Milliarden-Geldstrom in Krisenstaaten:Spekulanten fassen Vertrauen in Europa

U.S Stocks Surge Upwards In 2013

Händler pumpen wieder Geld in die Krisenstaaten: die New Yorker Börse

(Foto: AFP)

Ende der Kapitalflucht: Zum ersten Mal seit Jahren fließen Milliarden Euro nach Griechenland, Italien oder Portugal. Die Börsenkurse steigen. Ist die Krise in Europa vorbei? Nein. Weiter verlieren immer mehr Menschen Arbeit und Obdach.

Eine Analyse von Jannis Brühl

Das Geld kehrt zurück in den Rand der Euro-Zone. Fast 100 Milliarden Euro sind zwischen September und Dezember in die überschuldeten Staaten Griechenland, Irland, Portugal, Italien und Spanien geflossen, wie aus Berechnungen der niederländischen Bank ING hervorgeht. Ihre Analysten sprechen von einer "signifikanten Umkehrung der Kapitalflucht". Ist das der Wendepunkt, der Anfang vom Ende der Krise?

Sieht man sich die Geldflüsse an, ist es tatsächlich eine Art Schubumkehr, wie beim Bremsen eines landenden Flugzeugs. Fast vier Jahre lang flossen Hunderte Milliarden Euro aus den Staaten der Peripherie. Ihre astronomischen Staatsschulden, das Ringen um Hilfspakete und die ständigen Gerüchte über ein mögliches Auseinanderbrechen der Währungsunion vertrieben Investoren. In den ersten acht Monaten 2012 verbuchten die betroffenen Länder einen Kapitalabfluss von 406 Milliarden Euro. Im letzten Dritteljahr steht dagegen ein Plus von 92 Milliarden, was etwa neun Prozent ihrer Wirtschaftsleistung entspricht.

Die Zinsen zum Beispiel für italienische Staatsanleihen sinken, während im Umkehrschluss stabile Staaten wie Deutschland oder die USA höhere Zinsen für ihre Papier bieten müssen. Für deutsche Staatspapiere zahlten Investoren 2012 sogar drauf, doch die Zeiten der Negativzinsen sind vorbei. Deutschland muss wieder Geld bieten, um an Kredite zu kommen.

Die Zinsen, die Staaten und Unternehmen in Südeuropa zahlen müssen, sind immer noch hoch - doch genau das finden viele professionelle Anleger attraktiv. Denn sie schätzen gleichzeitig das Risiko als gering ein, dass Staaten zahlungsunfähig werden. Das liegt vor allem an der Ankündigung des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB), Mario Draghi, "alles, was nötig ist", zu tun, um den Euro zu retten. Alternative Anlagen, die hohe Zinsen abwerfen, sind rar - vor allem garantiert die Zentralbank sie nicht. Hans-Werner Sinn, Chef des Münchner Ifo-Instituts, nennt in einem Gastbeitrag für die Frankfurter Allgemeine Zeitung einen weiteren Grund für die Stabilisierung: dass der Euro-Rettungsschirm ESM künftig auch Banken in den Krisenstaaten stützen soll.

Zumindest im Privatsektor ist viel Vertrauen zurückgekehrt. Firmen konnten sich doppelt so viel Geld über Anleihen am Kapitalmarkt holen wie noch Anfang 2012. Die Alternative zum klassischen Bankkredit wird immer beliebter. Die Financial Times berichtet von glücklichen Anleihehändlern, die selbst Papiere italienischer Banken auf Roadshows in den USA ohne Probleme losschlagen. Vor kurzem galten die als Ladenhüter. Jetzt berichten die Händler: "Es gab nicht eine einzige Frage, ob der Euro überleben werde."

Vom Vertrauensverlust in den Peripheriestaaten waren auch deren nationale Banken betroffen. Doch jetzt vertrauen die Bürger in den Krisenstaaten ihren Instituten wieder mehr Geld an. Von November auf Dezember 2012 stiegen die Einlagen privater Haushalte und Unternehmen laut EZB in Griechenland um 6,4 Milliarden Euro auf mehr als 167 Milliarden Euro. Auch in Italien und Spanien gingen die Zahlen nach oben. In Italien wurde mit rund 1497 Milliarden sogar der höchste Stand seit Einführung des Euro erreicht.

Und auch der Aktienmarkt boomt. Der Dax steht in diesen Tagen so hoch wie seit fünf Jahren nicht mehr. Auch die US-Händler haben gute Laune: Der Dow Jones liegt ebenfalls auf einem Fünfjahreshoch. Steigende Aktienkurse bedeuten, dass die Investoren den großen Firmen mehr vertrauen und sich besonders hohe Gewinne verhoffen.

Warum die Zentralbanken so massiv eingreifen

Das viele Geld haben die Zentralbanken in die Welt gebracht. Die EZB, die amerikanische Fed und die japanische Notenbank halten die Zinsen extrem niedrig. Zudem hat die EZB Ende 2011 und Anfang 2012 insgesamt eine Billion Euro zu Billigzinsen an die Banken verliehen.

Das Geld landet etwa in Immobilien in Deutschland oder in Unternehmensanleihen. Beide Märkte stehen mittlerweile unter dem Verdacht, dass sich dort Spekulationsblasen bilden. Das Handelsblatt hat mittelständische Unternehmensanleihen analysiert und festgestellt: Viele der Unternehmen sind teils drastisch verschuldet und würden mehr als zehn Jahre brauchen, ihre Schulden abzuzahlen. Um den Immobilienmarkt in Deutschland sorgt sich mittlerweile auch die Bundesbank.

Die Peripherie stabilisiert sich ein bisschen, doch von einer generellen Angleichung innerhalb der Euro-Zone kann keine Rede sein. Nord und Süd sind zu weit auseinandergedriftet. Analysten warnen davor, dass sich Deutschland vom Rest "schrittweise abkopple". Selbst in anderen gesunden Staaten im Zentrum sinkt das Verbrauchervertrauen, zum Beispiel in Belgien und Frankreich. Nur Ausnahmen wie die Niederlande könnten mit der deutschen Entwicklung noch einigermaßen mithalten.

Die Kapitalflüsse in die Krisenstaaten reichen noch lange nicht aus, um sie zu sanieren. Die Arbeitslosigkeit ist dort weiter auf Rekordniveau. Damit fallen viele Steuern aus, die Haushaltslöcher in der Staatskasse bleiben. Zuletzt stiegen folglich die Schuldenstände von Portugal, Irland, Spanien und Griechenland weiter an (PDF).

Zudem ist unklar, wie Europa mit dem nächsten Staat in Schieflage umgehen wird: Zyperns Schuldenstand ist der EU-Statistikbehörde Eurostat zufolge binnen eines Jahres um mehr als 17 Prozentpunkte gestiegen, fast sechsmal so schnell wie der Durchschnitt der Euro-Zone.

Müssen Preise in Deutschland deutlich steigen?

Ökonom Sinn mahnt, dass für eine langfristige Lösung der Krise die Verzerrungen zwischen den Volkswirtschaften wieder aufgehoben werden müssten: "Spanien, Griechenland und Portugal müssen längerfristig im Vergleich zum Durchschnitt der Euro-Zone um etwa 30 Prozent billiger werden, um wieder wettbewerbsfähig zu werden." Zugleich müssten die Preise in Deutschland um 20 Prozent steigen.

Ist die Krise vorbei, wenn es den Unternehmen gutgeht? Was ist mit den Bürgern? Viele leiden in den Krisenstaaten noch immer: Die Länder haben sich gegenüber ihren Kreditgebern EU und Weltwährungsfonds zu massiven Einsparungen verpflichtet. Der Kahlschlag kostet Jobs, nicht nur im öffentlichen Sektor. Viele Menschen verarmen. In Spanien und Griechenland ist jeder Vierte ohne Job (PDF). Selbst in Frankreich ist die Arbeitslosigkeit auf den höchsten Stand seit 15 Jahren gestiegen und liegt über der Drei-Millionen-Marke.

In Griechenland verschärft sich das Problem der Obdachlosgkeit. Wie viele es sind, wissen selbst Behörden und Hilfsdienste nicht. Sie wissen nur, dass es immer mehr werden.

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