Süddeutsche Zeitung

Pläne der Bundesregierung:Wirtschaft uneins über Azubi-Mindestlohn

  • Die Mindestlohnpläne von Bundesbildungsministerin Karliczek für Auszubildende rufen in der Wirtschaft geteilte Reaktionen hervor.
  • Das Handwerk schäumt: Der Zentralverband ZDH spricht von einem "schweren Eingriff in die gelebte Betriebs- und Tarifautonomie".
  • Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände sieht diese wegen des geplanten Vorrangs von Tarifverträgen nicht in größerer Gefahr.

Von Edeltraud Rattenhuber

Jörg Müller, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands des Friseurhandwerks, kann sich sofort in Rage reden, wenn er auf die Mindestlohnpläne der Bundesbildungsministerin für Auszubildende angesprochen wird. Die Tarifautonomie sei ein "verfassungsrechtlich geschütztes Gut", sagt er. Sie weiter auszuhöhlen, werde die Bereitschaft der Friseurbetriebe, auch weiterhin in hohem Maße junge Leute auszubilden, sicherlich nicht steigern helfen - ganz im Gegenteil. "Das ist ein psychologisches Momentum, das verscheucht viele Betriebe."

In seiner Stellungnahme befindet sich Müller auf einer Linie mit dem Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). Dort schäumt man. ZDH-Generalsekretär Holger Schwannecke warnt in einer Pressemitteilung vor einem "schweren Eingriff in die gelebte Betriebs- und Tarifautonomie". Gerade die kleinen Handwerksbetriebe in strukturschwachen Regionen werde das in besonderem Maße belasten.

Was ist passiert? Die Bundesregierung will einen sogenannten Mindestlohn für Auszubildende auf den Weg bringen - obwohl der, strikt gesprochen, natürlich gar kein Mindest-"Lohn" sei, wie Friseurhandwerks-Geschäftsführer Müller gleich zu Beginn des Telefongesprächs mit der SZ klarstellt. Das sei eine Unterstützung, die gewährt werde, um die Ausbildung durchzuführen. Doch wie auch immer man sie nennt, gedacht ist sie als Grenze nach unten. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sieht sie als notwendigen Schritt. Der Neuen Osnabrücker Zeitung sagte sie: "Auszubildende verdienen Anerkennung, hierfür setzen wir mit der Mindestvergütung ein Signal."

Laut dem Gesetzentwurf der Bildungsministerin sollen Auszubildende in Deutschland von 2020 an im ersten Ausbildungsjahr eine Mindestvergütung von 515 Euro pro Monat erhalten. In den Folgejahren soll sich diese Vergütung laut dem Vorschlag zunächst auf 550 Euro erhöhen, dann auf 585 Euro, sodass sie ab 2023 bei 620 Euro landet. Geplant seien zudem Aufschläge im zweiten, dritten und vierten Ausbildungsjahr. Nach derzeitigem Stand soll das Bundeskabinett das am Mittwoch beschließen.

Die Regelung sei losgelöst von der Lohn- und der wirtschaftlichen Entwicklung

Es sind vor allem die "gesetzlich normierten Wertschöpfungsaufschläge", welche der Handwerksverband kritisiert. Im zweiten Jahr der Berufsbildung sollen die Basiswerte der Mindestvergütung um 18 Prozent, im dritten Jahr um 35 und im vierten Jahr um 40 Prozent steigen. ZDH-Generalsekretär Schwannecke nennt diese Regelung "völlig losgelöst von der Lohn- und der wirtschaftlichen Entwicklung". Sie werde zu deutlichen Belastungen gerade für die kleinen Betriebe im Handwerk führen.

Auch Jörg Müller vom Zentralverband der Friseure kritisiert diese Staffelung. Im Friseurhandwerk zum Beispiel ist die Ausbildungsbereitschaft nach wie vor groß. Derzeit würden deutschlandweit etwa 22 000 junge Menschen ausgebildet, eine Quote von 15 Prozent, wie Müller stolz berichtet, "doppelt so hoch wie in der Industrie". Vergessen dürfe man auch nicht, dass das Handwerk enorm viel für die Integration von jungen Flüchtlingen leiste. Doch Friseure haben es schwer. Der Markt sei überdehnt. Billigstanbieter stünden klassischen familiengeführten Unternehmen sowie Betrieben gegenüber, die sich mit höherwertigen Leistungen am Markt positionierten. Auszubildende nun generell wie "mit der Gießkanne" gleich zu bezahlen, ohne regionale Kaufkraftunterschiede und die besondere Situation in den neuen Bundesländern zu beachten, werfe prinzipielle Fragen auf.

Eine Untergrenze sei ein "Zeichen der Wertschätzung für die Lernanstrengungen"

Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) dagegen äußert sich moderater. Generell halte man zwar eine gesetzliche Regelung für nicht notwendig, da diese in die Aufgaben der Tarifvertragsparteien eingreife, heißt es in der Stellungnahme von BDA-Präsident Ingo Kramer. Doch hätten BDA und DGB, in engster Abstimmung mit dem Handwerk, auf Bitten der Politik einen Vorschlag gemacht, wie eine Mindestausbildungsvergütung ohne große Schäden für die Tarifautonomie geregelt werden könnte. Dieser Vorschlag werde nun weitgehend von der Bundesregierung umgesetzt.

Kramer hält eine Mindestausbildungsvergütung von 515 Euro, wie sie in dem Gesetzentwurf vorgesehen ist, für ein "Zeichen der Wertschätzung für die Lernanstrengungen" der Auszubildenden. Dennoch würden Betriebe dadurch aber nicht generell überfordert, da die allermeisten deutlich über der Mindestausbildungsvergütung lägen.

Entscheidender Faktor, um branchenspezifischen Problemen Rechnung tragen zu können, ist aus Sicht von BDA-Präsident Kramer der verabredete, gesetzlich garantierte Vorrang von Tarifverträgen. Karliczek hatte bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfes Zugeständnisse gemacht und erklärt, tarifvertraglich könne auch eine niedrigere Ausbildungsvergütung vereinbart werden. Der BDA sieht damit "auch ordnungspolitisch das richtige Zeichen gesetzt: Die Gestaltung der Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen bleibt maßgeblich Sache der Sozialpartner."

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SZ vom 14.05.2019/mane
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