Süddeutsche Zeitung

Mindestlohn für Friseure:Preise hoch, Kunden weg

Einen gesetzlichen Mindestlohn gibt es bald wohl überall in Deutschland. Friseure bekommen ihn schon seit Monaten - eine Zwischenbilanz.

Von Charlotte Dietz

Das Prestigeprojekt von Andrea Nahles nimmt Formen an. Der Gesetzentwurf der Bundesarbeitsministerin zum verpflichtenden Mindestlohn steht: 8,50 Euro für alle, mit wenig Ausnahmen. Am 2. April soll das Kabinett darüber beraten.

In einigen Branchen haben sich Gewerkschaften und Arbeitgeber jedoch schon längst auf einen Mindestlohn geeinigt. Eine davon ist das Friseurhandwerk. Immer wieder waren die Arbeitsbedingungen in deutschen Salons in den Schlagzeilen gewesen: Stundenlöhne von unter fünf Euro, absurde Umsatzvorgaben, unbezahlte Überstunden. Dafür gab es Haarschnitte zum Spottpreis. Genug Auszubildende fanden die Friseure schon lange nicht mehr. "Wir hätten uns heruntergewirtschaftet", sagt Rainer Röhr, Vorsitzender vom Zentralverband des deutschen Friseurhandwerks.

Der Mindestlohn sollte Schluss machen mit diesen Zuständen. Doch konnte er tatsächlich helfen? Und lässt das Schlüsse auf den allgemeinen Mindestlohn zu? Süddeutsche.de hat bei Friseuren, Verbänden und Experten nachgefragt.

Lohngrenze: 8,50 Euro. So viel sollen Arbeitende in Deutschland von 2015 an mindestens verdienen. Auch bei den Friseuren steigt der Stundenlohn stufenweise auf diesen Betrag. Die Gewerkschaft Verdi einigte sich zunächst mit 26 Verbänden und Innungen auf 6,50 Euro im Osten und 7,50 Euro im Westen von August 2013 an. Im Dezember erklärte das Bundesarbeitsministerium die Löhne dann rückwirkend für allgemeinverbindlich - in ganz Deutschland müssen Saloninhaber ihn seit November zahlen. Dieses Jahr steigt er auf sieben Euro (Osten) und acht Euro (Westen). Von August 2015 an werden dann alle Friseure in Deutschland 8,50 Euro pro Stunde verdienen.

Kein Mindestlohn für Auszubildende. Die werden bei der Regelung ausgenommen. Auch in der Friseurbranche fallen Auszubildende nicht unter die Mindestlohnregelung. Jedoch wird der Beruf bei jungen Menschen seit der Einführung wieder beliebter. Zwar geht die Zahl der Auszubildenden noch zurück, jedoch deutlich weniger als zuvor: Im September 2013 stellte die Bundesagentur für Arbeit einen Rückgang von drei Prozent fest. Im Vorjahr waren es noch fast zehn Prozent weniger neue Auszubildende gewesen. Vor allem in den östlichen Bundesländern, in denen der tarifliche Lohn vorher zum Teil bei 3,82 Euro lag, zeigt der Mindestlohn Wirkung: In der Friseurinnung Chemnitz gibt es im neuen ersten Lehrjahr 70 angehende Friseure - im dritten sind es nur 35. "Für uns ist das ein gutes Zeichen", sagt Obermeister Jörn Lüdecke.

Flucht in die Schwarzarbeit? Ein beliebtes Argument gegen den Mindestlohn ist die Befürchtung, dass dadurch die Schwarzarbeit zunimmt. In der Friseurbranche ist sie traditionell sehr weit verbreitet. Über genaue Zahlen lässt sich nur spekulieren. Der Zentralverband schätzt jedoch, dass Friseure jährlich zwei Milliarden Euro schwarz umsetzen. Das wäre dann rund ein Drittel vom Gesamtumsatz in der Branche.

Sybille Hain, Vorsitzende der Landesinnung Thüringen/Sachsen-Anhalt, befürchtet einen deutlichen Anstieg. "Viele Friseure arbeiten jetzt offiziell als 450 Euro-Kraft, den Rest gibt es bar auf die Hand", sagt sie. In den zusätzlichen Stunden könnten Salonbesitzer ihre Mitarbeiter um den Mindestlohn prellen - und den Staat um Sozialabgaben. Zudem bemängelt Hain, dass kaum überprüft werde, wer den Mindestlohn tatsächlich zahlt. "Hier gibt es immer noch Salons, da schneiden die jungen Friseurinnen für vier Euro pro Stunde."

Arbeitsministerin Andrea Nahles will eine Hotline einrichten, bei der solche Verstöße dann in Zukunft gemeldet werden können. Doch gleichzeitig brauchen die Zollämter mehr Mitarbeiter, um zu kontrollieren, wer sich an die Regelungen hält. Die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft (BDZ) fordert 2000 bis 2500 zusätzliche Stellen, um diese Arbeit zu bewältigen.

Anstieg der Preise: Höhere Löhne erfordern höhere Preise - das gilt besonders für die Friseurbranche, denn hier machen die Löhne die Hälfte der Kosten aus. Bundesweit lagen die Preise in Friseursalons seit der Einführung des Mindestlohns zwischen drei und vier Prozent über dem Vorjahresniveau. Besonders stark stiegen sie im Osten: Hier berichten Salonbesitzer von Preiserhöhungen zwischen 20 und 30 Prozent.

Weg vom Billiglohn hieße auch weg vom Billigpreis. Für die Friseurbranche war das nicht weniger als ein Imagewechsel. Doch wie erhöht man die Zahlungsbereitschaft der Kunden, die seit Jahren an Niedrigpreise gewöhnt waren? Das Problem kennt auch Michael Klier. 900 Friseursalons betreibt der Unternehmer unter eigenem Namen. Mehrmals hatten sich Regionalleiter der Kette vor Gericht verantworten müssen, weil sie Friseure in den falschen Tarif eingestuft hatten und diese deshalb zu niedrig entlohnt wurden. Noch im September 2012 berichtete das Nachrichtenmagazin Stern über die ausbeutende Lohnpolitik des Unternehmens. Klier gelobte Besserung. In den Verhandlungen mit Verdi trat er dann als großer Mindestlohn-Verfechter auf: "Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter an allen Standorten vom Lohn ihrer Arbeit leben können und überall die gleiche Wertschätzung erfahren", sagte er, und testete den Mindestlohn schon vorab in zwölf seiner Salons.

Das war im März 2013, mittlerweile zahlt Klier den Mindestlohn in sämtlichen Filialen. Ohne Folgen blieb das nicht: Seit der Einführung ist sein Betriebsergebnis nach eigenen Angaben um 15 bis 20 Prozent gesunken. "Uns war klar, dass das nicht sang- und klanglos über die Bühne geht", sagt Klier.

Auswirkungen auf die Beschäftigung: Für den flächendeckenden Mindestlohn prognostiziert Nahles "keine negativen Effekte auf den Arbeitsmarkt". Es gibt noch keine Zahlen darüber, wie sich die Beschäftigung der Friseure seit Einführung des Mindestlohns entwickelt hat. Laut dem Zentralverband und Verdi blieben große Entlassungswellen aus. Jedoch arbeiten Friseure - gerade im Osten - nun häufig weniger Stunden. Von "massiven" Kürzungen besonders im ländlichen Raum spricht Sybille Hain von der Landesinnung Thüringen.

Ronny Rosenau besitzt 15 Salons in und um Erfurt. "Seit es den Mindestlohn gibt, habe ich fünf bis zehn Prozent weniger Kunden", sagt er. Er zog Konsequenzen - und kürzte Mitarbeitern die Stunden. So ist die Summe auf der Lohnabrechnung nicht höher, auch wenn die Friseure pro Stunde mehr verdienen. "Es trifft die, die wenig leistungsfähig sind und noch nicht viele Stammkunden haben - den Nachwuchs also. Das drängt sie in die Schwarzarbeit", so Rosenau. Das bestätigt auch Sybille Hain: "Einsteiger und Anfänger haben jetzt viel weniger Chancen", sagt sie.

Erfolg hängt stark von der Branche ab

Insgesamt ist Rainer Röhr bisher zufrieden. "Wir haben klargemacht, was es bedeutet, wenn jemand eine halbe Stunde am Kopf des Kunden herumwerkelt", sagt er. Der Mindestlohn sei dringend notwendig gewesen.

In der Diskussion um den allgemeinen Mindestlohn wird das Friseurhandwerk oft als Beispiel genannt. Davor warnt jedoch Steffen Henzel vom Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung. "Das Friseurhandwerk ist eine spezielle Dienstleistung, die nur Menschen ausüben können", sagt der Arbeitsmarktökonom. Deshalb könnten Salonbetreiber die höheren Kosten vor allem durch höhere Preise ausgleichen und nicht etwa durch den Einsatz von Maschinen. "Offenbar gelingt es hier, die Preise an die Kunden weiterzugeben, anstatt Mitarbeiter zu entlassen", sagt Henzel. Ob das auch auf andere Branchen zutreffe, könne niemand voraussagen.

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