Zum kleinen Einmaleins des Politikers gehört seit jeher die Fähigkeit, auch Nachrichten, die nicht so dolle sind, als Erfolg zu verkaufen. Wie das funktioniert, demonstrierte diese Woche US-Finanzministerin Janet Yellen: Nach Gesprächen einer Gruppe führender Industrie- und Schwellenländer über die Einführung einer globalen Mindeststeuer für Großkonzerne schwärmte ihr Haus in einer wortreichen Erklärung über die Vorzüge der internationalen Zusammenarbeit, beschwor ein gedeihliches Miteinander der Staaten und versprach mehr Gerechtigkeit für hart arbeitende Durchschnittsverdiener in aller Welt. Dann erst kam die eigentliche Nachricht: Die USA, hieß es, plädierten für einen Mindeststeuersatz von "mindestens 15 Prozent".
15 Prozent. Das signalisiert zum einem, dass die Staatengemeinschaft nun tatsächlich damit begonnen hat, über die exakte Ausgestaltung einer Untergrenze zu feilschen. Es heißt aber auch: Die Firmen werden am Ende wohl viel günstiger davonkommen als gedacht, denn bisher hatte US-Präsident Joe Biden einen Mindestsatz von 21 Prozent favorisiert.
Die globale Mindeststeuer soll jenes fatale Rennen um immer niedrigere Unternehmenssteuersätze beenden, mit dem vor allem die Industrieländer seit Jahrzehnten versuchen, sich gegenseitig Einnahmen wegzunehmen. Zu den besonders aggressiven Ländern gehört etwa Irland, das Firmengewinne mit nur 12,5 Prozent belastet - Deutschland fordert mit knapp 30 Prozent mehr als doppelt so viel. Profiteure sind große Konzerne wie Nike, Apple, Facebook oder Amazon: Sie nutzen den Dumping-Wettlauf der Nationen, um Gewinne möglichst in jene Staaten umzuleiten, die besonders niedrige Sätze fordern. Das wiederum zwingt andere Länder, ihrerseits den Körperschaftsteuersatz erneut zu senken. Viele Regierungen haben deshalb nicht genug Geld, um Zukunftsinvestitionen zu tätigen, etwa in den ökologischen und digitalen Umbau ihrer Volkswirtschaft, wie Yellens Ministerium in seiner Erklärung beklagt. Beinahe wortgleich äußerte sich am Freitag auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD).
Die Mindeststeuer könnte Gesamteinnahmen von mehr als 100 Milliarden Dollar bringen
Je nach Ausgestaltung könnte die Mindeststeuer mehr als 100 Milliarden Dollar pro Jahr zusätzlich in die Kassen der beteiligten Länder spülen. Dass die USA statt für 21 jetzt für "mindestens 15 Prozent" plädieren und damit geringere Mehreinnahmen in Kauf nehmen, ist dem Beharrungsvermögen der Niedrigsteuerländer sowie der Lobbyarbeit der Konzerne in Washington geschuldet. Sie machen im US-Kongress Druck auf "ihre" Abgeordneten und Senatoren, eine aus Firmensicht zu hohe Steuerbelastung zu verhindern.
Offen ist, was ein Mindeststeuersatz von 15 Prozent für Deutschland bedeuten würde, denn die Reform hat noch eine zweite Komponente: Künftig nämlich sollen Unternehmen nicht mehr nur im Land ihres Steuersitzes Abgaben zahlen, also etwa in Irland, sondern verstärkt auch dort, wo sie tatsächlich ihre Umsätze erzielen. Das ist gut für die deutsche Staatskasse, wenn es um Apple geht, aber schlecht, sollte die Regelung auch die Gewinne von BMW und Siemens in den USA oder China treffen. Manche Kritiker in Berlin befürchten gar, dass die Reform der Bundesrepublik am Ende nicht Mehr-, sondern sogar Mindereinnahmen bescheren könnte.
Diese Gefahr sieht Scholz offenkundig nicht. Im Gegenteil: Am Rande des EU-Finanzministertreffens in Lissabon bezeichnete er die Nachricht aus Washington als "Durchbruch" und als "ambitionierten Ansatz". Immerhin lägen "die Steuersätze in manchen Ländern derzeit um die zwölf Prozent". Es sei aus seiner Sicht nun "mehr als realistisch, dass bei der Mindestbesteuerung von großen Konzernen bis zum Sommer eine internationale Verständigung gelingt, die jahrzehntelang gefordert wurde" und an der sich 140 Länder beteiligen könnten. Er selbst habe mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire vier Jahre an dem Projekt gearbeitet. "Das ist ein großer Fortschritt für den Zusammenhalt der Gesellschaft", so Scholz.
Le Maire sagte, er erwarte, dass die Mindeststeuer "spätestens im Juli beim Treffen der G-20-Finanzminister in Venedig beschlossen wird". Der G 20 gehören die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer der Welt an. Auch Luxemburg, selbst ein Niedrigsteuerland, ist an Bord: Sein Land trage den Vorschlag mit, da er "gleiche Bedingungen für alle" schaffe und allen "das Leben leichter machen" könne, sagte Finanzminister Pierre Gramegna.
Auch in US-Regierungskreisen wurde das Kompromissangebot von 15 Prozent gegen Kritik verteidigt: Der endgültige Satz müsse sich nicht an den 21 Prozent messen, die Biden zunächst genannt habe, sondern an jener Schwelle, die heute die Untergrenze für die Besteuerung von Unternehmen darstelle: null Prozent.