Süddeutsche Zeitung

Mitarbeiterüberwachung:Stasi-Methoden an Deutschlands Arbeitsplätzen

Lesezeit: 3 min

Lidl ist kein Einzelfall: Mit der Kamera im Brandmelder oder Spezialsoftware im Computer werden in vielen Unternehmen Mitarbeiter systematisch bespitzelt - längst nicht nur im Einzelhandel.

Offenbar ist die systematische Mitarbeiterüberwachung in deutschen Unternehmen gang und gäbe. Das Nachrichtenmagazin Stern berichtet von dokumentierten Fällen bei den Handelsketten Rewe, Edeka, Tegut und Famila.

Doch nicht nur Handelskonzerne sind offenbar von der Bespitzelung betroffen. Das Magazin berichtet weiter, dass zwischen 60 und 70 Prozent der Aufträge an Detekteien aus der Wirtschaft kommen - meist lautet der Auftrag: Mitarbeiterüberwachung. Beim Automobilkonzern Daimler sollen sich Vorgesetzte über die Privatsphäre ihrer Mitarbeiter ausgetauscht haben.

Die Bespitzelung im Lebensmittelhandel findet nach dem Bericht des Sterns in überwiegendem Maße durch Privatdetektive statt. Das Magazin beruft sich auf Protokolle von Detekteien, die Mitarbeiter beobachteten. Nach eigenen Angaben liegen dem Stern Überwachungsprotokolle aus 150 Supermärkten vor, die die Bespitzelung im Zeitraum zwischen 2003 und 2007 dokumentieren.

Mit den Überwachungen verstießen die beauftragten Detekteien gegen gesetzliche Bestimmungen. Denn erlaubt ist das heimliche Ausspähen von Beschäftigten nur bei begründetem Verdacht einer Straftat. Und selbst dann müssen noch weitere Voraussetzungen erfüllt sein.

Behinderung gewerkschaftlicher Tätigkeit

Die Protokolle machen deutlich, wie tief die Detektive in das Privatleben der Mitarbeiter eindrangen. Der Ehestreit wurde ebenso penibel notiert wie der Bandscheibenvorfall des Lebenspartners.

Einige Beispiele der Mitarbeiterüberwachung gibt das Magazin im Wortlaut wieder:

Etwa aus einem Penny-Markt in Düsseldorf: "Frau L. schimpft die meiste Zeit im Lager so laut, dass das die Kunden deutlich mitbekommen. Jetzt wird sie wegen eines Papierstaus im Drucker so wütend, dass sie diesen fast auseinanderreißt, als sie die Klappe öffnet."

Eine Penny-Filiale in Hamburg: "Der Sozialraum ist eine Zumutung. Im Kühlschrank entwickelt sich ein Eigenleben der Produkte der Mitarbeiterinnen. Verbesserungsvorschläge: Austausch der Mitarbeiterinnen Frau G., Frau K. und Frau P. gegen qualifiziertes Personal, das mit anpacken will und die neuen Führungskräfte unterstützt."

Eine Penny-Filiale südöstlich von Aachen: "Frau Z. ist zum zweiten Mal verheiratet mit einem elf Jahre jüngeren Mann, der Sohn ihres ehemaligen Klassenlehrers ist. Der Ehemann hat einen Bandscheibenvorfall dritten Grades."

Aus einer Plus-Filiale in Celle: "Frau M. ist sehr langsam, aber gewissenhaft; Leergutflaschen werden einzeln in die Boxen geworfen; auch der Geldtransfer, alles dauert sehr lange. Frau M. erinnert mich stark an eine Verkäuferin in einem Tante-Emma-Laden vor 25 Jahren."

Kamera im Brandmelder

Motiv der Überwachung war neben der Aufklärung von Diebstählen in vielen Fällen offenbar die Behinderung gewerkschaftlicher Tätigkeit. Gegenüber dem Stern äußert sich ein ehemaliger Manager einer Discount-Kette: "Wenn eine Betriebsratsgründung ansteht, wird bei den Rädelsführern im Dreck gewühlt. Die Frage ist: Findet der Detektiv etwas, um ihn loszuwerden? Wenn das nicht funktioniert, wird ein eigener Betriebsrat aufgebaut."

Diese Aussagen passen ins Bild: Erst vergangene Woche war bekannt geworden, dass Aldi Nord die unter Korruptionsverdacht stehende Arbeitnehmerorganisation AUB finanziert hatte, um sie gegenüber Verdi zu stärken.

Die betroffenen Konzerne bestätigten die Bespitzelung. Rewe räumte ein, zur Mitarbeiterüberwachung Detektive eingesetzt zu haben. Diese sollten jedoch ausschließlich Diebstähle aufklären, hieß es.

"Eingriffe in die Privatsphäre unserer Mitarbeiter" wolle man nun aber "vorbehaltlos aufklären". Ähnlich äußerten sich andere Konzerne.

Ein Edeka-Sprecher sagte: "Einen Auftrag für die Erstellung von Protokollen über das Verhalten der Beschäftigten in den Pausenräumen gab es nicht." Tegut bestätigte, dass mit einer Detektei vier Aufträge vereinbart wurden. Allerdings "hatte der Dienstleister keinen Auftrag, Mitarbeitende zu observieren".

Auch das Unternehmen Aldi Süd, dem bisher keine Mitarbeiterüberwachung nachgewiesen werden konnte, wird im Bericht des Stern der Mitarbeiterüberwachung beschuldigt. In mindestens sieben Fällen könne die Installation von Kameras in Brandmeldern nachgewiesen werden.

Software erleichtert Bespitzelung

Die Überwachung beschränkt sich nach dem Bericht des Sterns jedoch nicht auf den Lebensmittelhandel. Ein Großteil der Aufträge, die an deutsche Detekteien vergeben würden, komme inzwischen aus der Wirtschaft. Meist, um Mitarbeiter zu überwachen.

Es gebe sogar spezielle Spionage-Software, die die Überprüfung des Mitarbeiterverhaltens am Arbeitsplatz erleichtert: Das Programm Orvell Monitoring des Saarbrücker Konzerns Protectcom ermögliche es Arbeitgebern, jederzeit live den Bildschirm seiner Mitarbeiter zu beobachten. Der Stern schreibt, das Programm sei in Deutschland bereits mehr als 100.000 Mal verkauft worden.

Betroffen von den Vorwürfen des Sterns sind auch Vorzeigeunternehmen wie Daimler. Am runden Tisch mit Abteilungsleitern, Meistern, Werksärzten und Betriebsräten soll dort besprochen worden sein, was mit kranken Mitarbeitern zu geschehen habe. Die Meister sollen genötigt worden sein, intime Details ihrer Mitarbeiter wie Eheprobleme oder psychiatrische Behandlungen preiszugeben.

Die Informationen seien dann von der Personalabteilung gesammelt worden, berichtet das Magazin unter Berufung auf den Unternehmensbetriebsrat Tom Adler. Der bezeichnete die runden Tische "als Ort der Bespitzelung" - von der Konzernleitung heißt es: "Eine Datenschutzverletzung liegt nicht vor." Es gehe bei den kritisierten Treffen lediglich darum, nach Lösungen zur Vermeidung von Krankheiten zu suchen.

Erstmals führt das Magazin auch ein Beispiel für die Überwachung von Kunden an: So wurde eine Stuttgarter Bankkundin für die Reinigung einer Bankfiliale zur Kasse gebeten - auf dem Überwachungsvideo hatten die Detektive erkannt, dass ihre kleine Tochter vor dem Betreten der Filiale in Hundekot getreten war.

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