Deutschland ist ein Land der Minijobber. 7,24 Millionen Menschen, meistens Frauen, haben eine Stelle auf 450-Euro-Basis, für die sie keine Steuern zahlen müssen und sich von den Sozialabgaben befreien lassen können. Allein 2,42 Millionen packen dabei auf ihren Hauptjob die geringfügige Beschäftigung als Zusatzjob oben drauf, etwa, weil das Geld sonst nicht reicht oder ein paar Hunderter im Monat zusätzlich für Extrawünsche zur Verfügung stehen sollen.
Die Privilegien für Minijobber sind jedoch seit Jahren umstritten, vor allem, weil sich - anders als erhofft - die 450-Euro-Jobs nicht als Brücke hin zu einem regulären Vollzeitjob entwickelt haben.
Nun empfiehlt der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums "eine Reform der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse". Er fordert zumindest, "die Steuerfreiheit von Minijobs für Zweitverdiener in einer Ehe abzuschaffen".
Dies geht aus dem neuen Gutachten "Potenziale nutzen - mehr Fachkräfte durch weniger Arbeitsmarkthemmnisse" hervor, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt und am Montag vorgestellt wird.
Das Professoren-Gremium, in dem vor allem Ökonomen vertreten sind, macht sich in seinem Gutachten für Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) dafür stark, "staatlich verursachte Verzerrungen" am Arbeitsmarkt abzubauen, um den öffentlich beklagten Fachkräftemangel in Deutschland zu lindern.
Vage Formulierung im Koalitionsvertrag
Die Gutachter führen aus, dass Minijobs besonders "für Verheiratete mit hoher Grenzsteuerbelastung interessant" seien. Es sei "angesichts der hohen steuerlichen Belastung, die an der Verdienstgrenze der Minijobs einsetzt" wenig überraschend, dass so wenige geringfügig beschäftigte Frauen auf eine sozialversicherungspflichtige Stelle wechselten.
Die Wirtschaftsweisen hatten dies ebenfalls als "Fehlanreiz" kritisiert und der Bundesregierung geraten, "die Steuerfreiheit der Minijobs im Nebenerwerb und für den Zweitverdiener einer Ehe abzuschaffen". Im Koalitionsvertrag von SPD und CDU/CSU steht dazu lediglich: "Zudem wollen wir die Übergänge aus geringfügiger in reguläre (. . .) Beschäftigung erleichtern". Passiert ist seitdem aber nichts.
Der Beirat wünscht sich von der Bundesregierung außerdem neue flexiblere Regeln für den Eintritt in die Rente, um ältere Beschäftigte möglichst lange am Arbeitsmarkt zu halten.
Ein Vorbild ist für die Experten hier Norwegen: Dort können Arbeitnehmer flexibel zwischen 62 und 75 Jahren in Rente gehen und ihr Altersgeld mit einer Erwerbstätigkeit kombinieren. Der Beirat empfiehlt deshalb, die bestehenden Obergrenzen für den Hinzuverdienst von Frührentnern aufzugeben und Renten wie die Rente ab 63 oder nach 35 Beitragsjahren abzuschaffen.
Das soll helfen, Anreize zum vorzeitigen Abschied aus dem Arbeitsleben abzubauen. Stattdessen soll es ein "Vollrentenalter", zum Beispiel 67, geben, bei dem die volle Rente ausgezahlt wird. Wer ab einem bestimmten Mindestalter früher geht, bekommt das Altersgeld gekürzt. Wer über das Normalmaß hinaus im Berufsleben bleibt, erhält Zuschläge.
Abschläge von 3,6 Prozent pro Jahr des vorzeitigen Rentenbezugs und Zuschläge in Höhe von sechs Prozent pro Jahr des aufgeschobenen Eintritts in den Ruhestand gibt es schon jetzt. Diese seien jedoch zu niedrig und "versicherungsmathematisch nicht haltbar", kritisieren die Gutachter.
Der Beirat hält ebenfalls Regelungen im Steuerrecht für falsch, die Frauen vom Arbeitsmarkt eher abhalten. Dazu gehört für die Ökonomen die Möglichkeit für Ehepaare, die Steuerklassen III und V zu wählen.
Fehlanreiz, der die "Erwerbsmotivation von Zweitverdienern untergräbt"
Bei Paaren, bei denen einer mehr verdient, ist dieses Modell sehr beliebt. Schließlich fällt so die monatliche Netto-Auszahlung beider Eheleute höher aus als bei der Kombination der Steuerklassen IV und IV, obwohl der Partner mit Klasse V überproportional viel Lohnsteuer zahlt.
Der Beirat sieht darin einen Fehlanreiz, der die "Erwerbsmotivation von Zweitverdienern untergräbt". Er empfiehlt, die Steuerklassenkombination III und V abzuschaffen. Ob der Beirat mit diesem Vorschlag bei der Bundesregierung durchdringen wird, ist jedoch fraglich. Im Koalitionsvertrag steht dazu gar nichts.