Süddeutsche Zeitung

Mitarbeiternachfolge:Kaufen statt kündigen

Steht eine Firma vor der Übernahme, kann sich für die Mitarbeiter die Frage stellen, ob sie selbst ins Unternehmen einsteigen sollen.

Von Lea Weinmann

Hermann Heringer findet es furchtbar, Dinge nicht in der Hand zu haben. Der Geschäftsführer der Firma Rhein-Getriebe wollte deshalb nicht tatenlos zusehen, als die Gesellschafterfamilien beschlossen, ihre Anteile an dem Maschinenbauunternehmen in Meerbusch nahe Düsseldorf abzutreten: "Ich hatte die Wahl: Versuche ich, den Verkaufsprozess mitzugestalten, oder lasse ich mich einfach mitverkaufen?", sagt der 60-Jährige rückblickend.

Er entschied sich für die aktive Rolle. Seit Mai dieses Jahres ist Heringer alleiniger Gesellschafter der Produktionsfirma, deren Spezialgebiet Schneckengetriebe sind. Der Geschäftsführer hat den Alteigentümern den Betrieb vollständig abgekauft - in der Fachsprache bezeichnet man das als klassischen Management-Buy-out.

Geht es nach mancher Stimme in der Politik, sollte solch eine Form der Unternehmensnachfolge gerade bei mittelständischen Betrieben viel häufiger vorkommen. So forderten Abgeordnete des Landtags Nordrhein-Westfalen im vergangenen Jahr, Mitarbeiterbeteiligungen durch spezielle Beratungsangebote zu fördern. Hintergrund der politischen Bestrebungen ist die Sorge, dass viele Betriebe in Deutschland in den kommenden Jahren keinen Nachfolger finden könnten.

Mehr als eine halbe Million kleinerer Unternehmen steht vor einem Eigentümerwechsel

Nach Angaben der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) planen bis zum Jahr 2022 mehr als eine halbe Million Eigentümer einen Wechsel an der Spitze ihrer kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Die meisten von ihnen hatten im Jahr 2017 aber noch keinen Nachfolger gefunden. Und obwohl das Institut für Mittelstandsforschung (IfM) Bonn mit weit weniger Nachfolgen rechnet als die KfW, heißt es auch dort, dass "regionale und branchenspezifische Engpässe" in den kommenden Jahren nicht auszuschließen seien - ein Alarmsignal für die deutsche Wirtschaft.

"Die Idee der Mitarbeiternachfolge ist erst einmal naheliegend", sagt Nadine Schlömer-Laufen vom IfM Bonn: "Der Angestellte ist im Unternehmen ja bereits bekannt." Außerdem wisse er viel über den Betrieb, insbesondere, wenn er zuvor eine Führungsposition innehatte.

Doch die Sache habe einen Haken, vor allem einen rein ökonomischen, sagt Schlömer-Laufen: "Den besten Preis erzielt ein Alteigentümer bei einem strategischen Käufer." Denn der blättere aus Wettbewerbsgründen unter Umständen mehr Geld hin als ein Mitarbeiter. Außerdem möchte lange nicht jeder zum Unternehmer werden - und damit die private Haftung und die Verantwortung für alle Kollegen auf sich laden. "Nicht ohne Grund hat sich jemand für eine Laufbahn als Mitarbeiter oder Selbstständiger entschieden", so Schlömer-Laufen.

Auch die Finanzierung wirft Fragen auf: Wie schafft es ein Arbeitnehmer, genug Kapital aufzubringen, um einen ganzen Betrieb zu übernehmen? Eigenkapital, der klassische Bankkredit, ein Darlehen des Verkäufers, Fördermittel von Bund und Ländern - dem Spiel seien da "fast keine Grenzen gesetzt", sagt Uwe Rittmann, Leiter Familienunternehmen und Mittelstand bei der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC). Institutionelle Anleger, die die Übernahme mitfinanzieren, seien ebenso eine Möglichkeit. "Da muss man nicht direkt in den bösen Heuschrecken-Kategorien denken", so Rittmann. Es gebe durchaus Partner, die ein Unternehmen unterstützend begleiten, ohne es sich einverleiben zu wollen. Die Finanzierung sei immer abhängig von der persönlichen Situation - einen "One-fits-all"-Ratschlag gebe es nicht.

Bei Hermann Heringer liefen die Gespräche mit der Hausbank besser als gedacht - auch dank der öffentlichen Mittel, die ihm früh von der NRW-Bank zugesagt wurden. Für institutionelle Finanziers ist das Unternehmen mit zehn Millionen Euro jährlichem Umsatz zu klein. Dennoch habe sich der 60-Jährige den Schritt in die Selbstständigkeit gut überlegt, denn: "Es ist immer noch eine große Investition." Eine Nachfolge nach dem Vorbild der Firma Rhein-Getriebe kommt bei Familienunternehmen nicht sonderlich häufig vor: Nur knapp jeder fünfte Betrieb geht in die Hände eines Belegschaftsmitglieds über. Das ergab eine Metaanalyse des IfM im Jahr 2018. 29 Prozent verkaufen das Unternehmen demnach an Außenstehende. Am weitesten verbreitet ist die familieninterne Lösung: Mehr als die Hälfte der Eigentümer reichen das Zepter in der Familie weiter.

Doch was tun, wenn sich in der Familie kein Nachfolger findet? Uwe Rittmann beobachtet diese Situation in der Praxis immer häufiger. Dann müssen Alternativen her. Bei einigen Familien stehe der ökonomische Gedanke bei der Nachfolgeplanung klar im Vordergrund, sagt er: "Viele Eigentümer entscheiden aber auch sehr nach Emotion."

Für solche Inhaber steht ein unternehmensexterner Verkauf oft gar nicht zur Debatte. Zu groß ist die Gefahr, dass die Identität des Betriebs verloren geht, Mitarbeiter ihren Arbeitsplatz verlieren oder der Standort zerschlagen werden könnte. Bei einem strategischen Käufer kein unwahrscheinliches Szenario: "Wer viel Geld gibt, der wird auch versuchen, das Unternehmen profitabel zu machen", sagt Rittmann.

Er sieht einen weiteren Vorteil in der Mitarbeiternachfolge: In Familienbetrieben gebe es oft Mitarbeiter in dritter Generation, die die Identität des Unternehmens verinnerlicht haben. Fehlt der Nachfolger in der Familie, könnten sie ein guter Ersatz sein. Hinzu kommt: Der Alteigentümer kann die Nachfolge damit still im Hinterstübchen regeln - ohne dass viele Außenstehende seine Bücher einsehen müssten.

Oft geht es um Fragen des Führungsstils und um Zwischenmenschliches

Auch das IfM kommt zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmernachfolge durchaus chancenreich sein kann, wenn kein anderes Unternehmen den Betrieb kaufen möchte oder der Alteigentümer sein Lebenswerk gewahrt sehen will. Dennoch rät das Institut nicht dazu, Arbeitnehmernachfolgen stärker zu fördern als andere Lösungen: "Die Politik sollte nur dort eingreifen, wo es ein Marktversagen gibt", sagt Nadine Schlömer-Laufen. Das sei beim Thema Nachfolge nicht unbedingt der Fall: "Unternehmen, die sich am Markt behaupten können, werden auch einen Nachfolger finden."

Das könne allerdings seine Zeit dauern - erfahrungsgemäß zwischen zwei und zehn Jahren, so die Expertin. Bei der Rhein-Getriebe GmbH ging der Wechsel vergleichsweise schnell über die Bühne. Die Gründergesellschafter sahen in der "In-House-Lösung" den besten Weg, sagt Nachfolger Hermann Heringer. Der 60-Jährige kennt sich im Betrieb aus und wird gekannt. Ein Unternehmen bestehe nicht nur aus Nummern, sagt er: "Am Ende geht es auch um Zwischenmenschliches und den Stil der Unternehmensführung."

Heringer war es wichtig, die Mitarbeiter und den Standort halten zu können: "Die Mitarbeiter hier sind alle sehr verwachsen, vielleicht sogar verheiratet mit der Firma", sagt er und lacht. Natürlich mache er sich als Gesellschafter viele Gedanken, aber für ihn ist klar: "Lieber die Sorge, sein eigenes Unternehmen zu führen, als die Sorge, arbeitslos zu sein und keine neue Stelle zu finden."

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Quelle:
SZ vom 02.10.2019
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