Sozialpolitik:Arbeitgeber wollen EU-Gesetz zu Mindestlöhnen bekämpfen

15 04 2019 Duisburg Ruhrgebiet Nordrhein Westfalen Deutschland ThyssenKrupp Steel ein Stahla

Hochofen in Duisburg: Der Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall kündigt Widerstand gegen ein umstrittenes EU-Gesetz zu Mindestlöhnen und Tarifbindung an.

(Foto: Rupert Oberhäuser/imago images)

Gesamtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander befürchtet schlimme Folgen und beklagt Brüsseler "Einheitswahn" und "Kompetenzüberschreitung". Am Montag fällt eine wichtige Entscheidung.

Von Björn Finke, Brüssel

Deutschlands größter Arbeitgeberverband sagt einem umstrittenen EU-Gesetz zu Mindestlöhnen und Tarifverträgen den Kampf an: "Wir werden dagegen vorgehen mit allen politischen und juristischen Mitteln, die wir haben", sagte Oliver Zander, der Hauptgeschäftsführer von Gesamtmetall, der Süddeutschen Zeitung. Die Mitgliedsverbände seiner Organisation vertreten Unternehmen mit 2,4 Millionen Arbeitsplätzen, etwa aus der Auto- oder Elektroindustrie. An diesem Montag werden sich die Sozialminister der EU-Staaten bei einem Treffen in Brüssel vermutlich auf eine Verhandlungsposition für diese Richtlinie einigen.

Der Rechtsakt soll Standards für die Ermittlung von Mindestlöhnen festschreiben und dazu beitragen, dass möglichst viele Jobs von Tarifverträgen abgedeckt sind. Lobbyist Zander hält diesen Ansatz für grundfalsch. Der 53-jährige Jurist spricht von "Kompetenzüberschreitung" und einer "Werbekampagne für alle EU-Kritiker". Mit seinem Ärger steht er nicht alleine: Andere Arbeitgeberverbände lehnen die vor einem Jahr von der Kommission vorgeschlagene Richtlinie ebenfalls ab.

Auf der anderen Seite loben die meisten Gewerkschaften das Vorhaben. Und das Europaparlament billigte vor anderthalb Wochen eine Verhandlungsposition, die den Gesetzentwurf sogar noch verschärft. Verständigen sich die EU-Sozialminister am Montag auf ihre gemeinsame Position, können die Gespräche zwischen Parlament und Ministerrat, dem Gremium der Mitgliedstaaten, beginnen. Eine Einigung der beiden Gesetzgebungskammern soll bis Sommer erfolgen. Das deutsche Ampelbündnis will den Rechtsakt unterstützen, heißt es im Koalitionsvertrag.

Die Richtlinie schreibt nicht die Höhe der Mindestlöhne vor. Aber die Bundesregierung müsste wohl die Regeln für die Mindestlohnkommission ändern. Wie dieses Gremium die Sätze ermittelt, entspricht nicht den Prinzipien, die der Rechtsakt allen EU-Staaten mit Mindestlöhnen vorgeben will. Gesamtmetall-Chef Zander klagt, solch eine Vereinheitlichung "erlauben weder die europäischen Verträge noch das Grundgesetz: Dieser ständige Einheitswahn ist falsch und gefährlich".

"So etwas Weltfremdes habe ich selten gesehen."

Hoch umstritten ist auch, dass die Richtlinie Regierungen dazu zwingt, Aktionspläne zur Erhöhung der Tarifbindung zu entwerfen. Dies ist der Anteil der Arbeitnehmer, deren Betrieb von Gehaltstarifverträgen erfasst wird. Solche Pläne sollen alle EU-Länder mit einer Tarifbindung von unter 80 Prozent verabschieden, heißt es in der Verhandlungsposition des Europaparlaments. Das trifft auf die meisten EU-Staaten zu, etwa Deutschland, wo der Satz um die 50 Prozent beträgt. Zander ist empört: "Da wird am grünen Tisch in Brüssel festgelegt, wie hoch die Tarifbindung angeblich sein muss, damit ein Tarifsystem funktioniert. So etwas Weltfremdes habe ich selten gesehen."

Der Gesamtmetall-Chef fürchtet um die im Grundgesetz verankerte Tarifautonomie, also das Recht von Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden, ohne staatliche Einmischung Tarifverträge auszuhandeln. Ein Aktionsplan der Regierung für eine höhere Tarifbindung werde "darauf hinauslaufen, dass man die Tarifautonomie einschränkt: Statt Freiwilligkeit ist staatlicher Zwang angesagt", sagt er. Die Regierung könnte zum Beispiel mehr Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklären. Dann gelten sie auch für Firmen, die nicht im Arbeitgeberverband organisiert sind. Zander warnt, dies mindere den Anreiz, überhaupt einer Gewerkschaft oder einem Unternehmerverband beizutreten: "Das untergräbt unser bewährtes System der Sozialpartnerschaft."

"Mal sehen, ob wir vor der nächsten Europawahl wieder werben werden."

Besonders sauer ist Zander über den Europaabgeordneten Dennis Radtke. Der ist einer von zwei Berichterstattern für die Richtlinie und damit maßgeblich verantwortlich für die Parlamentsposition zu diesem Gesetz. Der CDU-Politiker hat den Gesetzentwurf an manchen Stellen noch verschärft, was ihm den Unmut einiger Parteifreunde einbrachte. Zander sagt, Radtke habe "ein schlechtes Gesetz weiter verschlechtert: Mit seiner Position ist er meilenweit vom Programm seiner Partei entfernt."

Der Gesamtmetall-Chef glaubt, dass EU-Kommission und -Parlament solche sozialpolitischen Initiativen bewusst anstoßen, weil sie davon ausgehen, damit in schwierigen Zeiten bei den Bürgern Sympathien für die EU zu wecken. "Aber in Wirklichkeit führen so schlechte, auch kompetenzüberschreitende Gesetze dazu, dass sich selbst glühende Unterstützer der europäischen Einigung abwenden", sagt Zander. Vor der vergangenen Europawahl hätten sein Verband und die Mitgliedsfirmen massiv dafür geworben, wählen zu gehen. "Doch jetzt sagen viele Unternehmer: Aus Brüssel kommt nur Gegenwind. Und Vorhaben wie diese Richtlinie machen es immer schwerer, glaubwürdig gegen solche Aussagen zu argumentieren", klagt der Hauptgeschäftsführer: "Mal sehen, ob wir vor der nächsten Europawahl wieder werben werden."

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