Süddeutsche Zeitung

Milliarden-Übernahme:Aufgegabelt

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Ein Familienunternehmen aus Frankreich erobert nach und nach die Küchen hierzulande. Der Chef hat ein Faible für deutsche Marken wie Krups und Rowenta. Nun erwirbt er noch WMF und Emsa.

Von M. Hägler und L. Klimm, Paris/Stuttgart

Thierry de La Tour d'Artaise glaubt fest an die Kraft der Provinz. Sein Familienkonzern, der Haushaltsgerätehersteller SEB, hat den Sitz seiner wichtigsten Firmensparte immer noch genau dort, wo das Unternehmen 1857 gegründet wurde: am rauschenden Dorfbach des 2500-Seelen-Örtchens Selongey. Hier, mitten in Frankreichs Gourmet-Region Nummer eins, dem Burgund, werden die Geschäfte der SEB-Sparte für Küchengeräte gesteuert. Hier steht noch immer das Werk, in dem schnaubende Walzen Schnellkochtöpfe stanzen. Hier wurde in den vergangenen Wochen auch die Übernahme des deutschen Traditionsunternehmens WMF mitgeplant, dessen idyllische Lage de La Tour an Selongey erinnern muss: Die Württembergische Metallwarenfabrik, 1853 gegründet, steht am Zusammenfluss zweier Flüsschen am Rand der Schwäbischen Alb, direkt an die Altstadt von Geislingen angrenzend. Wie in Selongey dominieren Fabrik und Verwaltung des Küchenaustatters den ganzen Ort.

"Wir haben den gleichen Ursprung, die gleiche Kultur", sagt de La Tour. Nur, dass es sein in Deutschland weitgehend unbekannter Konzern ist, der jetzt WMF übernimmt, nicht umgekehrt. Und dass der Kauf dieser Ikone deutscher Markenqualität schon die zweite SEB-Übernahme in Deutschland binnen weniger Tage ist: Vorige Woche erwarben die Franzosen den westfälischen Produzenten von Thermoskannen Emsa. Wobei WMF das weitaus größere Geschäft ist - genauer: die größte Übernahme in der Geschichte von SEB. Für fast 1,6 Milliarden Euro übernimmt der Konzern WMF vom Finanzinvestor KKR, der den damals angeschlagenen Hersteller von Besteck und Kaffeeautomaten bei seinem Einstieg vor vier Jahren nur mit 600 Millionen Euro bewertet hatte. Trotz des hohen Aufschlags halten die SEB-Aktionäre den Zukauf für ein gutes Geschäft: Die Aktie des französischen Konzerns gewann am Dienstag zeitweise 13 Prozent.

Der Verkauf an SEB sei begrüßenswert, sagt die IG Metall

Bei WMF wiederum herrscht nach Jahren der Sanierung nun Erleichterung, dass KKR das Unternehmen nicht an den schwedischen Konzern Electrolux oder an chinesische Interessenten weiterreicht, sondern an SEB. Also an einen Konzern, der zugleich als innovativ und als langfristig orientiert gilt, schließlich liegt die Mehrheit der Aktienstimmrechte in Händen der Gründerfamilie. Der Verkauf an die Franzosen sei begrüßenswert, sagt Martin Purschke, Bevollmächtigter der IG Metall, zumal sie die ganze Gruppe übernähmen. "Es stand ja auch eine Zerschlagung im Raum."

Bei SEB reiht sich WMF nun ein in eine Sammlung von mehr als zwei Dutzend Marken, die den Konzern mit einem Umsatz von bisher 4,8 Milliarden Euro und 26 000 Mitarbeitern zum Marktführer im Geschäft mit kleinen Haushaltsgeräten gemacht haben. Zu einer Art Vollsortimenter der Alltagskultur weltweit: Außerhalb Frankreichs mag kaum jemand die Stammmarke SEB ("Société d'Emboutissage de Bourgogne") kennen, die 1953 mit Schnellkochtöpfen die Grundlage des Erfolgs legte. Doch SEBs Geschäft besteht gerade daraus, global standardisierte Geräte wie Fritteusen zu entwickeln und sie an lokale Geschmäcker anzupassen. Dafür beschäftigt der Konzern in Selongey ein Team aus Anthropologen und Köchen, die akribisch die kulinarischen Gewohnheiten in aller Welt erforschen. So kann ein Gerät des SEB-Labels Moulinex in Deutschland unter der Marke Krups vertrieben werden. Auch der Pfannenhersteller Tefal und der Haushaltsgerätehersteller Rowenta gehören zu SEB.

WMF passt genau in Thierry de La Tours Beuteschema: Der SEB-Chef liebt deutsche Firmen, weil sie oft für ein Qualitätsversprechen stehen, das sich in hohe Produktpreise ummünzen lässt. Etwa für Krups-Kaffeemaschinen. "Wir halten es nicht für nützlich, die Zugehörigkeit der Marke zu einem französischen Konzern hervorzuheben", bekannte de La Tour einmal im Magazin Capital. Dank Krups und Rowenta sei SEB eher ein bisschen deutsch geworden. Mit WMF soll es in dieselbe Richtung weitergehen: "Wir werden diese stark germanische und mit Luxus konnotierte Marke ausbauen." WMF soll als Weltmarke etabliert werden.

Die Franzosen kaufen gern Firmen, die schwierige Zeiten hinter sich haben. Das gilt für Moulinex und Krups ebenso wie für Emsa. Und WMF hat unter KKR einen Abbau von 400 Stellen durchgemacht, rund 5700 Menschen arbeiten jetzt noch für die Edelmanufaktur, davon rund 2000 in Geislingen. Die Geschäftsführung investierte in die Fertigungsanlagen, stärkte das China-Geschäft - vor allem beschichtete Töpfe des Ablegers Silit sind dort gefragt - und bündelte den Vertrieb. Inzwischen scheint die Trendwende geschafft: Der Umsatz hat die Milliardenschwelle überschritten, der Betriebsgewinn soll 2016 um 30 Millionen Euro auf 140 Millionen steigen.

Fast ohne Fett

Es ist nur heiße Luft - doch mit ihrer Fritteuse Actifry, produziert unter dem Markennamen Tefal, ist SEB sozusagen die Quadratur der Kartoffel gelungen. Viele essen zwar gerne Fritten, doch die enthalten eben ziemlich viel Fett. Die Maschine von Tefal - eigentlich keine Fritteuse, sondern ein Heißluftgebläse - kann ein Kilogramm rohe Kartoffeln mit einem knappen Schnapsglas voll Öl in ziemlich schmackhafte Pommes verwandeln. Die Kartoffelstäbchen kommen in einen antihaft-beschichteten Garraum. Rotierende Schaufeln wenden sie ständig, dazu bläst 170 Grad heiße Luft auf die werdenden Fritten. Mehr als 30 Jahre hatten Techniker bei SEB versucht, Maschinen zu entwickeln, die weniger Fett benötigen, aber einen ähnlichen Geschmack erreichen. Aber erst als man sich mit Experten der Universität von Dijon und dem dortigen Forschungszentrum für Geschmackswissenschaften zusammentat, wurde daraus ein marktreifes Produkt.

Altes Eisen

"Wasser rein, Tank drauf, Dampf los. Und jetzt: Bügeln wie der Blitz!" Diese Sätze haucht das Model in ihrem tief ausgeschnittenen Negligé in die Kamera, während sie im Werbefilm von 1994 um das Bügelbrett tänzelt. Die pure Lust am Glätten verknitterter Kleidung. Heute wirbt Rowenta im Fernsehen seltener für seine Produkte - vielleicht auch besser so -, die Bügeleisen der Marke gehören aber noch immer zum Equipment vieler deutscher Haushalte. Bereits 1919 brachte die Firma, die heute zu SEB gehört, ihr erstes elektronisches Bügeleisen auf den Markt. Seit den Sechzigern funktionieren viele Geräte mit Wasserdampf und sorgen dafür, dass Nutzer weniger Körperkraft aufwenden müssen, um glatte Hemden zu erhalten. Inzwischen lässt Rowenta seine billigen Modelle in China produzieren, nur die luxuriösen Eisen kommen noch aus Deutschland. Ob sie das Bügeln zum lustvollen Event machen, wie einst in der Werbung versprochen? Es sei dahingestellt.

Brühwarm

Emsa war für SEB nur das Vorspiel. Am Freitag kündigte der französische Konzern die Übernahme des 1949 von Franz Wulf gegründeten Mittelständlers aus Emsdetten an. Dessen erstes Produkt war ein Tropfenfänger in der Form eines Schmetterlings für Kaffeekannen. Es hat dann ein paar Jahrzehnte gedauert, bis Emsa Thermoskannen ins Sortiment aufnahm. Mittlerweile produziert die Firma jedes Jahr ein paar Millionen. Das am weitesten verbreitete Modell heißt Samba. Früher hat der Mittelständler vom Lande gerne den Kannen Namen exotischer Tänze gegeben. Mambo, Tango, Samba. Die Tanzphase ist allmählich vorbei. Das neue SEB-Familienmitglied WMF fürchtet Emsa nicht. WMF hat sein Isolierkannen-Geschäft unter der Marke Alfi 2014 an den US-Konzern Thermos verkauft und der wiederum gehört zur japanischen Gruppe Taiyo Nippon Sanso. Jetzt freuen sich die Emsa-Leute auf die neue Arbeitsteilung mit WMF. Die brühen, sie halten warm.

SEB-Chef de La Tour macht klar, dass es vor allem "die großartigen Kaffeemaschinen" sind, die ihn an WMF interessieren. Die Hightech-Geräte, die für 3000 bis 10 000 Euro an Restaurants oder Bäckereien verkauft werden, machen WMF zum Weltmarktführer in diesem kleinen, aber stark wachsenden Segment. Die Geräte tragen zwar nur ein Drittel zum WMF-Erlös bei, sorgen aber für den Großteil des Gewinns. De La Tour will sie nun auch in China, Indien und in den USA zum Erfolg machen. Auch das Netz von rund 200 Läden, die WMF in deutschsprachigen Ländern betreibt, sieht der SEB-Chef als Plus. Die WMF-Sparte für Besteck, Töpfe und Küchengeräte dagegen stellt die künftigen Eigner nicht zufrieden: Die Rentabilität sei "weit unter dem Niveau, das wir gewohnt sind", heißt es bei SEB. Von 2020 an planen die Franzosen mit Einspareffekten in Höhe von 40 Millionen Euro, etwa "durch gemeinsamen Einkauf oder Prozessoptimierung". Da SEB den Kauf komplett über Schulden finanziert, ist klar, dass auf WMF hoher Druck lasten wird.

De La Tour lehnt es auch ab, Bestandsgarantien für Jobs oder Marken zu geben. "Ob in Frankreich oder in Deutschland, wir haben nie solche Versprechen gemacht", sagt er. Tatsächlich bleibt von Krups in Deutschland heute kaum mehr als der Vertrieb - die Kaffeemaschinen dieser Marke werden komplett in Frankreich hergestellt, obwohl doch ihre deutsche Identität beschworen wird. Aber bei WMF, versichert de La Tour, gebe es kaum Überschneidungen mit anderen SEB-Marken.

Seine Einkaufstour in Deutschland sei jedenfalls fürs Erste beendet. Der Zukauf anderer Küchenmarken wie Fissler - die auch einen Investor gebrauchen könnten - komme nicht in Frage. "Wir haben jetzt vollgetankt", sagt er. "Und wir brauchen ja auch noch ein paar Wettbewerber."

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Quelle:
SZ vom 25.05.2016
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