Minuszinsen:Und jetzt alle 

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Geldautomaten in einer Bank: Negative Zinsen gibt es schon lange, aber nur für vermögende Privatkunden und Firmen. Jetzt trifft es auch normale Sparer. (Foto: Imago)

Ausgerechnet eine Volksbank tut den ersten Schritt: Neukunden müssen Negativzinsen zahlen - ab dem ersten Euro. Die nächsten Banken könnten schon bald folgen.

Von Harald Freiberger, Erich C. Setzwein und Jan Willmroth, München

Das gab es noch nie in Deutschland: Die Volksbank Raiffeisenbank Fürstenfeldbruck hat Negativzinsen schon ab dem ersten Euro eingeführt. Betroffen sind Tagesgeldkonten seit dem 1. Oktober. Von jedem Kunden, der neu bei ihr Geld anlegt, verlangt die Volksbank jetzt 0,5 Prozent Minuszinsen. Bereits vorher angelegtes Tagesgeld ist nicht betroffen. "Wir wollen unsere langjährigen Kunden schützen, so lange dies möglich ist", sagt Vorstand Robert Fedinger.

Er begründet den Schritt mit den Strafzinsen von 0,5 Prozent, die Geschäftsbanken zahlen müssen, wenn sie Geld bei der Europäischen Zentralbank (EZB) parken. Die Volksbank signalisiert so, dass sie neues Geld nicht mehr kostenlos annehmen will. "Wir müssen das tun, weil in jüngster Zeit vermehrt Kunden anderer Banken zu uns kommen, die dort ihren Freibetrag ausgeschöpft haben", sagt der Vorstand

Das Internetportal Verivox spricht von einem "Dammbruch". Denn lange Zeit waren nur vermögende Privatkunden und Firmenkunden von Negativzinsen betroffen. Dabei gab es in der Regel einen hohen Freibetrag von einer Million Euro, 500 000 Euro oder 100 000 Euro. Wer weniger anlegte, zahlte keine Minuszinsen. Anfang November unterschritt die Volksbank Magdeburg erstmals diese Grenze und führte einen Freibetrag von 75 000 Euro ein. "Nun verzichtet mit der Volksbank in Fürstenfeldbruck die erste Bank bei ihren Neukunden komplett auf einen Freibetrag", sagt Oliver Maier, Geschäftsführer von Verivox. "Damit sind Negativzinsen endgültig beim durchschnittlichen Sparer angekommen."

Verivox erwartet, dass diese Entwicklung weitergeht: Immer mehr Geldhäuser in Deutschland dürften in nächster Zeit Negativzinsen einführen, bestehende Negativzinsen weiter erhöhen oder Freibeträge senken. "Wir beobachten aktuell sehr viel Bewegung am Markt", sagt Maier. Ursache sei die Entscheidung der EZB im September, den Einlagenzins von minus 0,4 auf minus 0,5 Prozent zu senken. Sie führte dabei zwar auch Freibeträge für die Institute ein, gleichzeitig sandte sie aber das Signal, dass die Negativzinsen noch längere Zeit bestehen bleiben. Die Banken in Deutschland, die zunehmend darunter leiden, stellen sich nun darauf ein und geben die Minuszinsen an immer mehr Kunden weiter.

Die Äußerung des Vorstands der Fürstenfeldbrucker Bank deutet darauf hin, dass die Fluchtbewegungen von Sparern bereits eingesetzt haben: Je mehr Institute Negativzinsen einführen und Freibeträge senken, desto mehr Kunden werden versuchen, ihr Geld bei anderen Banken unterzubringen. Diese schützen sich davor, indem sie selbst Negativzinsen verlangen und Freibeträge senken. Am Ende dieser Spirale könnte die breite Masse der Sparer von negativen Zinsen betroffen sein.

"Die Reaktion der Bank aus Fürstenfeldbruck überrascht mich nicht", sagt Horst Biallo, Gründer des gleichnamigen Verbraucherportals. "Das werden künftig noch viele andere Banken machen, um Leute abzuschrecken, die nur zu ihnen kommen, weil sie woanders diese Zinsen schon zahlen müssen." Nach seinen Daten erheben derzeit 150 von mehr als 1400 untersuchten Banken Negativzinsen, darunter 52 Institute auch bei Privatkunden.

Verivox untersucht die Preisaushänge von rund 800 Banken und Sparkassen in Deutschland. Davon verlangen 21 Institute bei hohen Summen Negativzinsen von ihren Kunden. Sieben Banken berechnen Gebühren für Tagesgeldkonten, die sehr gering oder gar nicht verzinst sind, was einem Negativzins gleichkommt. Zu weiteren 19 Banken gab es Berichte über Negativzinsen in den Medien, diese stehen aber nicht in den Preisaushängen. Es gibt sogar eine Bank, die über den Einlagensatz der EZB hinausgeht: Die VR-Bank Bayreuth-Hof berechnet Kunden 0,6 Prozent Negativzins, wenn sie beim Tagesgeld den Freibetrag von 300 000 Euro überschreiten.

Mit vermögenden Privatkunden führen Banken auch individuell Gespräche

Bekannt ist, dass Banken bei Firmenkunden und Kommunen ab höheren Summen oft Minuszinsen berechnen. Mit vermögenden Privatkunden führen sie auch individuell Gespräche, in denen sie ihnen raten, das Geld als Festgeld oder in Wertpapieren anzulegen; lassen diese es doch auf dem Giro- oder dem Tagesgeldkonto liegen, fallen Negativzinsen an.

Die Deutsche Bank kündigte erst kürzlich an, Minuszinsen für vermögende Privatkunden einzuführen. Auch die Commerzbank, das zweitgrößte private Kreditinstitut Deutschlands, sieht mittlerweile keinen Ausweg mehr und hat ankündigt, die negativen Einlagenzinsen an ihre Kunden weiterzugeben. "Wir kehren die Treppe von oben", sagte Commerzbank-Finanzvorstand Stephan Engels, als er vor zwei Wochen die Quartalszahlen vorlegte. Die Kunden mit den höchsten Summen auf dem Konto trifft es also zuerst. Eine eindeutige Grenze aber, ab der negative Zinsen auf Kundeneinlagen gelten sollen, wollte die Bank nicht nennen. Nach SZ-Informationen gibt es aber eine solche Grenze: Sie liegt bei 250 000 Euro. Die Commerzbank dementierte das nicht, betonte aber, es würden Gespräche mit jedem einzelnen betroffenen Kunden geführt, um individuelle Vereinbarungen zu treffen. "Das Ziel ist ja nicht, den Kunden die Zinsen in Rechnung zu stellen", sagte ein Sprecher, "sondern gemeinsam zu überlegen, wie man das Geld besser anlegen kann."

Der Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken verschickte jüngst ein Schreiben an alle 860 Mitgliedsinstitute. Darin empfahl er einen Vierstufenplan, wie die Volks- und Raiffeisenbanken bei der Einführung von Minuszinsen rechtlich und praktisch vorgehen können. Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis sagte in diesen Tagen zwar: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Negativzinsen oder Verwahrentgelte für die breite Kundschaft ein Thema werden." Er fügte aber hinzu: Kein Institut könne auf Dauer gegen die Marktbedingungen und die betriebswirtschaftliche Logik agieren. Deshalb wäre es "nicht seriös, heute für alle Zukunft gültige Erklärungen abzugeben".

© SZ vom 20.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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