Vor vier Stunden noch hat Hans Kniegl die prallen Euter gemolken, jetzt hebt der Bauer den frischen Rahm unter den Zucker. Die Ärmel hochgeschoben, auf dem Kopf ein rotes Stoffhäubchen - fast wie in einer Gelateria, aber in einer ziemlich oberbayerischen. Kniegls Hof liegt inmitten von breiten Feldern, vor den Bergketten der Alpen, in einem Häuschen am Rande parkte früher seine Mutter ihren Wagen. Heute sind hier die Wände gefliest, am Boden eine wuchtige Eismaschine aus Edelstahl. Mit beiden Händen gießt Kniegl langsam die pürierte Masse in den Trichter, die Maschine erhitzt auf 84 Grad, ein lautes Brummen. Dann schaltet die Temperaturanzeige um, minus fünf, minus sechs, minus acht Grad. Aus der kreisrunden Öffnung zittert die dunkle Schokoladencreme. Vor vier Stunden noch war der Eismacher Kniegl Milchbauer - aber nur Milchbauer sein, für wen lohnt sich das schon?
Der Urgroßvater von Kniegl lebte bereits auf diesem Hof, in dem alten Bauernhaus mit den grünen Fensterläden und dem Kreuz unter dem Giebel. Auch sein Großvater und sein Vater, alle waren sie Milchbauern, gingen um fünf Uhr morgens in den Stall, trieben die Tiere auf die Weide. "Wenn wir nur die klassische Milchwirtschaft hätten, müssten wir uns wohl einen anderen Job suchen", sagt Ehefrau Monika Kniegl, die Haare hochgesteckt, einen Aufkleber nach dem anderen drückt sie auf die roten Deckel: Bauernhofeis, 30 Prozent Sahne, abgepackt in 83646 Wackersberg. Diese bunten Becher bringen den Kniegls mittlerweile mehr Geld ein als die Milch der 20 Kühe aus dem Stall.
Jeden zweiten Tag lädt der Fahrer einer Bio-Molkerei diese Milch in seinen Laster, der Preis für Biomilch liegt mit fast 50 Cent pro Kilo deutlich höher als für konventionelle Milch. Für die bekamen Bauern im vergangenen Jahr gerade einmal durchschnittlich 25 Cent. Doch schon bevor die Kniegls ihren Betrieb auf Bio umstellten, begannen sie in der früheren Garage Eis zu fertigen, Lavendel in die frische Sahne zu mischen, Pekannüsse oder Arganöl. Sie haben sich geschaffen, was sich viele Bauern in Deutschland erhoffen: einen Verdienst auf dem eigenen Hof, abseits des Milchverkaufs.
Denn mit 25 Cent pro Kilo, damit können viele Bauern nicht einmal ihre Kosten decken. Immer mehr geben ihr Geschäft auf, nur noch etwa 77 000 Betriebe im Land halten Milchkühe - das ist ein Drittel weniger als noch vor zehn Jahren. Die Europäische Union unterstützt allein die deutschen Milchbauern mit 69,2 Millionen Euro. Wer nachweisen kann, dass er seine Milch mindestens 19 Prozent billiger verkaufen muss als früher, wer einen Kredit aufnehmen muss, um seinen Hof zu halten, der erhält Zuschüsse. Doch das Problem bleibt: Die Milch ist zu billig.
Zu Zeiten hoher Milchpreise vergrößerten die Bauern euphorisch ihre Höfe, in der Hoffnung mit noch mehr Tieren noch mehr Gewinn zu machen. Jetzt aber produzieren sie zu viel Milch, für die es zu wenige Käufer gibt - Russland boykottiert seit dem Konflikt um die Ukraine Milch aus Europa, auch China nimmt lange nicht so viel ab wie erhofft. Eine feste Milchquote, die Preise stabil halten sollte, gibt es in Deutschland seit dem vergangenen Jahr nicht mehr.