Millionenabfindung bei Novartis:Staatsanwälte ermitteln wegen Deal des möglichen Cromme-Nachfolgers

Ulrich Lehner: möglicher neuer Aufsichtsratschef von Thyssen-Krupp

Der frühere Henkel-Chef Ulrich Lehner: möglicher Nachfolger von Gerhard Cromme als Aufsichtsratschef des Stahl- und Anlagenbauers Thyssen-Krupp.

(Foto: dpa)

Brisante Ermittlungen in der Schweiz: Ulrich Lehner soll neuer Chefaufseher bei Thyssen-Krupp werden. Dumm, dass Basler Staatsanwälte eine Millionenabfindung untersuchen, die er bei Novartis genehmigt hatte.

Von Thomas Fromm, Joachim Käppner und Klaus Ott

Die Sache in der Schweiz ist ganz schön ärgerlich für Ulrich Lehner, einen der führenden Vertreter der deutschen Industrie. Ausgerechnet jetzt kümmert sich die Staatsanwaltschaft in Basel um einen heiklen Deal des 66-jährigen Managers, der Konzerne wie die Deutsche Telekom, Porsche und Eon kontrolliert oder berät. Jetzt, da der Rheinländer an die Spitze des Aufsichtsrats bei Thyssen-Krupp in Essen rücken könnte. Die Baseler Strafverfolger ermitteln wegen der ursprünglich geplanten Abfindung für Daniel Vasella, den bisherigen Chef des Pharmakonzerns Novartis. 72 Millionen Schweizer Franken sollte Vasella bekommen, 60 Millionen Euro, was Entrüstung auslöste und dazu beitrug, dass die Eidgenossen bei einem Volksentscheid mit großer Mehrheit einer "Abzocker-Initiative" gegen überhöhte Manager-Gehälter zustimmten.

Damit hatte der aus Düsseldorf stammende und dort nach wie vor tätige Lehner bestimmt nicht gerechnet, als er bei Novartis zusammen mit anderen Mitgliedern des Verwaltungsrats die 72 Millionen Franken für Vasella durchwinkte. Als das bekannt wurde, empörte sich sogar die Regierung in der sonst so kapitalfreundlichen Schweiz. Justizministerin Simonetta Sommaruga sprach von "Selbstbedienungsmentalität". Und ein Anleger-Anwalt aus Basel erstattete auch noch Strafanzeige bei der dortigen Staatsanwaltschaft gegen Vasella, gegen Lehner und vier weitere Verwaltungsräte von Novartis. Der Vorwurf lautet unter anderem: Veruntreuung von Unternehmensvermögen. Die in Basel ansässige Novartis AG ist einer der weltweit größten Pharmakonzerne.

Vasella hat inzwischen zwar erklärt, er verzichte auf die vielen Millionen Franken. Die Baseler Staatsanwaltschaft ermittelt dennoch "gegen die Verantwortlichen" für die geplante Abfindung, wie ein Behördensprecher mitteilte. Basis des Verfahrens sind die Anzeige des Anlegeranwalts gegen Vasella, Lehner und andere sowie eine weitere, anonyme Eingabe. Ob das die Chancen von Lehner schmälert, an die Spitze des Aufsichtsrats von Thyssen-Krupp zu rücken, ist unklar.

Natürlich gilt bei einem laufenden Verfahren die Unschuldsvermutung. Es kann gut sein, dass die Sache nach Vasellas Verzicht auf die Millionenabfindung eingestellt wird. Aber der Zeitpunkt, der könnte stören. Der Industriekonzern aus Essen will endlich Ruhe haben nach Verlusten in Milliardenhöhe bei Stahlwerken in Übersee und diversen Kartellaffären. Nach dem Rauswurf alter Vorstände und dem Sturz von Aufsichtsratschef Gerhard Cromme, 70. Vergangenen Freitag hat der seinen Rücktritt erklärt, nachdem Berthold Beitz, 99, ihn fallen ließ, der Chef der Krupp-Stiftung. Die hat als Hauptaktionärin das Sagen bei Thyssen-Krupp.

Mit Crommes Nachfolge könnte es eigentlich schnell gehen. Aus Konzernkreisen von Thyssen-Krupp ist zu hören, Beitz habe mit Lehner gesprochen. "Die beiden dürften sich handelseinig sein." Und aus dem Umfeld von Beitz heißt es, er kenne Lehner schon sehr lange und habe eine "hohe Meinung" von ihm. Der Manager aus Düsseldorf sei der "Lieblingskandidat" des Patriarchen in Essen. Der andere Aspirant, der öffentlich gehandelt wird, Hans-Peter Keitel, sei kein Thema für Beitz. Auch Keitel ist ein Schwergewicht in der deutschen Wirtschaft, er war immerhin Präsident des Industrieverbandes. Aber wen Beitz ablehnt, der hat keine Chance.

Der Patriarch will nach Angaben aus seinem Umfeld einen Manager an die Spitze des Aufsichtsrats holen, der mit den Fehlentscheidungen für die Stahlwerke in Brasilien und den USA nichts zu tun habe, der in keine Affäre verstrickt sei, der aus all dem unbelastet hervorgehe. Aus Sicht von Beitz erfülle Lehner diese Voraussetzungen. Dass Lehner bei Novartis mit anderen Verwaltungsräten die umstrittene 72-Millionen-Abfindung genehmigt habe, sei für Beitz "kein Hindernis".

Problem für den Kandidaten der IG Metall

Für die IG Metall könnte der Abfindungsstreit aber zum Problem werden, unabhängig von den Ermittlungen in Basel. Führende Gewerkschafter hatten frühzeitig überlegt, wer im Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp als Alternative zu Cromme in Frage komme. Cromme galt bereits als angeschlagen wegen der Milliardenverluste und Kartellaffären. Den Gewerkschaftern kam nur Lehner in den Sinn, sonst niemand. Das war aber lange, bevor die horrende Abfindung bei Novartis bekannt wurde und für Unmut sorgte. Und nun folgt auch noch das Ermittlungsverfahren, das nicht direkt mit dem Fall Mannesmann in Deutschland vergleichbar ist, aber schon daran erinnert. Bei Mannesmann war es um 30 Millionen Euro Abfindung für Ex-Vorstandschef Klaus Esser gegangen, also nur halb so viel wie bei Novartis.

Mehrere Aufsichtsräte hatten sich vor Gericht verantworten müssen, unter anderem die früheren Chefs von Deutsche Bank und IG Metall, Josef Ackermann und Klaus Zwickel. Gegen Geldzahlungen wurde das Verfahren eingestellt. Bei Novartis liegt der Fall insofern anders, als dass Vasella dort auf die Abfindung verzichtete. Doch Lehner hatte eben mit anderen Verwaltungsräten die Millionen genehmigt. Werden ihn nun die IG-Metaller im Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp so ohne weiteres akzeptieren? Die Gewerkschaft musste sich zuletzt ohnehin nachsagen lassen, mit den Bossen zu kuscheln.

Bleiben noch die Aktionäre. Bei denen regt sich Protest gegen Lehner. Thomas Hechtfischer, Geschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW), fordert einen Neuanfang an der Aufsichtsratsspitze. Sollte der neueste Kartellverdacht zutreffen, dann wäre das der "dritte schwerwiegenden Fall" bei Thyssen-Krupp innerhalb weniger Jahre. Dann müsse man von einem "regelrechten System" reden. Dann wäre Lehner nicht der Richtige. Dann brauche man "dringend jemanden von außen". Lehner habe den Nachteil, schon seit fünf Jahren im Aufsichtsrat zu sitzen, sagt der DSW-Mann.

Lehner selbst war am Montagnachmittag nicht erreichbar.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: