Süddeutsche Zeitung

Mindestlohn:Konsument gegen Produzent

Wer immer nach dem billigsten Schnäppchen greift, darf sich über Hungerlöhne nicht wundern. Ab 1. Januar gilt in Deutschland der Mindestlohn - er macht auf diesen alltäglichen Rollenkonflikt aufmerksam.

Ein Kommentar von Detlef Esslinger

Das Gasthaus in der Oberpfalz bietet das Schweinehalssteak mit Pommes, Kräuterbutter und gemischtem Salat für 6,90 Euro an, und die Käsespätzle für noch einen Euro weniger. Soll man da Nein sagen, als Konsument? Am besten lässt sich die Frage wohl mit einer Gegenfrage beantworten: Kann man da Ja sagen, als Produzent?

Zum 1. Januar kommt der gesetzliche Mindestlohn, Deutschland wird dann das 22. von 28 EU-Ländern sein, in denen es dieses Instrument gibt. Je nachdem, aus welcher Perspektive und mit welchen Interessen man den Mindestlohn betrachtet, ist er entweder ein Ungetüm, das Bürokratie gebiert, Jobs vernichtet und allzu viele Unternehmer wie Verdächtige behandelt - oder er verkörpert die Hoffnung, dass endlich Schluss sein wird mit besonders unwürdigen Beschäftigungsverhältnissen, die Menschen nur die Wahl lassen zwischen Arbeitslosigkeit und einer Arbeit, von der alleine sie nicht leben können. 6,90 Euro fürs Schnitzel, was soll da für Koch und Kellnerin übrig bleiben?

Nach aller Lebenserfahrung wird der Mindestlohn nicht die eine oder die andere, sondern die eine und die andere Konsequenz haben. Es werden Firmen mit Papierkram belastet, die ihre Mitarbeiter schon immer seriös behandelt haben, und es werden die Löhne von Arbeitnehmern steigen, die mangels Verhandlungsmacht in Gehalts- oder Tarifgesprächen immer chancenlos geblieben sind.

Wer billig einkauft, soll sich über schlechte Jobs nicht wundern

Das ist sozusagen die rein ökonomische Betrachtung; darüber hinaus kann man den Mindestlohn indes auch mit etwas Pathos betrachten. Niemand sollte die Möglichkeiten dieses Instruments überschätzen; in einer Marktwirtschaft, die immer auch eine Machtwirtschaft ist, wird er nicht grundstürzend sein. Aber wer den Mindestlohn allein für ein Mittel gegen Ausbeuter hält, nimmt doch eine ziemlich selbstgerechte Position ein.

Der Mindestlohn ist nicht das, wohl aber ein Mittel, um den Menschen einen Rollenkonflikt wenigstens einmal bewusst zu machen: den zwischen dem Konsumenten und dem Produzenten. Als Konsument findet man es ganz wunderbar, im Restaurant für 6,90 Euro zu essen. Als Produzent - in dem Fall: als Bedienung, als Wirt, als Schlachter, als Bauer - muss man den Preis als jenen Hungerlohn empfinden, der einem selber keine Wahl lässt, als beim Discounter (oder gleich bei Amazon) zu Preisen einzukaufen, die dann wiederum Hungerlöhne für andere nach sich ziehen. Und hinterher staunen dann alle, dass wieder Landgasthöfe schließen oder die Fußgängerzonen voller Nagelstudios und Ein-Euro-Läden sind, wo früher Buchläden und echte Metzgereien waren.

Einkaufsverhalten und Arbeitsbedingungen hängen zusammen

Bedürftige haben kaum eine andere Chance, als in den Billigladen zu gehen. Aber der gemeine Mittelschichtmensch geht auf Schnäppchenjagd, damit ihm auch noch Geld fürs nächste Schnäppchen bleibt - "etwas egoistische Lebensstile" hat Papst Franziskus derlei neulich genannt, "die durch einen mittlerweile unhaltbaren Überfluss gekennzeichnet sind und oft ihrer Umgebung gegenüber gleichgültig sind". Manchmal auch sich selbst gegenüber: Wer in seiner Rolle als Konsument nur auf den Preis achtet, findet es als Produzent (also als Arbeitnehmer) womöglich unzumutbar, wie sein Arbeitgeber wegen sinkender Einnahmen Personal abbaut oder Vorgaben erhöht.

Einkaufsverhalten und Arbeitsbedingungen lassen sich nicht isoliert voneinander betrachten. Das Letzte, was man vom Mindestlohn erwarten darf, ist, dass er Mentalitäten ändern wird. Aber: "Der Mensch ist in Gefahr, zu einem bloßen Räderwerk herabgewürdigt zu werden", hat Franziskus auch gesagt. Und irgendwo muss man schließlich anfangen, da hineinzugreifen.

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SZ vom 30.12.2014/sks
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