Süddeutsche Zeitung

Mindestlohn:Ausnahmen nur für Langzeitarbeitslose

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Die Parteichefs haben vorgearbeitet, am Ende aber triumphiert Arbeitsministerin Nahles: Nur für eine kleine Gruppe Langzeitarbeitsloser soll es Sonderregeln geben, Jugendliche unter 18 Jahren und ohne Ausbildung bekommen keinen Mindestlohn. Die Ministerin blieb standhaft.

Von Thomas Öchsner, Berlin

Der Tag beginnt mit einem Weckruf des Bundeswirtschaftsministers. Schon am frühen Morgen darf Sigmar Gabriel in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur frohlocken: "Der gesetzliche Mindestlohn ist ein Meilenstein für eine wirklich soziale Marktwirtschaft. Er ist gut für die Menschen - denn wir geben der Arbeit ihre Würde zurück."

Am Nachmittag darf Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) liefern. Nachdem sich am Vorabend Kanzlerin Angela Merkel (CDU), CSU-Chef Horst Seehofer und Gabriel über letzte Details geeinigt haben, verschickt sie ihren Entwurf für den gesetzlichen Mindestlohn zur Abstimmung an die anderen Ressorts - zumindest mit einer Überraschung: Langzeitarbeitslose, die mit einem Lohnkostenzuschuss der Bundesagentur für Arbeit (BA) einen Job finden, werden darin für ein halbes Jahr vom Mindestlohn ausgenommen.

Es handelt sich aber nur um eine kleine Gruppe: Nach Angaben der BA erhielten 2013 etwa 16 000 der mehr als eine Million Langzeitarbeitslose solche Zuschüsse. Nahles will ihnen damit die Brücke zum Arbeitsmarkt nicht verbauen. Die Arbeitgeberverbände hatte deshalb stets Sonderregeln für alle Langzeitarbeitslose gefordert. Ansonsten enthält das "Tarifautonomiestärkungsgesetz", wie es amtlich genannt wird, keine Sonderregeln.

"Die gute Nachricht des Tages"

Der allgemeine gesetzliche Mindestlohn komme pünktlich zum 1. Januar 2015 und ohne Ausnahmen, sagt Nahles: "Das ist die gute Nachricht des Tages." In dem Entwurf heißt es: Der Mindestlohn trage dazu dabei, "dass der Wettbewerb zwischen den Unternehmen nicht zu Lasten der Arbeitnehmer durch die Vereinbarung immer niedrigerer Löhne, sondern um die besseren Produkte und Dienstleistungen stattfindet".

Vertreter von 14 Branchen hatten zuvor in Gesprächen mit dem Ministerium versucht, Ausnahmen durchzusetzen, etwa für Minijobber, Taxifahrer oder Rentner. Doch die bleiben begrenzt: So wird es nur für junge Leute unter 18 Jahren und ohne Ausbildung keinen Mindestlohn geben. Nahles will damit sicherstellen, dass sie nicht eine 8,50-Euro-Stelle annehmen anstelle einer schlechten bezahlten Ausbildung. Die Grenze ab der Volljährigkeit zu ziehen, ist aber umstritten. Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) plädiert zum Beispiel für eine höhere Altersgrenze. Sie weist darauf hin, dass fast 60 Prozent der Jugendlichen älter als 18 Jahre sind, wenn sie eine Ausbildung beginnen.

Bei den Praktikanten wird unterschieden: Wer zu einem Praktikum als Schüler, Student oder in einer Ausbildung verpflichtet ist, muss keinen Mindestlohn erhalten. Für Praktikanten, die etwa nach einem Studium mehrere Monate arbeiten, sollen die 8,50 Euro dagegen gelten.

Nahles lehnt eine großzügige Altersgrenze ab

Derzeit haben 21 von 28 EU-Staaten gesetzliche Mindestlöhne. Sie reichen von 1,04 Euro pro Stunde in Bulgarien bis 11,10 Euro in Luxemburg. Geringere Lohngrenzen für junge Leute sind dabei nach Angaben des gewerkschaftsnahen WSI-Instituts selten.

Eine Altersgrenze bei 25 Jahren gibt es in Griechenland. In den Niederlanden und in Großbritannien werden bis zum Alter von 23 oder 21 Jahren verringerte Mindestlöhne gezahlt. Bundesarbeitsministerin Nahles lehnt eine zu großzügige Altersgrenze kategorisch ab. Sie fürchtet, dass Unternehmen dann einen neuen Niedriglohnsektor für junge Leute schaffen.

Sicher ist: Der Mindestlohn wird wie von Anfang geplant nicht für Ehrenamtliche und Auszubildende gelten. Bei Saisonarbeitern wie Erntehelfern setzt Nahles darauf, dass für diesen Bereich noch bundesweite Tarifverträge ausgehandelt werden. In diesen Fällen dürfen die 8,50 Euro dann bis Ende 2016 unterschritten werden. Für die etwa 200 000 Taxifahrer könnte eine solche Übergangslösung in Frage kommen. Auch ist das Ministerium noch mit einzelnen Branchen wie den Zeitungsverlegern im Gesprächen. Dabei geht es um die Frage, wie sich der Stücklohn von Zeitungsboten auf einen Stundenlohn von 8,50 Euro umrechnen lässt.

Gabriel freut sich schon jetzt

Vom Mindestlohn könnten nach Angaben des Arbeitsministeriums 3,7 Millionen Menschen in Deutschland profitieren, sofern dadurch keine Arbeitsplätze wegfallen. Viele leben im Osten der Republik. Dort verdient mehr als jeder vierte Arbeitnehmer weniger als 8,50 Euro.

Es ist vorgesehen, dass der Mindestlohn erstmals zum 1. Januar 2018 angehoben wird. Die zuständige Kommission aus Gewerkschaften und Arbeitgebern solle sich dabei "nachlaufend an der Tarifentwicklung" orientieren, heißt es in dem Entwurf. Die Kommission solle dabei jährlich über mögliche Anpassungen der Höhe des Mindestlohns entscheiden.

Minister Gabriel freut sich jedenfalls schon jetzt. Er sagt: "Dass der Mindestlohn bald im Gesetzesblatt steht, ist ein gemeinsamer Erfolg der SPD, Gewerkschaften und auch der Union."

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SZ vom 20.03.2014/uga
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