Süddeutsche Zeitung

Arbeitsmarkt:Minijobs sind eine Verzwergungsmaschine für qualifizierte Frauen

Nicht nur Arbeitgeber, auch viele Ehefrauen finden Minijobs praktisch. Sieben Millionen solcher Stellen gibt es im Land. Doch für die Frauen ist es ein riskanter Weg in die Teilzeitfalle - und möglicherweise in die Altersarmut.

Kommentar von Roland Preuß, Berlin

Weniger Erwerbsarbeit ist völlig in Ordnung. Die Zeit mit den Kindern ist schön, für die Familie gibt es genug zu erledigen. Mit dem Minijob fügt es sich da scheinbar passend, vor allem für Frauen: Den Lohn gibt es ohne Abzüge, man hat wenig Papierkram zu erledigen, und der Café-Betreiber ums Eck ist dankbar, dass seine neue Bedienung mit Masterabschluss so schön mit den Gästen parlieren kann. Außerdem hat der Steuerberater gesagt, dass es sich jetzt gar nicht lohne, mehr zu arbeiten. Willkommen in der Teilzeitfalle.

Minijobs sind die Leimrute des Arbeitsmarktes. Wer sich einmal hier niedergelassen hat, der kommt so schnell nicht wieder auf die Beine. Das bisherige System ist so gestrickt, dass Mehrarbeit mit höheren Abgaben bestraft und soziale Unsicherheit befördert wird. Und so bleiben eben viele Beschäftigte da, wo sie typischerweise nach dem Kindersegen gelandet sind: Teilzeit im Minijob. Arbeitsminister Hubertus Heil will die Regeln jetzt ändern, will den Minijobberinnen und Minijobbern den Weg zu regulären Teil- und Vollzeitjobs ebnen. Wer mehr arbeitet, soll künftig tatsächlich meist ein Plus auf dem Konto sehen. Das aber kann nur ein erster Schritt sein, um mehr Menschen - es sind vor allem Frauen - aus der Teilzeitfalle zu holen.

Minijobs sind sehr beliebt, keine Frage. Es gibt mittlerweile etwa gut sieben Millionen solcher Stellen im Land. Für Betriebe sind sie oft der Puffer, wenn mal besonders viel oder überraschend wenig zu tun ist. Wirtschaftsvertreter loben die Flexibilität der Minijobs, sprich: Die Beschäftigten kann man in der Krise schnell feuern.

Zur ganzen Wahrheit zählt aber auch, dass es sich viele Ehefrauen im Minijob eingerichtet haben. Für sie klingen die Rufe nach einer Abschaffung der Minijobs eher bedrohlich als verheißungsvoll. Mit dem Vollzeit-Einkommen des Mannes lässt es sich auch so gut leben. Kindererziehung, Haushalt und Hausaufgaben sind fordernd genug. Trotzdem arbeiten sie ja, leisten einen Beitrag zur gemeinsamen Kasse - und werden dafür auch noch brutto für netto entlohnt. Und später kann man ja immer noch wieder einsteigen und länger arbeiten im alten Beruf. Das alles ist verführerisch, nachvollziehbar - und kurzsichtig.

Die Abhängigkeit vom Ehepartner ist enorm

In den meisten Fällen gelingt Frauen dieser Schritt zurück in den Beruf nicht, auch wenn die Kinder längst Jugendliche oder aus dem Haus sind. Sie verharren in Teilzeitjobs mit niedrigen Stundenlöhnen. Die Karrierechancen schwinden dahin, die frühere Stelle ist längst an andere vergeben, irgendwann ist auch der alte Masterabschluss nichts mehr wert. Bei ihnen ist die Falle zugeschnappt.

Solche Berufswege können auch persönlich an steile Abbruchkanten führen. Etwa, wenn sich der einst geliebte Ehemann mit der jüngeren Kollegin XY (noch Vollzeit) davonmacht. Bei einer Scheidung fällt die Ex-Frau mit Minijob schnell in die Grundsicherung und später mangels eigener Rentenansprüche in die Altersarmut. Prekäre Beschäftigung kann so auch Machtverhältnisse zwischen Partnern verschieben.

Aber auch im Ganzen gesehen sind solche Minijobs schädlich. Sie verschwenden das Talent und die Energie vieler Beschäftigter, das System ist eine Verzwergungsmaschine für qualifizierte Frauen. Wer daran etwas ändern will, kann nicht nur bei den Sozialabgaben ansetzen, wie das Hubertus Heil nun bei den Minijobs und Midijobs plant. Das Steuersystem mit seinem Ehegattensplitting trägt einen gewichtigen Teil dazu bei, Minijobber von Mehrarbeit abzuschrecken. Das heißt nicht, dass man alle Minijobs abschaffen müsste. Sie können bei Gruppen bestehen bleiben, für die eine soziale Absicherung des Jobs keine solche Rolle spielt, etwa bei Rentnern, Schüler und Studierenden. Frauen nach der Kinderpause aber zählen nicht dazu.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5522221
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/sana
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.