halten darf, warten etwa 20 Leute mit Rollkoffern und Taschen. Sie beobachten die vorbeifahrenden Autos. Hin und wieder hält ein Wagen. Dann geht alles ganz schnell.

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Alternative zur Bahn: die Mitfahrzentrale.

(Foto: dpa-tmn)

"Michael? München?" - "Genau." - "Hi, ich bin die Lena."

Michael packt Lenas Tasche in den Kofferraum, steigt ein und fährt los Richtung München. Es dauert nur wenige Minuten, und schon sind die beiden einander völlig Fremden gemeinsam unterwegs auf der Autobahn.

Viele kennen diese Situation: anhalten, einsteigen, mitfahren. Früher hob man einfach den Daumen, in der Hand ein Pappschild mit "Berlin" oder "Frankfurt/Main" drauf. Unsicherheit, Kälte, lange Wartezeiten prägten damals das billige Reisen in fremden Autos. Wer so unterwegs war, hatte, so das Klischee, wenig Geld und wenig zu verlieren, war auf jeden Fall unter dreißig und, nun ja, ein bisschen abenteuerlustig.

Bei Michael und Lena ist es anders. Lena studiert in München Germanistik, nach Hause fährt sie trotzdem fast jedes Wochenende. Die Bahn ist ihr dafür zu teuer und im Auto unterhält sie sich einfach gern. Auch Michael ist das wichtig. Er ist Berufssoldat, zurzeit in München stationiert und auf den langen Fahrten nach Hause hat er gerne mal andere Gesellschaft als in der Kaserne. Auf einem Rastplatz an der Autobahn sammeln die beiden noch Wolfgang ein. Er ist Mitte 40, Hausmeister. "Die sind in München besser bezahlt", sagt er. Jeden Freitag fährt er heim zu seiner Frau und seinen Kindern. "Fünf Euro haben oder nicht haben, darum geht's", sagt Wolfgang.

Zusammengeführt hat Lena, Michael und Wolfgang die Mitfahrzentrale. Am Montag schaltete Michael sein Angebot: Freitag, 18 Uhr von München nach Dresden; Sonntag, gleiche Zeit, wieder zurück. 20 Euro kostet die Fahrt in seinem Audi A 4. Er sei ein "zügiger Fahrer", in nur vier Stunden wäre man am Ziel.

Zum Vergleich: Mit dem ICE der Deutschen Bahn braucht man für die gleiche Strecke knapp sechs Stunden, Kosten: 101 Euro. 80 Prozent Ersparnis und schneller am Ziel - für viele Pendler ist das verlockend. Mehr als 1,5 Millionen Bürger sind bei mitfahrgelegenheit.de registriert, noch deutlich mehr Menschen haben die Internet-Plattform bisher genutzt. Dies gibt den Betreibern eine Marktmacht, um die etablierte Transportmittel nicht herum kommen: Seit März kann man auf der Mitfahr-Seite auch Bahn-Verbindungen abrufen.

Mit ihren Sonderangeboten will die Bahn vor allem Kunden gewinnen, die bisher nicht auf der Schiene gereist sind. Durch die vielen Nutzer wird die Plattform kommerziell interessant. Das dürfte auch den Automobilclub ADAC anziehen. Der Verband hat seine eigene Plattform, die sich jedoch aus der Datenbank von mitfahrgelegenheit.de speist. Mitfahrgemeinschaften haben ein grünes Image, das dem Verband bisher fehlt. Wer mitfährt, schont die Umwelt - schließlich erhöht es auch die Durchschnittsauslastung eines Pkw von 1,2 Personen. Auch Flüge und Überlandbusse werden auf dem Portal angeboten.

Vor zehn Jahren, im April 2001, gründete Michael Reinicke mit zwei Freunden die Online-Plattform. Gemeinsam studierten die drei BWL in Würzburg. Seit 2006 arbeiten sie hauptberuflich für den Marktführer der Mitfahr-Seiten. Anfang des Jahres kauften sie den Konkurrenten mitfahrzentrale.de. 24 Mitarbeiter sind in der Münchner Firma beschäftigt. Sie kümmern sich auch ums Auslandsgeschäft, das sich auf acht weitere europäische Länder erstreckt - Rideshare in Großbritannien oder Passagio in Italien. Immer mehr Menschen nutzen das Internet, um die leeren Sitze auf den Autobahnen zu füllen. "Anfangs sind vor allem Studenten mitgefahren - inzwischen machen die nur noch 30 Prozent unserer Kunden aus", erzählt Reinicke.

Mitfahren hat sich etabliert. Dabei ist die Idee nicht neu. 1956 gründete Else Münch, Café-Inhaberin aus Frankfurt am Main, die erste Mitfahrzentrale Deutschlands. Das Modell wurde aufgegriffen, während der Ölkrise erfreuten sich die Zentralen wachsender Beliebtheit. Doch Mitfahren blieb ein Nischengeschäft. Zu langwierig und unzuverlässig war die Koordination der Fahrten ohne Handy und Internet, zu hippiemäßig ihr Ruf. Aber das ist lange her.

Dennoch bleiben manche skeptisch, Risiken und Unwägbarkeiten birgt die Fahrt mit Fremden auch heute noch. Bei der Wahl des Autos, des Treffpunkts und des (Mit-)Fahrers sollte man sich vorher genau informieren. "Bisher gab es keine größeren Zwischenfälle, meist ging es darum, dass sich Leute verpasst haben", sagt Reinicke. Dies soll nun eine mobile Applikation des Portals verhindern. Wer auf Nummer sicher gehen will, kann zum Beispiel nur mit Mitgliedern, deren Identität vom Betreiber überprüft wurde, mitfahren. Oder man bezahlt den Preis schon vor der Fahrt über die Webseite. Wer dann immer noch unsicher ist, schließt am besten noch eine Haftungsbeschränkung ab. So richtig abenteuerlich ist das aber nicht mehr.

Worauf Reisende achten sollten

Das Auto: Die Angebote weisen oft schon das Auto des Fahrers aus. Falls nicht, sollte beim Telefonat unbedingt danach gefragt werden. Zum einen erkennt man sich so schneller. Zum anderen wird so der Komfort der Reise festgelegt. Wer viel Gepäck dabei hat und sich für vier Stunden in einem Kleinwagen mit voll besetzter Rückbank wiederfindet, bereut die Fahrt womöglich schnell. Hochgewachsene Menschen sollten etwas größere Autos bevorzugen. Viele Fahrer nehmen aus Prinzip nur drei Leute mit, so dass auf der Rückbank ein wenig mehr Platz ist. Dies empfiehlt sich auch, wenn man selbst Fahrten anbietet.

Der Preis: Bei den meisten Fahrern steht der im Angebot dabei - wenn das nicht der Fall ist, sollte er vor Fahrtantritt geklärt werden, um Diskussionen oder Streit zu vermeiden. Vorsicht bei besonders billigen Angeboten: Liegt der Preis deutlich unter dem Durchschnitt, ist es möglich, dass kein normales Auto, sondern ein größerer Bulli fährt. Die sind oft langsamer und durch die vielen Mitfahrer drohen lange Wartezeiten. Wer will, kann die Bezahlung schon vor der Fahrt per Bankeinzug über das Internet-Portal abwickeln. So hat man als Fahrer die Sicherheit, das Geld für den Transport auf jeden Fall zu bekommen.

Der Treffpunkt: Als Treffpunkt sollte man möglichst leicht erreichbare Plätze, wie etwa den Hauptbahnhof oder eine S-Bahn-Haltestelle wählen. Zudem sollte man darauf achten, dass der Platz öffentlich zugänglich und belebt ist. Fühlt man sich mit einem Fahrer nicht wohl, kann man dann immer noch absagen. Als Fahrer sollte man sicherstellen, dass der Treffpunkt möglichst nah an der Autobahn liegt. Wer Mitfahrer ganz nach Hause fährt, kann dafür nach Absprache auch ein paar Euro mehr verlangen.

Die Haftung: Bei einem Unfall haftet die Versicherung des Verursachers, durch das Mitfahren ändert sich nichts am normalen Versicherungsschutz. Für spezielle Unfälle, bei denen die Versicherung nicht greift, kann über den ADAC eine Haftungsbeschränkung abgeschlossen werden; das Formular findet sich im Netz. Dies hilft zum Beispiel bei einem Wildunfall oder wenn Gepäck während der Fahrt beschädigt wird.

Die persönliche Sicherheit: Neben der geschickten Wahl des Treffpunkts lässt sich die Sicherheit durch Frauenfahrten oder identifizierte Mitglieder erhöhen. Umso mehr Mitfahrer da sind, umso kleiner ist die Gefahr, einer Person ausgeliefert zu sein. Für den Fall, dass man sich mit jemanden gar nicht versteht oder den Fahrstil als zu riskant empfindet, sollte es immer einen Plan B geben: Im Notfall aussteigen und sich abholen lassen.

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