Milliardäre in China:Wie Chinas Superreiche verfolgt werden

Retired paramilitary policemen, who conduct the daily national flag raising and lowering ceremony on Tiananmen Square, salute to a Chinese national flag

Viele chinesische Milliardäre wurden reich, weil sie die Regeln brachen. Jetzt fürchten sie die Verfolgung durch die Regierung.

(Foto: Stringer/Reuters)
  • Um reich zu werden, mussten viele von Chinas Milliardären die Regeln brechen. Jetzt fürchten sie, dass die Regierung zurückschlägt.
  • Sie startete eine große Anti-Korruptionskampagne, immer wieder haben Superreiche Probleme mit den Behörden.
  • Zuletzt verschwand sogar ein Milliardär spurlos.

Von Christoph Giesen, Peking

Es war der Morgen des 27. Januar, als eine Überwachungskamera im Hongkonger Luxushotel Four Seasons diese Szene aufzeichnete: Ein Mann sitzt im Rollstuhl, den Kopf verhüllt mit einer Decke. Es ist der Milliardär Xiao Jianhua. Er wird begleitet von einem halben Dutzend Männer, mutmaßlich chinesische Agenten. Was danach geschah, ist unklar. Fest steht nur, Xiao befindet sich in China, und der 27. Januar ist zum Tag der Angst für viele Milliardäre geworden. Obwohl Hongkong offiziell zu China gehört, besteht kein Auslieferungsabkommen zwischen der Volksrepublik und der ehemaligen Kronkolonie. Xiao ist zudem kanadischer Staatsbürger und reiste oft mit einem Diplomatenpass Antiguas. Zum Schutz hatte Xiao eine Gruppe von Leibwächterinnen angeheuert. Alles vergeblich.

"Die Angst unter chinesischen Milliardären ist so groß wie nie zuvor", sagt Kristin Shi-Kupfer, die beim Mercator Institute for China Studies (Merics) den Forschungsbereich Politik, Gesellschaft und Medien leitet. "Sie fürchten sich vor der Anti-Korruptionskampagne der Partei." Edward Tse, Chef der Beratungsfirma Gao Feng Advisory und ein Veteran im China-Geschäft, ergänzt: "In der Vergangenheit mussten viele Unternehmer Regeln brechen, das war oft der einzige Weg, um zu überleben", nun seien etliche Milliardäre wegen früherer Sünden beunruhigt.

Was für ein Kontrast: 594 Dollar-Milliardäre leben derzeit in China, so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Und dennoch ist spätestens seit diesem Januartag klar, Chinas Milliardäre stecken in der Krise. Der lange Arm Pekings kann jeden erfassen, selbst einen Mann wie Xiao. Alleine im vergangenen Jahr bekamen zwölf Superreiche Probleme mit den Behörden.

Auffällig ist, dass vor allem Investoren ins Kreuzfeuer geraten sind. Erst im Januar wurde der umtriebige Hedgefonds-Manager Xu Xiang wegen Marktmanipulationen zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Peking macht ihn mitverantwortlich für den Börsencrash im Sommer 2015. Innerhalb von nur zwei Monaten brachen damals die Kurse in Shanghai und Shenzhen um 40 Prozent ein. Für die chinesische Führung war es eine Blamage, schließlich hatten die amtlichen Medien den Boom lange befeuert und noch kurz vor dem Kollaps zum Aktienkauf geraten. Mit Handelsverboten und etlichen Milliarden aus der Staatskasse hatte die Regierung versucht, den Einbruch zu stoppen - ohne Erfolg.

"Dass derzeit Spekulanten unter Druck geraten, hat auch damit zu tun, dass hier die Verflechtung von Politik und Geschäftswelt am stärksten ist", sagt Shi-Kupfer. "Viele in der Partei betrachten Geschäftsleute, die ihr Geld mit Finanzdeals verdienen, als Schmarotzer, die das System ausnutzen, die abschöpfen und keine neuen Werte schaffen."

Einer dieser Finanzjongleure ist der Milliardär Guo Guangchang. In Deutschland hat er vor Kurzem die Privatbank Hauck & Aufhäuser gekauft. Im Dezember 2015 aber verschwand Guo plötzlich. Zuletzt gesehen hatte man ihn am Shanghaier Flughafen. Nach einiger Zeit musste Guos Konzern, die Fosun Group, eingestehen, den Kontakt zum Aufsichtsratschef verloren zu haben. Rasch wurde über eine Verhaftung wegen Korruption spekuliert. Die Fosun-Aktien mussten vom Handel ausgesetzt werden. Nach wenigen Tagen kam Guo schließlich frei. Er habe die Polizei lediglich bei Ermittlungen unterstützt, sagt Guo seitdem. Sonst kein Wort. Xiao Jianhua ist nun schon seit vier Wochen verschwunden.

"Guo und Xiao verbindet einiges, sie sind etwa gleich alt, gleich reich und beide haben Warren Buffett als Vorbild", sagt Rupert Hoogewerf. Seit beinahe 20 Jahren gibt der Brite den Hurun-Report heraus - Chinas Reichenliste. Kaum jemand kennt die Karrieren chinesischer Milliardäre besser als er. Guos Besitz taxiert Hoogewerf derzeit auf 6,6 Milliarden Dollar, Xiaos Vermögen schätzt er aktuell auf sechs Milliarden Dollar. Guo kam 1967 zur Welt, Xiao laut Kopie seines Diplomatenpasses, die in Hongkong kursiert, im Jahre 1972.

"Viele, die jetzt Probleme haben, sind während der Kulturrevolution geboren worden, sie waren Anfang 20, als das Militär die Studentenproteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens niederschlug", sagt Mercis-Forscherin Shi-Kupfer. "Seitdem gilt: Konzentriert euch auf das Reichwerden. Und gerade diese Generation hat das am stärksten verinnerlicht."

Während der Proteste 1989 war Xiao Vorsitzender der Studentenvertretung an der Peking-Universität. Im Gegensatz zu vielen seiner damaligen Kommilitonen lehnte er die Forderungen nach mehr Demokratie ab. Nach dem Studium machte er Karriere. Beijing Beida Tomorrow Resources Technology hieß sein erstes Unternehmen. "Beida", diese Abkürzung kennt jeder in China. Sie steht für "Beijing Daxue" - die Peking-Universität. Ein Türöffner in China. Erst verkaufte Xiao Computer, bald Versicherungen und schuf ein hochkomplexes Firmennetz, das für Außenstehende nicht zu überschauen ist.

Auch Guo benannte sein Unternehmen nach seiner ehemaligen Uni. 1992 gründete er mit drei Studienfreunden "Fuxing", die "Sterne von Fudan", eine Hommage an die Fudan-Universität in Shanghai. Das Startkapital betrug 39 000 Yuan, heute bewegt das Unternehmen Milliarden. Guo investierte in Pharma, Immobilien, Stahl und landete irgendwann, wie auch Xiao, bei Versicherungen. Die Zeitungen in China nannten Guo bald den "chinesischen Warren Buffett". Ein Mann, der immer das richtige Gespür für Investitionen hat und die Erträge aus dem Versicherungsgeschäft zum Investieren nutzt. Denn Guo hatte Zugriff auf die Vermögen, die Versicherer für ihre Kunden anlegen, um etwa eine ordentliche Rendite für eine Lebensversicherung zu erwirtschaften. Sehr viel Geld, das bald über Guos Konten floss, genau wie bei Xiao, der übrigens 2013 in einem seiner seltenen Interviews erzählte, dass auch er Warren Buffett bewundere.

Bei Xiaos Investitionen kam es allerdings häufiger zu Unregelmäßigkeiten. 2006 zum Beispiel wurde der staatliche Energieversorger Luneng aus Xiaos Heimatprovinz Shandong von einem undurchsichtigen Geflecht an Investmentfirmen übernommen. Ganz am Ende der Kette stand offenbar Xiao - ein Milliardengeschäft. Die Behörden in Peking vereitelten den Coup allerdings und ordneten an, dass die Kader in Shandong den Kauf rückabwickeln.

Bislang schützten die Mächtigen aus der Politik die Reichen

2007 war Xiao daran beteiligt, als die Finanzfirma Pacific Securities in Shanghai über ein sogenanntes Backdoor-Listing an die Börse ging - ein sehr zweifelhaftes Verfahren. Dabei werden Zweck und Namen einer bereits an der Börse gehandelten Firma überschrieben. Aus einem Autohersteller lässt sich so über Nacht eine Bank machen. Das Problem im Fall Pacific Securities: Das Unternehmen hätte eigentlich für drei aufeinanderfolgende Jahre Gewinne ausweisen müssen. Nachdem das ruchbar wurde, verhaftete die Polizei den ehemaligen stellvertretenden Chef der Finanzaufsicht, und Xiao wurde nicht mehr in China gesehen. Eine formale Anklage gegen ihn liegt jedoch nicht vor. Er ging ins Ausland, wurde Kanadier und machte weiter Deals.

Immer wieder ließ er sich auf Chinas Prinzlinge ein, die Kinder der Revolutionskader. 2009 etwa versuchte er gemeinsam mit dem Sohn des damaligen chinesischen Vizepräsidenten Kasse zu machen. Später half er gar der Familie von Parteichef Xi Jinping aus. Er nahm Xis Schwager Deng Jiagui nach Enthüllungen über dessen Vermögen ein Aktienpaket für 2,4 Millionen Dollar ab. Auch das typisch: "Chinas Milliardäre wurden oft im Schatten chinesischer Kader reich. Es ist ein Geben und Nehmen", sagt Kristin Shi-Kupfer. "Die Mächtigen aus der Politik beschützen, die Reichen aus der Wirtschaft zahlen, zum Beispiel für die Ausbildung der Kader-Kinder oder finanzieren eine Wohnung für die Geliebte."

Jetzt aber geht die Angst unter Chinas Milliardären um.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: