Mehr Freiräume für Start-ups zu schaffen, ist dem nordrhein-westfälischen Wirtschafts- und Digitalminister Andreas Pinkwart (FDP) schon lange ein Herzensanliegen. Nun bringt das Land eine Gesetzesinitiative in den Bundesrat ein, die Firmen ebenso helfen soll wie ihren Mitarbeitern. "Wir schlagen eine drastische Anhebung der Freibeträge für Mitarbeiterbeteiligungen vor, damit die Belegschaft von den Wertsteigerungen profitieren kann", erläuterte Pinkwart bei der Vorstellung der Initiative.
Der Vorschlag soll vor allem junge technologieorientierte Firmen beim Wettbewerb um die besten Köpfe im Lande unterstützen. Helfen würde er aber auch anderen Unternehmen, die sich von einer Belegschaftsbeteiligung mehr Motivation und mehr Anziehungskraft auf begehrte Fachkräfte versprechen. Nicht zuletzt kann Mitarbeiterkapital auch eine wichtige Finanzierungsquelle sein. Der NRW-Vorschlag sieht eine Anhebung des steuerlichen Freibetrags für die geldwerten Vorteile der Arbeitnehmer von derzeit 360 Euro auf 5000 Euro vor. Es wäre ein im europäischen Vergleich dringend notwendiger Quantensprung. "Andere Länder unterstützen die Mitarbeiterbeteiligungen längst mit deutlich höheren steuerlichen Förderungen, in Großbritannien etwa liegen sie bei dem Zehnfachen der in Deutschland geltenden Freigrenzen", sagt Maximilian Degenhart, Rechtsanwalt und Experte für Unternehmensfinanzierung bei der Kanzlei Beiten Burkhardt in München.
Werden Arbeitnehmer zu Miteigentümern, steigt ihr Interesse an der Firma
Nach Schätzungen des Bundesverbandes Mitarbeiterbeteiligung - AGP in Kassel sind rund eine Million Mitarbeiter börsennotierter Gesellschaften und etwa die gleiche Anzahl Beschäftigter mittelständischer Firmen an insgesamt rund 4000 Unternehmen beteiligt. Dax-Konzerne von Adidas bis Siemens geben Belegschaftsaktien aus. Im nicht börsennotierten Mittelstand sind es vor allem größere Firmen wie der Sägenhersteller Stihl, der durch Leckereien wie Knoppers und Toffifee bekannte Süßwarenproduzent August Storck oder die SB-Warenhauskette Globus, die gemeinsam mit den Mitarbeitern schon seit Jahrzehnten Kapital bilden. Insgesamt allerdings nutzt bei weitem nicht einmal ein Zehntel aller kleinen und mittleren Firmen die Mitarbeiterkapitalbeteiligung.
Das hat nicht nur mit den mickrigen steuerlichen Anreizen zu tun. "Eigentümergeführte Unternehmen fürchten, sensible Firmendaten bereitstellen und Kontrolle abgeben zu müssen", sagt Degenhart. Das aber müsse nicht sein. Kapitalgesellschaften wie etwa GmbHs können Beteiligungsprogramme mit Instrumenten wie stille Beteiligungen und Genussrechten so gestalten, dass formale Mitspracherechte der Arbeitnehmer außen vor bleiben. Ebenso möglich ist eine an den Bedürfnissen der Firmen orientierte Umsetzung. Ob das von den Arbeitnehmern eingesetzte Kapital fest oder variabel verzinst wird kann ebenso frei verhandelt werden wie die Laufzeit und die Frage, ob die Arbeitnehmer neben den Gewinnen auch an den Verlusten beteiligt werden.
Wegen der komplexen gesellschaftsrechtlichen Anforderungen, so Degenhart, sind stille Beteiligungen vor allem bei einer größeren Anzahl von Mitarbeitern mit einigem Organisationsaufwand verbunden. Einfacher und flexibler zu gestalten sind Genussrechte, die in der Praxis häufiger Anwendung finden. Grundsätzlich sind Genussrechte und stille Beteiligungen zunächst Fremdkapital. "Sie können aber bei einer Verlustbeteiligung und mindestens fünfjähriger Laufzeit als wirtschaftliches Eigenkapital gewertet werden, was natürlich die Bilanzstruktur und das Rating der Banken verbessert", erläutert AGP-Geschäftsführer Heinrich Beyer. In beiden Fällen ist ein Betriebsausgabenabzug der gezahlten Zinsen möglich.
Das Erschließen zusätzlicher Geldquellen ist allerdings nicht die Hauptmotivation der Unternehmen. "Im Vordergrund steht das Ziel, den Mitarbeitern etwas Besonderes zu bieten und ihren Status aufzuwerten", sagt Beyer. Werden Arbeitnehmer zu Miteigentümern, steigt ihr Interesse am Wohlergehen der Firma. Das wiederum führt zu mehr Motivation und unternehmerischen Denken. Der AGP-Geschäftsführer registriert deshalb etwa gerade im IT-Sektor und in der Elektroindustrie als besonders vom Know-how und Engagement motivierter Fachkräfte abhängigen Branchen ein wachsendes Interesse.
"Die Mitarbeiterkapitalbeteiligung ist eine wirksame Waffe im Kampf um Talente. Sie erleichtert es auch dem kleinen Mittelstand, Fachkräfte zu gewinnen und zu binden", sagt Degenhart. Andererseits sind auch Hürden zu überwinden. Der Experte rechnet für Beteiligungsprogramme mit Startkosten im unteren fünfstelligen Bereich. Er rät zudem dazu, die Bereitstellung von Beteiligungen nicht mit den Lohnzahlungen zu verbinden. Denn je stärker diese Bereiche getrennt sind, desto weniger sind arbeitsrechtliche Vorgaben zu berücksichtigen. Besser ist es, wenn Mitarbeiter unabhängig vom Lohn mit eigenem Geld in den Erwerb von Anteilen einzahlen.
Gerade in Zeiten niedriger Zinsen kann das eine attraktive Anlageform und Möglichkeit der Altersvorsorge sein. Andererseits hat die Belegschaft vielleicht auch Gründe, solche Angebote lieber nicht zu nutzen. Immerhin investiert sie damit in die gleiche Firma, von der sie ihr Gehalt bezieht und trägt damit ein nicht zu unterschätzendes Klumpenrisiko. Das Risiko ist immerhin insofern überschaubar, als Mitarbeiter je nach vereinbarter Laufzeit oder spätestens bei Ausscheiden aus dem Betrieb Anspruch auf ihr Kapital haben.
Auf die Finanzierungskraft der Firma muss das keine nachhaltige Wirkung haben. "Die meisten Unternehmen unterbreiten ihren Mitarbeitern Jahr für Jahr aufs Neue ihr Beteiligungsangebot, so dass der Kapitalstock auch bei Fluktuation relativ konstant bleibt oder weiter wächst", sagt Beyer. Er verweist zudem darauf, dass Firmen mit praktischen Erfahrungen nach drei, fünf oder zehn Jahren von spürbaren positiven Effekten auf ihr Eigenkapital berichten. Mitarbeiterbeteiligungen verbreitern die Finanzierungsstruktur im Unternehmen und gelten wegen ihrer langfristigen Ausrichtung als stabiler Posten der Kapitalausstattung. "Sie eignen sich darüber hinaus zur Finanzierung von Wachstumsphasen, in denen das Unternehmen ohne diese Kapitaldecke möglicherweise auf andere Investoren oder teure alternative Mezzanine-Finanzierungen angewiesen wäre", sagt Degenhart.
Nicht zuletzt bietet das Mitarbeiterkapital den Firmeneigentümern vielleicht sogar die Möglichkeit, ohne nachteilige Wirkung auf das Rating auch einmal eigenes Geld aus dem Unternehmen herauszuziehen.